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Geister in der Seele

Ich bin nun also in Mozambique und daran, Hilfeprojekte zu realisieren. Daher bin ich oft unterwegs, mit einem Allradfahrzeug und dies auf Pisten, die so schlecht sind, dass die  Hämorrhoiden aufblühen wie holländische Tulpenfelder. Es sind meist lange, staubige Fahrten durch Buschlandschaft und natürlich ist man nie allein. So zum Beispiel heute. Als ich mit einem Mitarbeiter losfuhr, sagte er, seine Frau warte am Ausgang des Ortes, um mitzufahren. Nebenbei sagte mein Mitarbeiter, er wolle seine Frau verlassen. Es gehe nicht mehr mit ihr. Die Frau war nicht dort, wo verabredet war, sondern halt eben anderswo. Sie hatte ein Kind dabei plus einen jungen Mann, der sich als eine Art Diener herausstellte. Dann die Stunden im Auto, mehrheitlich schweigend. Wenn ich fahre, spreche ich selten. Bei einem Weiler, eine Ansammlung strohgedeckter Rundhütten aus Lehm, steigt die Frau und ihr Gefolge dann aus. Sie wolle diesem Dorf Bohnen einkaufen, weil sie damit einen Kleinhandel betreibt. Mein Mitarbeiter und ich setzten den Weg fort. Ich fragte ihn, warum er seine Frau verlassen wolle. Die Antwort dauerte dann, mit weiteren Fragen, den grösseren Teil des Vormittags und ist so wie Afrika.

Er lernte seine Frau vor zehn Jahren kennen, sie war gerade zwanzig. Nach zwei Jahren war kein Sohn geboren und er suchte nach Antworten, erst beim Arzt, dann beim traditionellen Heiler und schliesslich bei seinen Schwiegereltern. Es stellte sich dann heraus, dass seine Frau bereits verheiratet war und zwar mit einem Geist. Denn ihre Mutter hatte vor vielen Jahren einen Mann getötet und aufgegessen, weil sie Zauberin war und als Hexe sogar fliegen konnte und daher ab und zu einen Menschen zu verspeisen brauchte. Nun ist es aber so, dass die Leute sich gegen einen unnatürlichen Tod auch mit Hilfe eines Zauberers schützen können, zum Beispiel gegen einen Unfalltod oder eben auch gegen Zauberei. Kurzum der Getötete hatte sich vorher geschützt und kam nun in Form eines Geistes zurück und verlangte eine Widergutmachung für seinen Tod. Die Mutter gab ihm eine ihrer vier Töchter zur Frau, das Mädchen war damals noch Schülerin. Der Geist nahm Einsitz in diesem Mädchen – und blieb ruhig. Unwissend heiratete nun mein Mitarbeiter die junge Frau und das mag dem Geist nicht gepasst haben. Jedenfalls bedrohte er meinen Mitarbeiter regelmässig mit Messern und Gewehren, nachts im Traum und im Dämmerschlaf. Schlimmer jedoch war, dass er schwache Leistungen zeigte und kein Kind geboren wurde. Und das geht natürlich nicht. Nach fünf qualvollen Jahren vergeblicher Versuche kam ein Mädchen, dann ein Sohn. Nun nahm mein Kollege fünf Liter Wein und besuchte seine Schwiegereltern, um mit dem Stolz des Vaters vorzuführen, dass auch er Potenz habe.

Der Geist hingegen rumorte weiter. Ab und zu habe seine Frau sonderbare Gebaren. Sie schreie, sei wirsch und anschuldigend. Nach zwei, drei Stunden bitte sie um Verzeihung für ihr Verhalten. Er sehe genau, wann der Geist über sie komme. Dann sei es Zeit für ihn, zu schweigen oder nach draussen zu gehen. Als ein weiteres Zeichen des Geistes interpretierte er folgenden Punkt. Er habe seiner Frau Geld gegeben, um damit einen Bohnenhandel aufzuziehen. Den Verdienst jedoch gebe sie vollständig ihren Eltern, statt der eigenen Familie etwas zu gönnen. Nun wolle er sie entlassen, denn er habe ja bewiesen, dass er einen Sohn zeugen könne und sei nun frei. Geheiratet hatte er nicht, weil man Frauen nicht heiraten solle, meinte er, sie würden nach ein paar Jahren Schwierigkeiten machen und man könne nicht mehr einfach weggehen. Die Schwiegereltern wie auch seine Frau würden sich nicht kooperativ zeigen, denn es würde eigentlich schon Möglichkeiten geben, den Geist zu töten. Insbesonders in Malawi habe es machtvolle Zauberer, aber auch anderswo in Afrika. Und daher würden alle europäischen Staatschefs Afrika besuchen, um Kraft von diesen Zauberern zu erhalten. Ich hätte diesem Punkt doch noch einen anderen Aspekt zufügen wollen, doch mein Beifahrer war nun voll gefangen in seiner Geisterwelt. Er litt. Er sah keinen Ausweg. Er hatte Angst. Denn je mehr er gegen diesen Geist angekämpft habe, umso heftiger sei die Gegenwehr gewesen. Der einzige Ausweg sei, die junge Familie zu verlassen. Und das wird er auch tun. Eine neue Wohnmöglichkeit hat er schon. Und so wird eine weitere Familie ohne Vater aufwachsen, wie so häufig in Afrika. Zerstört durch einen Geist oder vielleicht auch durch etwas anderes, wer weiss das schon?

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Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Surseer Woche 15. September 2001