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Von Städten: B., Simbabwe,  800 000 Einwohner

Bulawayo

Im Abendschatten der tanzenden Steine lag einst eine Tränke. Deren Wasser auch in Trockenzeiten von den lechzenden Winden nicht ausgeleckt wurde. Aus allen Richtungen führten Buschwege heran zum kühlen Blau der Senke. Tiere kamen aus der ausgedörrten Steppe und später auch Menschen. Verführt von der Magie der runden Felsen. Und angelockt von der Beute rings ums Wasserloch. Die Oase wurde Heimat von mehr und mehr Menschen. Freunde, Feinde, immer wieder Eindringlinge. Die Stadt nennt sich noch heute der Ort des Tötens. Auch jetzt ist die Talsenke noch immer eine Kreuzung. Nicht mehr für Tierpfade. Sondern für Schiene und Asphalt. Die langen Wege führen heran. Aus Osten von der fernen Hauptstadt, aus Norden von den rauschenden Engelsfällen, aus Westen von der trockenen Kalahari. Doch der wichtigste Pfad führt jetzt nach Süden. Dorthin wanderten die Menschen während Generationen. Ein Aderlass, der sie in die Gruben der Bergwerke führte. Derweil blieben die Alten an der Wegkreuzung. Und verstanden sich als die Wasserhüter im Matabeleland. Doch auf der Niederung lastet nun schwer die weitflächige Stadt. Englische Siedler warfen vor hundert Jahren ihr rechtwinkliges Strassennetz über die Senke. Den calvinistischen Linien folgen die Fahrzeuge auch heute noch. Von der ersten Avenue im Norden bis zur fünfzehnten beim Bahnhof. Doch die Bäume lösen die starren Strassenzüge auf: Buschpalmen mit majestätischen Wedeln, Jacaranda in violetter Blütenhaube. Die Häuser derweil verstecken sich im Schatten der Baumkronen. Nur das weissgetünchte Rathaus und ein paar Kirchentürme wagen sich darüber hinaus. So bleibt der Ort auch heute noch, betrachtet aus der Sicht der tanzenden Steine, ein bewaldetes Rechteck inmitten des Matabelebusches.

 

 

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Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Neue Zürcher Zeitung 14. 09. 1996