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Die Stadt der drei Flüsse

Ich stehe mitten auf einer Brücke und schaue auf den Nil. Die ’Weisse-Nil-Brücke’ gibt den Blick frei auf den Zusammenfluss des Weissen und des Blauen Nils. Der Blaue Nil hat bis hierher 1500 Kilometer zurückgelegt, seit er in den Bergen Äthiopiens entsprang. Der Weisse Nil hingegen hat eine deutlich längere Reise hinter sich. Er entspringt in den Mondbergen in Burundi, durchquert den Victoriasee und die südsudanischen Sumpfgebiete. Hier in Khartoum treffen sie sich und werden zum Nil, dem mit 6670 km längsten Fluss der Welt. Die beiden Wasser sollen – so heisst es – ein paar Kilometer verschiedenfarbig nebeneinander herfliessen, bis sich ihre Farben mischen. Das sehe ich jetzt allerdings nicht, denn die Wasser sind brauntrüb. Der Blaue Nil ist während der Regenzeit von Juli bis Oktober der kräftigere der beiden. Er bringt 80% des Wasservolumens. Und jetzt ist Regenzeit. Ein paar Holzschiffe wiegen auf dem Wasser: Fischer, die den nahen Markt in Omdurman beliefern. Die Brücke selber ist aus Stahl gebaut und wurde vor 70 Jahren von den Engländern aus Indien hierher transportiert. Sie war im Sudan die erste Brücke über den Nil und dient heute noch als Strassenverbindung zwischen Khartoum und Omdurman.

Der Ort des Zusammenflusses ist seit mindestens 5000 Jahren besiedelt. Wahrscheinlich lagen die ersten Siedlungen auf der flachen Tuti-Insel  mitten in der Mündung des Blauen Nils. So fliesst der Blaue in zwei Armen in den Weissen, als ob er zögerte, sich dem grösseren Bruder anzuvertrauen. 100 Kilometer flussabwärts stürzen sich die beiden Brüder über und durch den sechsten Katarakt. Weitere fünf folgen und dann der Assuanstaudamm in Oberägypten, der dem Fluss seine jährlichen Hochwasser nimmt. Als gezähmter Fluss quält sich der Nil bis Alexandria, wo ihn das Mittelmeer aufnimmt.

Khartoum besteht seit Jahrtausenden, sogar die Römer waren in der Region, natürlich auch die Ägypter und die Engländer. Die entliessen den Sudan zwar 1956 in die Unabhängigkeit, sind aber heute noch präsent: das Strassenmuster der Stadt folgt den Linien des britischen Unon Jacks. Vor hundert Jahren mögen 60'000 Leute in der Region gewohnt haben, heute sollen es drei Millionen sein.

Khartoum liegt in einer völlig platten Ebene und somit ist der Nil als Landmarke allgegenwärtig, denn die Hauptstadt besteht eigentlich aus drei Städten: Khartoum, Khartoum North und Omdurman, alle durch einen Nilarm getrennt. In Khartoum wird verwaltet, in Omdurman gewohnt und Khartoum North produziert. Die Drillingsstadt ist – auch so heisst es – Klein-Afrika. Denn hier am Nordrand der Wüste treffen Völkerschaften aus allen Ecken Afrikas und Arabiens zusammen. Der Sudan ist der flächengrösste Staat Afrikas und beherbergt mindestens 150 verschiedene Sprachen Trotzdem ist das Bild einheitlich: die allermeisten Frauen sind verschleiert und die Männer tragen entweder westliche Hosen und Hemden oder aber den arabischen Jalabiyah. Der offizielle Sudan orientiert sich nach dem islamischen Arabien. So gibt es keinen Alkohol und die Justiz folgt dem härteren Flügel des Islam. Trotzdem gibt es Internetcafés, Hilton, Mercedes und Nestlé Instantkaffee. Doch es gibt keine Minijupes, kein Pearcing und keine Verliebten, die Händchenhaltend durch die Strassen bummeln.

Das seltsamste Bild, das ich dieser Tage in Khartoum sah, war: ein alter Mann, gekleidet wie ein biblischer Prophet mit Turban und weissem Rock, sitzt auf einem schnell hoppelnden Esel, sodass der Rücken des Mannes ekstatisch ruckelt. Links und rechts des Sattels transportiert der Esel tönerne Krüge, aus denen ab und zu Wasser plätschert. Der weissbärtige Mann, schon vor tausend Jahren mögen Männer so ausgesehen haben, hat eine Hand am Ohr und telefoniert mit einem Handy.

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Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Surseer Woche