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Von
Städten: A., Madagaskar, 1 400 000 Einwohner Antananarivo Nicht
sieben Hügel. Nur einer. Oder deren drei, zu einem Y gepresst. Ein
Felsenwulst, übersät mit Häusern. Bis weit in die Ebene hinein. Ganz
oben, dem Himmel nahe, der Palast. Das historische Zentrum der Stadt.
Und der mythische Nabel des Landes. Doch zu erhaben, zu entfernt. Weit
unten, zwischen den Schenkeln des Ypsilon. Die Menschen und ihr Leben.
Die Strasse der Unabhängigkeit. Führt vom Bahnhof zu den beiden
Tunnelröhren. Entlang der einstigen Prachtstrasse. Geschäfte, legale
und andere, strukturierte und parallele. Täglich Markt. Freitags wie
ein Meer. Tausend Händler unter tausend Sonnenschirmen. Wie weisse
Pilze auf der Avenue. Die von den Marktleuten parzelliert ist. In
schulterbreite Gassen. Durch die sich Haut an Haut Besucher zwängen,
Schaulustige und Kunden. Abends sind die Strassen leer: Angst herrscht.
Obwohl die Leute sich eng zusammenpressen. Hinter den abbröckelnden
Fassaden. Doch kein Hochhaus, nur drei, vier etwas höhere Gebäude.
Jedes Quartier ein Dorf. Mit Dorfhäusern, Dorfplatz, Dorfgetratsche. Öffentliche
Brunnen an der Dorfgrenze. Scheue Blicke aus der privaten Zone. Hinüber
in die Welt, in die Kampfarena. Wo das Überleben praktiziert wird. In
dieser Zone die Hotels. Und die Parkplätze, die Strassen, die Schulen.
Dort ist alles erlaubt. Nur nicht untergehen. Die Stadt ist Magnet. Weil
das Land keiner ist. Und noch mehr kommen in die Stadt der Tausend. Ihre
Hoffnungen entblättert der heisse Asphalt. Sehr bald und unerbittlich.
Jeden Tag oder fast, rattert die Eisenbahn hinaus in die Reisfelder. Wo
sogar die Bauern hungern. Daher ist der Reis der Stadt hart umlagert.
Und in den Augen. Liegt nicht Langmut und Erhabenheit. Sondern Not und
Resignation. |
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Franz Stadelmann |
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Publiziert in Neue Zürcher Zeitung 11. 05. 1996 |
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