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Fanjakana und kein Weg hinaus

Fanjakana ist ein kleiner Ort von vielleicht tausend Seelen mitten im Nirgendwo Südmadagaskars. Ich war also am vorherigen Tag angereist, um mit dem Missionar Werner Ackle zu sprechen. Denn wir wollen einen Film drehen, der genau diese Problematik beinhaltet, die aus Fanjakana einen verlorenen Ort macht. Distanz und Mangel an Kommunikation: kein Telefon, kein Funk, keine Strasseninfrastruktur und zuwenig Fahrzeuge. Auftraggeberin des Films ist die Schweizer Hilfsorganisation MIVA, die Fahrzeuge in Ländern der Dritten Welt mitfinanziert. Das mag ein Allradfahrzeug sein wie jenes der Missionsstation in Fanjakana, das mag ein Lastwagen sein für eine Frauengruppe in Mittelamerika, ein Fahrrad für Westafrika oder ein Motorrad für Indien. Aber auch Aussenbordmotoren gehören dazu. MIVA will diesen Dokumentarfilm für Sensibilisierungskampagnen in der Schweiz einsetzen. Der Missionar ist jedoch nicht da. Er hatte mit dem Fahrzeug der MIVA  vor drei Wochen einen Notfalltransport gemacht. Eine Frau hatte beim Gebären Schwierigkeiten. So fuhr er sie über 300 Kilometer schlechteste Piste bis zum Provinzspital in Tulear. Die Frau verstarb zwei Tage danach, das Kind lebte. Der Pater war nun ins Spital gefahren, um das Baby zu holen. Er werde erst am kommenden Tag erwartet, heisst es. Ich hatte jedoch mit dem Kleinflieger vereinbart, dass er mich um 10.30 h bei der Landepiste wieder abholen würde. Die Leute der Mission hatten mir gestern Abend ein Motorrad versprochen, das mich zur Flugpiste fahren würde. Schon beim ersten Morgenlicht gehen sie daran, den Hinterreifen zu reparieren. Natürlich steht kein Tip-Top zur Verfügung. Ein Stück wird aus einem alten Autoschlauch geschnitten und mit Leim dubioser Herkunft auf das Loch geklebt. Sobald der Mantel wieder montiert ist, geht die Luft wieder raus. Um acht Uhr werde ich leicht ungeduldig, denn wie alle Europäer glaube ich, dass man das Schicksal aktiv beeinflussen kann. In Orten wie Fanjakana neige ich jedoch dazu, diese Philosophie zu überdenken. Der Schritt des Willens muss sich dem Takt der Taten beugen, oder wie die Afrikaner sagen: tausend Sandkörner brechen den Fluss einer Million Wassertropfen. Schliesslich wird mir vorgeschlagen, mit dem Motorrad zu fahren und eine Pumpe mitzunehmen und alle fünf Minuten aufzupumpen. Eine Testfahrt um die Kirche zeigt jedoch, dass das nicht die Lösung sein kann. Zudem stellt sich heraus, dass die Kupplung des Motorrades auch defekt ist. Aber da ist noch der uralte Landrover des Missionars und damit machen wir uns auf den Weg. Nur funktioniert der Vorderradantrieb nicht mehr und wir bleiben im Sand stecken. Wir heisst: der Fahrer und mindestens fünf Jungs. Ein Fahrzeug reist in Afrika ja nie nur mit einer oder zwei Personen. Da die Zeit knapp wird, gehe ich zu Fuss weiter: über weichen Sand und mit einer Piroge über den Fluss zum Dorf Beroroha. Ich hatte am Vortag den Verantwortlichen der Laienprediger kennengelernt. Er kam aus der Gegenrichtung. Ich hatte meine Hose ausgezogen, um durch einen Fluss zu waten. So standen wir in Unterhosen mitten im knietiefen Wasser und begrüssten uns, als ob wir auf einer Party wären. Ich suche also sein Haus und er organisiert ein Motorrad. Das heisst erst muss ein Fahrer gesucht werden, dann das Motorrad, dann Treibstoff. Nach einer halben Stunde fahren wir los, gerade als das Flugzeug landet. Die Piste ist auch für ein Motorrad übel und auf dem Sozius kämpfe ich ziemlich mit dem Gleichgewicht. Es sind, so sagen die Leute, nur 12 Kilometer zur Piste. Das Kleinflugzeug startet, als wir etwa zehn Minuten vor der Piste sind, nachdem es knapp eine Stunde gewartet hat. Steil steigt es in den Himmel – und nicht, wie ich es von einem Afrikaflieger erwarte, der Piste entlang, um nach dem Passagier Ausschau zu halten. Trotzdem fahren wir zur Piste, um zu sehen, ob der Pilot einen Zettel hinterlassen hat. Doch da ist nichts, weder ein Papier an einem Stecken befestigt noch ein Blatt mit einem Stein beschwert. Also zurück nach Beroroha, erneut über den Fluss und durch den Sand nach Fanjakana. Um vier Uhr nachmittags bin ich wieder dort. Dafür erwartet mich die Nachricht, der Père sei auf dem Weg nach Fanjakana. Doch woher die Leute das wissen, bleibt mir schleierhaft. Ich würde ihn also offenbar doch sehen.

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Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Surseer Woche 22. Juli 1999