Ferrovia elettrica Biasca - Acquarossa

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Vorgeschichte und Bau

Wer heute die Landkarte des Kantons Tessin betrachtet, findet eine weitgehend bahnlose Nordostrecke vor, obwohl zwei bedeutende Täler zu nicht sehr hoch gelegenen Alpenpässen hinführen, das Bleniotal zum Lukmanier und das bündnerische Misox Richtung San Bernardino. Vor allem der Lukmanier stach bereits den ersten mit der Planung eines gesamtschweizerischen Eisenbahnnetzes betrauten Fachleuten in die Augen. Bekanntlich haben die englischen Experten R. Stephenson und H. Swinburne in ihrem 1852 zuhanden des Bundesrates erstatteten Bericht als Verbindung zwischen der Nord- und Südschweiz die Überquerung des Lukmaniers vorgeschlagen.

In der Folge fiel die Wahl jedoch auf die Gotthardroute. Durch den vorgezogenen Bau der Tessiner Tallinien erhielten Biasca und damit auch das sich von dort zum Lukmanier hinziehende Bleniotal bereits 1874 eine erste Bahnverbindung. Später kamen Bahnprojekte für Lukmanier und Greina meist nur noch als Variaten einer Ostalpenbahn zur Sprache. Mit dem Entscheid zugunsten des Gotthards schwanden die Aussichten des Bleniotales auf einen Bahnbau.

 

Wollte man der in den Tessiner Tälern grassierenden Entvölkerung Einhalt gebieten, galt es deshalb, die Ansiedlung von Industrie und die Belebung des Fremdenverkehrs durch die Anlegung einer Bahnlinie anzustreben. Entsprechende Bemühungen begannen sich in den neunziger Jahren zu regen und führten schliesslich im September 1906 zur Gründung der Bahngesellschaft „Società per la ferrovia Biasca - Acquarossa - Olivone“. Diese suchte den Bau der Linie, abgestützt auf die von den Initianten bereits mit Bundesbeschluss vom 6. Oktober 1899 erlangte Konzession, zu realisieren. Auf Grund der Planungsarbeiten und den sich hieraus ergebenden Änderungen erteilte die Bundesversammlung in der Folge am 26. Juni 1908 und 22. Juni 1911 neue, beziehungsweise abgeänderte Konzessionen.

 

Der aus zwei verschiedenen Fahrzeugen zusammengebastelte Fahrleitungsmontagewagen fällt durch seine merkwürdigen Proportionen auf. Der Aufbau stammte vom X 102 der Rechtsufrigen Thunersee-Bahn (STJ), dessen auf das Zürcher Rösslitram zurückgehendes Fahrwerk, Baujahr 1883, sich wegen der schmalen Bandagen für die BA nicht eignete. Darum untersetzte man das wesentlich kleinere Untergestell des früheren Turmwagens X 61, das allerdings so klein war, dass die Drehbühne nach hinten abgedreht werden musste, um nicht mit dem Dach des benachbarten Wagens in Konflikt zu geraten. Immerhin scheint sich diese Konstruktion etwas besser bewährt zu haben als das Vorgängerfahrzeug, das 1911 in der eigenen Werkstätte erstellt worden war und vor allem den schwerwiegenden Mangel hatte, dass die Beschläge der Drehbühne nicht isoliert waren, weshalb ein Mitarbeiter bei Leitungsarbeiten Verbrennungen erlitt. Heute steht der Montagewage mit einem der B2 11 und 12 bei einem Wohnhaus in Semione

 

 

 

Die Finanzierung machte etwelche Schwierigkeiten, gelang aber schliesslich unter Mithilfe der an der Erstellung elektrischer Bahnen interessierten Industrie. Die Bauarbeiten an der (vermeintlich) ersten Sektion Biasca - Acquarossa nahmen im Juni 1908 ihren Anfang. Man hatte sich zur Ausführung einer meterspurigen, elektrisch zu betreibende Bahn entschlossen, deren Betriebskraft bei den nahen Biaschina-Kraftwerken günstig erhältlich war. Acquarossa wählte man als Endstation des ersten Abschnittes, weil sich dort ein bekanntes Heilbad befand, das von Erholungssuchenden gerne besucht wurde.

Der Bau der „ersten Sektion“ von 13,8 Kilometern Länge bereitete einige Mühe, musste doch das Gleis auf weiten Strecken durch eine unwirtliche Gegend im Bereich des Talflusses Brenno und seiner Zuflüsse gelegt werden. So dauerte es bis zum 6. Juli 1911, bis der erste „trenino“ fahrplanmässig in Acquarossa eintraf.

 

 

 In der Zwischenzeit hatten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse im Tessin verschlechtert, so dass die geplante zweite Sektion nach Olivone nicht, wie vorgesehen, in den Jahren 1914/15 erstellt werden konnte. Vorerst verunmöglichte der dramatische Zusammenbruch verschiedener einheimischer Bankinstitute die Beschaffung des nötigen Kapitals, später behinderte der Kriegsausbruch die weitere Entwicklung. Zwar gab das Unternehmen die Hoffnung auf einen weiteren Ausbau der Linie nicht so bald auf: Noch bis 1942 führte es den Firmennamen „Ferrovia Biasca - Acquarossa (-Olivone)“. Nachdem der obere Teil des Bleniotals für den Personenverkehr durch Postautolinien erschlossen war, sicherte sich die Gesellschaft ab 1933 durch die Schaffung eines Lastwagenbetriebes wenigstens die Güterbeförderung in diesem Gebiet.

 

 

Vor zwei Jahrzehnten noch alltägliche Kleinbahnromatik im Tessin, sind diese altertümlichen Billetschalter heute praktisch vollständig verschwunden. Der Blick auf den nur noch stundenweise bedienten Schalter von Malvaglia-Rongie bietet auch einen Einblick in das Innenleben des Statiönchens. Nicht sichtbar ist der am Tisch im Büroraum einenickte Bahnangestellte

 

 Die topografischen Verhältnisse sind auf dem Abschnitt Acquarossa - Olivone nicht wesentlich schwieriger als im unteren Tal. Immerhin hätte der Höhenunterschied die Anwendung grösserer Maximalsteigungen erfordert. Ob sich die Bahn ins Bleniotal bei einer Ausdehnung bis Olivone hätte bis in die heutigen Tage halten können, bleibt fraglich, denn kurz bevor sie 1973 dem Bus weichen musste, ist bekanntlich auch im benachbarten Misox der Bahnbetrieb auf den Güterverkehr beschränkt und seither reduziert worden, obgleich jene Bahn eine Ausdehnung hatte, die etwa jener einer Linie Biasca - Olivone entsprochen hätte.



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