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Abschied mit gemischten Gefühlen

Einmal mehr frühmorgens in Mozambique. Noch steht der Mond im glasklaren Himmel. Ich sitze bereits am Steuer und bin auf dem Weg nach Tambara. Von Chimoio dorthin sind es knapp 400 Kilometer und dafür werde ich fünf Stunden benötigen. Es ist meine letzte Fahrt in dieses Gebiet, das im vergangenen März von den Fluten des Flusses Zambezi heimgesucht worden war. Tausende von Menschen waren auf der Flucht vor den gewaltigen Wassermengen, die den Fluss herunterschossen. Sie liessen sich auf kleinen Anhöhen nieder, viele der Familien hatten alles verloren: ihre Behausungen, ihre Pflanzfelder, ihre Ziegen, manche gar ihre Kochtöpfe und Wolldecken. Angesichts der Notlage bewilligte Caritas Gelder, um in Tambara eine Nothilfeoperation zu organisieren. So versorgten wir während drei Monaten 1300 Familien mit Grundnahrungsmitteln: Mais, Bohnen, Salz, Speiseöl. Und Seife. Das mag nach wenig tönen, war aber für die betroffene Bevölkerung der Unterschied zwischen Leben und Verhungern. Unsere Kunden, wenn man dem so sagen darf, haben wir genau ausgefiltert. Erhalten durfte nur, wer alles verloren hatte, also Haus, Besitz, Pflanzfelder.

Am Rio Muira halte ich nun nicht mal mehr an. Auch ohne Allradantrieb mahlt sich mein Geländefahrzeug durch das jetzt trocken sandige Flussbett. Noch vor sechs Wochen war hier kein Durchkommen für Lastwagen. So hatten wir hier am Fluss ein Umschlaglager errichtet. Die Güter wurden von den Dorfleuten durch den Fluss getragen. Im März stand das Wasser bis zum Bauchnabel.  Auf der anderen Seite verbrachten Antonio und Mecce Wochen, um das Nahrungsmittellager zu bewachen und den Weitertransport der Fracht zu organisieren. Sie schliefen auf Maissäcken unter der schwarzen Plane, denn noch im April gab es quasi Dauerregen. Nun steht nur noch ein einsames Schild mit einem weiss-roten Aufkleber: Caritas. Ich fahre weiter. In der Kurve vor Niacafolo erinnere ich mich an einen der Lastwagen, das mag im Mai gewesen sein. Der Fahrer lag im Schatten einer Akazie mit Malaria. Er hatte seinen Beifahrer in unser Hauptlager geschickt, um Medikamente zu holen. Ich wollte ihn mitnehmen, doch er lehnte ab. Er musste gleichzeitig den Lastwagen bewachen. Ich fuhr weiter und versprach ihm, morgen bei meiner Rückfahrt Medikamente mitzubringen. Der Hauptort des Distrikts Tambara heisst Nhacolo, er ist nicht mehr als ein Dorf am Südufer des Zambezi. Die Wasserflüchtlinge haben ihre Hütten eingangs Nhacolo aufgestellt, in der Umgebung des alten, kriegszerschossenen Spitals. Nun regnet es ja seit Wochen nicht mehr, also sind auch Matsch und Schlamm verschwunden. Die Leute haben sich in den drei Monaten nun ein bisschen eingerichtet. Vor den Strohhütten stehen Töpfe und Feuerstellen. Unser Lager ist eine Ruine, in der noch die Löcher von Gewehrsalven des Bürgerkrieges zu sehen sind. Das Campbüro besteht aus zwei Backsteinen mit einem Holzbrett darüber. Dahinter sind die Fässer und Plastikkanister mit Treibstoff. Und dann natürlich der Rest an Nahrungsmitteln. Für diese Operation hatte ich konstant drei Leute in Tambara stationiert, in Spitzenzeiten ein paar mehr plus natürlich die Fahrer der Lastwagen. Sie alle haben nun drei Monate im Zelt verbracht, eigentlich nicht bessere Umstände gehabt als die Wasserflüchtlinge. Ricardo sieht mich mit fiebrig glasigen Malariaaugen an. Ich kenne das Gefühl, vor zwei Wochen hatte ich die schwerste Malariaattacke meines Lebens. Angenehm ist das nicht. Doch Ricardo macht weiter. Wir kontrollieren die Verteilmenge, den Lagerbestand, rechnen aus, ob der Treibstoff für die anstehenden Verteilfahrten reicht, machen den Einsatzplan. Es bleiben noch vier Verteilungen in unseren elf Flüchtlingslagern zu  machen. Dann wird alles verteilt sein, meine Equipe wird abreisen. Ende Operation. So ist das.

Wir hatten in den drei Monaten keinen Unfall, keinen Todesfall. Es explodierte keine Mine, anders als weiter flussabwärts, wo ein UN-Lastwagen auf eine Mine fuhr. Unter den Leuten brach keine Seuche aus. Wir hatten keine Diebstähle zu verzeichnen. Die Resultate dieser Aktion können sich sehen lassen. Doch ich weiss ebenso, dass die Leute wieder in die flussnahen Gebiete zurückkehren werden, weil dort die Erde am fruchtbarsten ist. Sie werden dort wieder ihre Häuser aus Lehm und Gras bauen, Mais und Hirse anpflanzen, mit selbstgefertigten Einbäumen im Fluss fischen und mit der Zeit wieder ein paar Hühner und Ziegen halten. Irgendwann wird der Zambezi wieder Hochwasser führen und sie werden wieder fliehen. Aber ich weiss auch, dass es jetzt fünfhundert Familien weiterhin nötig hätten, Nahrung zu kriegen und dafür auch bereit wären zu arbeiten. Man könnte Kleinprojekte ’Arbeit gegen Essen’ organisieren, die UN-Organisation WFP würde sogar die Nahrungsmittel zur Verfügung stellen. Ich weiss auch, dass mindestens hundertfünfzig Familien weder arbeiten können noch Nahrung haben werden. Als ich abreise, winken die Leute dem roten Caritas Auto wie immer zu. Ich schaue den Menschen nicht in die Augen. Ich werde nicht mehr nach Tambara kommen. Die Operation ist vorbei.

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Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Surseer Woche 18. Oktober 2001