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Auf der Flughafenstrasse in Beroroha

Das Kleinflugzeug setzt mich am Rande der Naturpiste ab: lediglich ein Streifen, bewachsen mit trockenem Gras. Beim Anflug sass ich neben dem Piloten. Als sich die Nase der Propellermaschine zielgerichtet nach unten senkte, begann ich die Landebahn zu suchen. Da war schlicht nichts. Das ist in Madagaskar nichts Aussergewöhnliches. Denn wir sind mitten im Nirgendwo. Zuvor hatte der Pilot eine Schlaufe knapp über dem Dorf gezogen, um anzuzeigen, dass das Flugzeug landen würde. Dann flog er im Tiefflug über die Piste, um Rinder zu verjagen. Schliesslich brauste der Flieger hinein in Staub und Gras und plötzlich war es still. Wir waren gelandet. So stehe ich also neben der Piste und beobachte, wie der Flieger wieder über die Stoppelebene holpert und in der flirrenden Luft verschwindet. Keine Menschenseele. Kein Flughafengebäude, kein rotweisser Windsack. Irgendwo am südlichen Ende der Landebahn sollte ein Fahrweg sein. Ich wandere der Piste entlang, finde aber die Fahrspur nicht. Also schlage ich mich quer durch die Ebene voll Trockengras, dann über eine Hügelkuppe mit abgebrannten Feldern. In der Ferne schimmern ein paar Häuser aus der glimmernden Ebene. Dann verschwinden sie wieder unter dem Horizont. Nach zwei Stunden beginne ich an der eingeschlagenen Richtung zu zweifeln. Das Gras ist höher als mein Kopf, ein wellendes Halmenmeer. Noch immer keine Menschenseele. Kein Ton, nur das Rascheln der knochendürren Halme, wenn ich mir einen Weg bahne. Immerhin muss man in Madagaskar nicht Angst haben, auf eine Mine zu treten wie in Moçambique. Am Rand eines Dornenwäldchens finde ich einen Weg: eine deutliche Autospur, links und rechts zwei Fahrspuren, in der Mitte Grasbewuchs. Ein hüfthoher Termitenhügel auf der Fahrspur zeigt, dass der Pfad schon lange nicht mehr von einem Auto benutzt wurde. Dann jedoch Menschenspuren. Barfuss, also bin ich noch weit vom Dorf entfernt. Im Schatten eines Mangobaumes mache ich eine Rast. So gut wie lautlos kommt ein junger Kerl daher, das Hemd über den nackten Oberkörper gelegt und darauf ruht die Axt. Ich frage ihn, in welcher Richtung Beroroha sei. Er weist nach vorn. Dann die Frage, die in ganz Afrika nie beantwortet wird: wie weit ist es dorthin? An der Art der Antwort glaube ich zu erkennen, dass es so weit nicht mehr sein kann, vielleicht eine Stunde. Er watet neben mir durch einen Fluss und zeigt mir eine Abkürzung. Grusslos verschwindet er wieder wie er gekommen ist: sein schwarzer Körper taucht ein ins Dunkel des Gehölzes. Drei Stunden Fussmarsch südlich des Flughafens sehe ich auf dem Sandpfad Schuhabdrücke, dann die ersten Ziegen, dann Menschen. Beroroha ist ein kleines Kaff im mittleren Süden Madagaskars. In einer Epicerie, einem Kleinkramladen, trinke ich eine warme Cola. Nicht weil ich das Belgiergetränk sonderlich mag, sondern weil es als Alternative nur warmes Bier gibt. Umringt von einer Schar Neugieriger vernehme ich, dass Pater Ackle, den ich besuchen will, nicht in Beroroha ist, sondern in Fanjakana: über den Fluss und noch eine Stunde südlich. Aber auch dort sei er nicht, weil er vor drei Tagen ins Spital von Tulear gefahren sei. Wie so oft in Afrika hat jemand den gleichen Weg wie ich und begleitet mich. Eine halbe Stunde zu Fuss bis zum breiten Fluss Mangoky. Mit einer Piroge, einem Einbaum, hinüber und dann noch eine sehr gute Stunde bis ins Dorf Fanjakana. Wir waten durch kleinere Flüsse und durch etliche stehende Gewässer und dabei an Bilharziose (Wurmkrankheit) oder sonstige Parasiten zu denken, ist in solchen Situationen unangebracht. Zumal meine Füsse mit Schnittwunden vom Trockengras übersät sind. Die Leute auf der Mission in Fankjakana sind sehr zuvorkommend, obwohl ich unangemeldet und erst nach Einbruch der Nacht ankomme. Ich kriege Essen, ein Zimmer und schreibe dem Pater einen langen Brief, denn am kommenden Morgen will ich schon wieder zurück. Dies alles, weil es in Beroroha kein Telefon gibt, weil der Funkkontakt zur lokalen Gendarmerie nicht zustande kam und weil wir für die Schweizer Hilfsorganisation MIVA einen Film über Transportprobleme machen wollen. Die Region bietet sich geradezu dafür an.

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Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Surseer Woche 1. Juli 1999