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Flughafen im Nirgendwo

Flughäfen in Afrika sind ungefähr so interessant wie Modekataloge vom vorletzten Jahr. Und Rollbahnen sind noch langweiliger. So mag man gemeinhin meinen. Ausser man spricht von Marolambo. Dies ist eine Kleinstadt im Nirgendwo zwischen Hochland und Ostküste Madagaskars. Per Fahrzeug ist das Landstädtchen nicht erreichbar. Nur ein einziger Traktor kämpft sich alle paar Wochen auf einer üblen Schlammpiste hinunter an den Indischen Ozean – bis zu einem Fluss ohne Brücke. Noch vor wenigen Jahren hatte Marolambo auch keine Landepiste. Der Ort war nur zu Fuss in tagelangen Märschen zu erreichen. Daher bauten sich die Bewohner einen eigenen Flugplatz. Es entstand die interessanteste Landepiste, die je gesehen habe. Sie liegt auf einem Hügelrücken, der sich wie eine zusammengerollte Katze nach rechts krümmt. Zudem ist der Hügelkamm ansteigend und uneben. Es ist jedoch nicht so, dass Marolambo nun ans Streckennetz der Binnenflüge angeschlossen wäre. Nie wird der Ort von den Flugzeugen der nationalen Fluglinie Air Madagascar angeflogen. Das einzige Flugunternehmen, das Marolambo bedient, ist ein britisches  Hilfswerk, das sich auf den Flugdienst für Missionare spezialisiert hat. In Madagaskar hat das Unternehmen drei Kleinflieger stationiert. Der Chef dieser Propellerflotte ist ein Schweizer namens Emil, der zwei Jahrzehnte als Buschpilot in Afrika hinter sich hat. So sass ich kürzlich neben Emil auf dem Copilotensitz und blickte auf den Dschungel hinunter, auf Rodungen und kleine Weiler. Dann jedoch kam der Flugplatz von Marolambo in Sicht: eine erdrote Schürfstelle. Natürlich gibt es keine Landelichter und keine Funkleitung. Aber die Piste ist nicht zu übersehen. Der rote Laterit leuchtet herauf wie ein tiefer Kratzer im Urwald. Da es oft regnet und dichte Wolken über der Region kleben, kommt es vor, dass Emil die Piste zwischen den Wolkenbergen suchen muss. Natürlich hilft ihm die GPS-Elektronik dabei, doch letztendlich sind es seine Augen, die das korrekte Mass einschätzen müssen. Dann sticht er hinunter wie eine wilde Biene und setzt sein Flugzeug, eigentlich eher ein fliegender Traktor, möglichst zu Beginn der Erdpiste auf. Das Flugzeug schlittert den Berg hinan, es rattert und röhrt und links und rechts fällt die Bergflanke tief in ein Flusstal ab. Als Passagier hat man den Eindruck, das Flugzeug schliere seitlich weg. Die Piste ist völlig uneben, Rillen von letzten Landungen haben sich eingedrückt. Das Schauspiel dauert keine Minute und der Flieger steht still. Natürlich gibt es kein Flughafengebäude, keine Flugsicherung und kein Feuerwehrauto. Nur die üblichen Zuschauer dieses Spektakels: rund zwanzig Kinder. Der Pilot bleibt unbeeindruckt: ausladen, einladen, wegfliegen. Denn wenn es dunkel wird, ist ans Abfliegen nicht mehr zu denken. Diesmal jedoch sind wir früh am Morgen hergekommen, um das Spital zu besuchen. Also wandern wir auf einem Trampelpfad hinunter zu einem Fluss. Eine Piroge, eine Art ausgehöhlter Baumstamm, bringt uns zum anderen Ufer. Dann der kurze Anstieg hinauf zum Städtchen. Als ich zum Hügel hochschaue, erblicke ich dort oben ein weiss-rotes Flugzeug, das wie ein Objekt aus einer anderen Zeit erscheint. Emil ist im Ort gut bekannt. Unzählige Male hat er Kranke ausgeflogen oder dringende Medikamente hergeschafft, hat Briefe und Nachrichten mitgenommen oder Ersatzteile besorgt. Und wann immer das Gewicht es zulässt, bringt er frisches Brot mit. Manche seiner Frachten sind jedoch nicht ungefährlich. So muss er manchmal für längere Flüge zusätzlichen Treibstoff in Fässern mitnehmen. Zwar hat er an vielen Orten Madagaskars Reservelager angelegt, doch immer mal wieder startet er mit einem Fass Flugbenzin im Gepäckraum. Es versteht sich, dass für die Passagiere ein absolutes Rauchverbot herrscht. Nach unserem Besuch im Lokalspital und Gesprächen mit den Verantwortlichen setzen wir wieder mit der Piroge über den Fluss und steigen die steile Hügelflanke hinauf. Die Sonne brennt zwar weiterhin, doch gleichzeitig hat es zu nieseln begonnen und der Pfad ist glitschig. Die Flugpiste ist von einem glitzernden Wasserteppich überzogen. Emil startet vom höher gelegenen Punkt der Landebahn. Weiter unten sieht man das Ende der Piste und dann nichts mehr. Wenn der Flieger bis dahin nicht in der Luft steht, kommt nur noch der ganz tiefe Fall. Um dies zu verhindern, ist Emil persönlich um die Wartung seines Flugzeuges besorgt und ebenso wiegt er das Gewicht seiner Passagiere und der Fracht. Dies muss man auch bei gewissen Inlandflügen der Air Madagascar machen. So kommt es, dass Passagiere zuweilen erröten, wenn sie sich in aller Öffentlichkeit auf die Waage stellen müssen. Die Propeller dröhnen auf, das Flugzeug gleitet wie auf unsicheren Skiern voran, gewinnt aber rasch an Geschwindigkeit und die Richtung wird bestimmter. Und schon haben die Flügel das Gewicht von den Rädern genommen, während der Hügelkante unter der Flugzeugnase abtaucht. Und dann nur noch Wolkenwände. Grau und wattig. Irgendwo da unten liegt Marolambo und sein Flughafen.

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Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Surseer Woche 25. Februar 1999