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High Noon am River

Ich stehe vor dem Fluss und warte. Warte seit Stunden, warte, bis das Hochwasser abflaut. Ich befinde mich am Muira, 70 Kilometer südlich des Zambezi-Flusses in Mozambique. Der Muira ist hier rund 200 Meter breit. Die hellgraue Lateritpiste führt bis zum Wasser und taucht dann einfach weg. Am jenseitigen Ufer steigt sie wieder aus dem  Wasser und führt hinauf auf eine Anhöhe. Dort verschwindet sie im Grün des Buschwaldes. Beidseitig des Flusses warten Leute. Auch sie möchten hinüber. Doch hier gibt es keine Brücke. Der Muira ist während acht Monaten ein ausgetrocknetes Sandbett. Doch in der Regenzeit schwillt er an wie jetzt. Ein reissendes, gieriges Wildwasser. Der Fluss kommt aus Zimbabwe und wenn es dort regnet, ist der Distrikt Tambara isoliert. Das heisst 12'000 Leute. Der Fluss mag dann ein paar Tage oder auch wochenlang Hochwasser führen, dann sinkt der Pegel, so dass sogar Autos mit Allradantrieb durch das schenkelhohe Wasser fahren können. Das tat ich letzte Woche, nachdem ich auch einen Tag gewartet hatte, bis das Wasser auf eine riskierbare Höhe abgeschwollen war. Trotzdem heuerte ich ein paar Jungs an, die schoben. Mit Allradantrieb und den johlenden Jungs im Geschlepp schaffte es der Nissan gerade, durch den Sanduntergrund und durch die Strömung zu pflügen. Jetzt jedoch ist das nicht möglich. Der Muira führt Hochwasser. 

Muira bedeutet in der lokalen Chibalu Sprache trinken. Denn in den langen Monaten zwischen Mai und Dezember graben die Anwohner im Sandbett des Trockenflusses nach Wasser. Wer dann durch den Sand fährt würde nie glauben, dass hier Wasser je ein Hindernis sein könnte. Die Jungs sagen, sie möchten keine Brücke, denn in den paar Monaten Regenzeit verdienen sie sich Geld, indem sie Lasten auf dem Kopf über den Fluss tragen. Dies ist willkommen in einer Region, wo es ausser Hirseanbau und Ziegenhaltung keinerlei Verdienstmöglichkeiten gibt. Für 50 kg verlangen sie rund 80 Rappen. Steigt der Fluss jedoch mehr als bauchnabelhoch, stellen sie den Frachtverkehr ein. Aber auch dann lotsen sie für den doppelten Preis Personen durch den Fluss. Weiter flussaufwärts kennen sie eine Furt zwischen Felsen, die es auch bei brusthohem Wasser erlaubt, den Fluss zu durchwaten. Jetzt jedoch ist auch dieser Service eingestellt. Der Muira ist reissend. So sitze ich in meinem Auto und schreibe diesen Bericht. Ich bin morgens früh angekommen. Mein Nissan ist ein Pick-up, auf der Ladepritsche habe ich Diesel, Treibstoff für einen Aussenbordmotor und Öl geladen. Alles, was man so braucht in einer Region, wo die nächste Tankstelle 300 km weit weg ist. Von der Gegenseite erwarte ich meinen Mitarbeiter Ricardo, der mit einem Lastwagen herkommen sollte, um die Hilfsgüter abzuholen, die ein anderer Lastwagen bringen sollte. Doch beide sind nicht da. Den diesseitigen Lastwagen habe ich gestern Abend noch gesehen. Mit Ricardo habe ich seit letzter Woche keinen Kontakt mehr gehabt. Das nächste Telefon ist 400 km südlich. Ein Funkgerät ist 70 km weit weg – auf der anderen Seite des Flusses. Ein anderes ist in Macossa, 200 km südöstlich. Doch mit Ricardo hatte ich vereinbart, an diesem Dienstag am Fluss zu sein. Offenbar kommt er beim Fluss Mangali auch nicht durch. Der Mangali ist ein mickriger Bach, der bei Lokalregen jedoch böshaft  anschwillt. Und gestern Abend hat es mit der Wucht der Victoriafälle geregnet. So bleibt für mich nur warten. Das erinnert an meine Zeit, als ich Lastwagentransporte in den Orient machte. Da blieb man auch ab und zu ein paar Tage an einer Grenze hängen oder einmal sechs Tage in der Wüste Saudiarabiens, weil alle Einreisende in Choleraquarantäne mussten.

Der Himmel ist bewölkt, es wird wieder regnen. Trotzdem ist es warm. Aus dem Gebüsch zwitschern Vögel und eine Affenfamilie turnt in einem breitausladenden Baum herum. Hinter mir stehen ein paar Baobab, die mit ihren weissgrauen Stämmen wie hingesteckt wirken. Es ist kein anderes Auto hier. Ich habe aus Bordbeständen etwas gegessen und mit Schnellkaffee und lauwarmen Trinkwasser einen Kaffee gemacht. Ein paar hundert Meter hinter mir befindet sich ein Dorf: ein paar Steckenhütten mit Dach. Dort gibt es sogar eine kleine Bäckerei, die taugliches Brot herstellt und zwar in einem alten Ölfass. Angepasste Technologie sagt man dem in der Sprache der Südhelfer. Der Fluss sei abnehmend, meinen die Jungs, die herumlungern und auf Arbeit warten. Mein Lastwagen wird 15 Tonnen bringen. Das gibt Einkommen für rund 30 Leute, auch Frauen drängen sich heran, um Lasten durch das Wasser zu tragen. Letzte Woche brachte ich auch 15 Tonnen und das liess einen Verdienst von rund 100 Franken zurück. Ziegen weiden links und rechts im Gebüsch. Die Landschaft ist flach, baumbestanden und mit dichtem Busch. Ab und zu ein Weiler mit Lehmhäusern. Ziegenherden, ein paar Hühner und seltener schwarze Schweine mit Hängebauch. Kaum Schafe, das Klima gefällt ihnen nicht. Und dann dieser erdbraune Fluss. Ein Ort, der irgendwo in Afrika sein könnte. Nur bin ich zufällig hier und möchte meine Ware hinüberschaffen und das geht nicht. Also abwarten, die grosse Qualität, die Afrikaner den Europäern voraus haben.

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Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Surseer Woche 10. Mai 2001