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Haar um Haar

Heute war ich beim Coiffeur. Das hat dem Mädel zwar nicht einen Rekord in seinen Tageseinnahmen verschafft, aber viel Arbeit hatte sie auch nicht. Ich beginne die Leute zu verstehen, die meinen Mittelscheitel anders als ich interpretieren. Trotzdem stehen auf der oberen Kopfhaut noch ein paar Relikte und die wollen auch ab und zu gekürzt sein. Einzeln, sozusagen. Doch ich will mich nicht weiter mit meiner Haartracht befassen. Dies ist kein prioritäres Thema für mich. Da lese ich letzthin, dass ein bekannter Politiker sich von seiner Perücke getrennt hat. Damit macht er Schlagzeilen. Und wenn er mal im Stau steckenbleibt, gibt's auch eine Pressenotiz. Der Typ weiss, wie man's macht. Wieviele Stunden stehen wir im Stau und keine Zeitung dieser Welt interessiert sich dafür. Aber eigentlich wollte ich vom Coiffeursalon erzählen. Ich war noch nie dort. Es war eine Garage, ein Schlauch, so lang wie zwei Autos. Die rostroten Eisentore standen offen. Ein Vorhang blähte heraus. Oben weiss, unten braunlehmig vom Spritzwasser der durchfahrenden Autos. Das Lokal enthielt einen Coiffeurstuhl und vier Tische mit Nähmaschinen. Zudem noch ein paar Regale mit Kleidern. Die Garage war also Nähatelier, Kleidergeschäft und Coiffeursalon in einem. Ich gebe zu, dass ich zum Haareschneiden nicht die Salons der oberen Klasse ansteuere. Denn übrigens ist es so, dass ich mich von der Diktatur des Kamms befreit habe. Kein gezähntes Plastikding mehr, das einem am Morgen und manchmal tagsüber unerbittlich auffordert, seine Haarpracht zu zähmen. Ich komme also in diesen Raum und die Nähmaschinen beginnen zu stottern. Ich frage mal die älteste der Frauen, die ziemlich breit hinter der goldverzierten Singer (made in China) sitzt, wer denn für die Frisörabteilung zuständig ist. Ein ziemlich mageres Mädchen erhebt sich und es scheint so, als ob sie die Kunst des Figaro beherrscht. Wenn nicht, so ist es in meinem Fall auch in Ordnung. Alle haben mal klein angefangen. Das Mädel widmete sich also meinen Haaren, derweil zwei Meter nebenan die fussbetriebenen Nähmaschinen klapperten. Dann kam eine Kundin und sah sich in der Kleiderabteilung um. Die dicke Frau erhob sich und begann, der potentiellen Kundin die Vorteile der hier genähten Kleider zu erklären. Dann aber schweiften sie ab und schliesslich hielt die Kundin einen kleinen Vortrag vor versammelter Belegschaft über ihre jüngsten Schicksalsschläge. Da war das Dach kaputt, der Mann sowieso schon lange weg und das Schulgeld nicht bezahlt. Alle hörten interessiert zu, wer weidet sich nicht gern im Unglück anderer. Als sie dann aber versuchte, dadurch eine Preisreduktion zu ergattern, begannen die Nähmaschinen wieder zu drehen und es kam kein Geschäft zustande. Sie verliess die Garage und das Arbeitsleben flammte wieder auf. Nicht ganz. Denn meine kleine Coiffeuse hatte nun begonnen, jedes Haar individuell zu bedienen. Ich riet zu mehr Grosszügigkeit und konnte sie motivieren, die grosse Schere zu nehmen. So verharrten wir lange Minuten, nur durch die stumpfen Gabeln der Schere getrennt. Der Spiegel – es hatte einen Spiegel – war leicht milchig. Ich beobachtete eine Spinne, die am oberen Rand ein ziemliches Netz aufbaute. Doch auch ich stand durchaus im Zentrum des Interesses. Denn meinen Nacken rasierte die Coiffeuse mit einer nackten Rasierklinge. Dabei schnitt sie mich und das fand ziemlich Anklang bei der Belegschaft. Jedenfalls hörten die Nähmaschinen zu rattern auf. Ich denke nicht, dass je schon ein Europäer hier drin war. Eine Europäerin ganz bestimmt nicht. Nun ist das aber mit den abgeschnittenen Haaren so, dass es Kunden gibt, die sie mitnehmen. Denn in vielen Regionen dieser Welt kann über abgeschnittene Haare direkt Einfluss auf den ehemaligen Besitzer genommen werden. Das nützt die schwarze Magie natürlich aus. Wer jemandem schlecht will, bringt ein Büschel seiner Haare zum Zauberer und der macht den Rest. Der Körper, auf dessen Kopf die Haare gewachsen sind, wird krank, kann sogar sterben. Das funktioniert in ganz Afrika und auch in Madagaskar. Dort neigt man jedoch eher dazu, unliebsame Leute zu vergiften. Eine ganze Reihe von Zauberern übt sich in dieser Aktivität und die Mehrheit der Leute glauben daran. Daher lassen sich viele Leute ihre Haare nur von Familienmitgliedern schneiden - oder sie nehmen ihre Haare beim Coiffeur mit und vergraben oder verbrennen sie. Ich jedoch konnte meine Haare nicht mitnehmen. Ein leichter Durchzug wehte sie hinaus auf die Strasse. Die filigranen Gebilde verschmolzen mit dem knöcheltiefen Strassendreck, mit Mutter Natur sozusagen.

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Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Surseer Woche 6. April 2000