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Von Städten: D., Senegal,  1 500 000 Einwohner

Dakar

In den kühlen Morgenstunden spiegelt sich die Schöne in den getönten Scheiben einer Grossbank. Wie kubische Malerei reflektieren die Fassaden die bleichen Häuserfronten. Vor denen nachts die Leute auf dem Gehsteig schlafen. Tagsüber aber haben sie die palmbewachsene Promenade zu räumen. Dann stolzieren die bunten Kleider, die kunstvoll geschichteten Kopftücher und der kiloschwere Goldschmuck entlang der Corniche. Die Welt zwischen den klimatisierten Hochhäusern gibt sich betont französisch. Ist aber auch sehr afrikanisch mit den tausend Arten, die Haare zu frisieren. Gleich neben dieser Insel des Reichtums die Lehmhäuser und die Blechbehausungen ohne Strom und ohne Wasser. Vor neunzig Jahren frass sich die Pest durch diese Quartiere. Danach wurden sie zu rechtwinkligen Strassenrastern begradigt. Dort wühlen sich nun grelle Sammeltaxis durch den Sand und ab und zu schreitet ein Kamel dahin. Die Stadt zwischen den Meeren, zwischen Atlantik und Sahara, liegt nicht weit vom westlichsten Punkt des Kontinents. Einst ein Fischerdorf im Schatten von Tamarinden. Die Franzosen machten die Halbinsel durch Hafen und Eisenbahn zur Zwischenstation für ihre Sudanreiche. Heute bringen Leute aus allen Regionen Westafrikas das bunte Leben ihrer Heimat in die Gassen. Nur die maurischen Silberschmiede und ihre blauen Gewänder sind selten geworden. Die Supermärkte und Geschäfte werden bewacht von knüppelbewehrten Uniformen. Dakar hat aber weit mehr Strassenverkäufer und zahllose kleine Stände auf den Trottoirs. Jeder Meter ein neuer Geruch, ein anderes Geräusch. Draussen im glitzernden Ozean ein paar Inseln. Eine davon ist für immer gebrandmarkt: Gorée. Die Vulkaninsel und ihre Mauern aus Sand und Tränen sind nun Museum. Früher jedoch wurden Sklaven in ferne Welten verfrachtet. Ihr letzter Blick durch die Tür ohne Wiederkehr ging nach Osten, nach Afrika hin.

 

 

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Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Neue Zürcher Zeitung 1997