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Brot und Tomaten nach dem Weltende

Nun sind wir ins neue Jahrtausend eingetreten und dies weltweit. Sogar in Madagaskar warf dieses Ereignis ein paar Wellen. Zwar kümmerte sich niemand um den befürchteten Computercrash. Dafür gibt es zuwenig Computer. Trotzdem blieben zum Beispiel die Flugzeuge am Boden. Vorsichtshalber. Draussen im Land gab die Jahrtausendwende kaum Gesprächsstoff. Zwar ist es immer wieder erstaunlich, dass die Leute auch weit ab von Strasse und Kommunikation wissen, welches Datum gerade ist. Sie orientieren sich dabei zumeist an den Markttagen. So sind viele Dörfer einfach nach dem Markttag benannt, Alakamisy heisst beispielsweise Donnerstag. An diesem Tag treffen sich alle Bewohner der Region zum wichtigsten Ereignis der Woche. Das massgebende Thema der ruralen Bevölkerung waren gegen Ende des Jahres eher die ausbleibenden Regenfälle. Denn nun sticht die Sonne heiss und gleissend auf die Erde, die ausgedörrt ist wie eine trockene Elefantenhaut. Für die Landbevölkerung hat die Zahl 2000 kaum Bedeutung. Die Leute erinnern sich kaum an Jahreszahlen, vielmehr sagen sie: das geschah zur Zeit des grossen Zyklons oder jenes Ereignis fand während der Malariaepidemie statt. In Sachen Millenium wurde städtischen Kreisen jedoch viel spekuliert über die Frage, ob die Welt denn nun untergehen würde oder nicht. Denn auch in Afrika haben sonderbare Sekten Fuss gefasst, sogar in erschreckend starkem Ausmass. Und ein paar davon versprechen ja immer mal wieder einen Totalabsturz dieser Welt und sie finden sogar Gläubige für ihre abstrusen Theorien. So versammelte sich in einem der ärmeren Quartiere der Hauptstadt eine kleine Gemeinde in Erwartung des Endes. Ich war zufällig in der Nähe, als die Schar der Heilserwarter  frustriert ihr Gebäude verliessen. Mit einem jüngeren Mann kam ich ins Gespräch. Er hatte Schulden, war geschieden und arbeitslos. Nun war er enttäuscht, dass er seine Probleme durch einen generellen Weltuntergang nicht hatte abstreifen können. Ich brachte das Thema Arbeit ins Gespräch. Er habe bereits gearbeitet, sagte der 27-jährige. Als Nachtwächter. Aber das sei zu hart gewesen. Dann hatte er sich als Maurer versucht, aber das klappte auch nicht. Seit Jahren sei er nun ohne geregelte Arbeit. Er wohne bei seiner Schwester, die verheiratet sei und vier Kinder habe. Ihr Mann arbeite bei der Eisenbahn und habe ihm aber auch keinen Job vermitteln können. Ich wollte das Thema wieder auf die Sekte lenken, doch der junge Mann liess sich darauf nicht mehr ein. Er sei enttäuscht. Seit zwei Jahren gehe er einmal die Woche an die obligatorische Versammlung und seit Monaten sei nur von diesem Ereignis gesprochen worden. Es sei sogar gesammelt worden und er habe sein letztes Geld gegeben. Wofür das Geld nach dem Weltuntergang gebraucht worden wäre, wusste er nicht. Der Vorprediger sei vor ein paar Stunden weggegangen. Er habe die Gemeinde einfach allein gelassen. Nun habe er nicht einmal mehr Geld, um etwas zu essen zu kaufen und ob ich nicht doch vielleicht undsoweiter. So kaufte ich einem hungrigen Weltendeapostel zum Neujahr ein Brot und ein paar Tomaten.  Und das war wenig verglichen mit dem Silvesteressen in einem der Luxushotels der Stadt. In ganzseitigen Anzeigen wurde ein Galadinner angepriesen und dies zum Preis eines Zweimonatssalärs eines Arztes. Während also ein paar Dutzend Leute einen Abend lang schlemmten, beteten nicht weit davon ein paar hundert Menschen einen Weltuntergang herbei, um ihren Sorgen zu entweichen. Derweil hingegen hatte der Tomatenverkäufer an diesem ersten Tag des Jahrtausends seinen Arbeitstag wie gewohnt um vier Uhr morgens begonnen, um seine zwanzig Kilo Tomaten auf dem Kopf zehn Kilometer auf den Markt zu tragen. Er wusste, dass die Jahreszahl nun auf 2000 geklettert war, fragte sich aber, ob er nun auch die Tomatenpreise erhöhen könne. Als Testperson hatte er mich ausersehen. Wir einigten uns dann auf einen Preis zwischen Silvester und Neujahr.

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Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Surseer Woche 6. Januar 2000