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High Noon am River Ich
Muira
bedeutet in der lokalen Chibalu Sprache trinken. Denn in den langen
Monaten zwischen Mai und Dezember graben die Anwohner im Sandbett des
Trockenflusses nach Wasser. Wer dann durch den Sand fährt würde nie
glauben, dass hier Wasser je ein Hindernis sein könnte. Die Jungs sagen,
sie möchten keine Brücke, denn in den paar Monaten Regenzeit verdienen
sie sich Geld, indem sie Lasten auf dem Kopf über den Fluss tragen. Dies
ist willkommen in einer Region, wo es ausser Hirseanbau und Ziegenhaltung
keinerlei Verdienstmöglichkeiten gibt. Für 50 kg verlangen sie rund 80
Rappen. Steigt der Fluss jedoch mehr als bauchnabelhoch, stellen sie den
Frachtverkehr ein. Aber auch dann lotsen sie für den doppelten Preis
Personen durch den Fluss. Weiter flussaufwärts kennen sie eine Furt
zwischen Felsen, die es auch bei brusthohem Wasser erlaubt, den Fluss zu
durchwaten. Jetzt jedoch ist auch dieser Service eingestellt. Der Muira
ist reissend. So sitze ich in meinem Auto und schreibe diesen Bericht. Ich
bin morgens früh angekommen. Mein Nissan ist ein Pick-up, auf der
Ladepritsche habe ich Diesel, Treibstoff für einen Aussenbordmotor und Öl
geladen. Alles, was man so braucht in einer Region, wo die nächste
Tankstelle 300 km weit weg ist. Von der Gegenseite erwarte ich meinen
Mitarbeiter Ricardo, der mit einem Lastwagen herkommen sollte, um die
Hilfsgüter abzuholen, die ein anderer Lastwagen bringen sollte. Doch
beide sind nicht da. Den diesseitigen Lastwagen habe ich gestern Abend
noch gesehen. Mit Ricardo habe ich seit letzter Woche keinen Kontakt mehr
gehabt. Das nächste Telefon ist 400 km südlich. Ein Funkgerät ist 70 km
weit weg – auf der anderen Seite des Flusses. Ein anderes ist in Macossa,
200 km südöstlich. Doch mit Ricardo hatte ich vereinbart, an diesem
Dienstag am Fluss zu sein. Offenbar kommt er beim Fluss Mangali auch nicht
durch. Der Mangali ist ein mickriger Bach, der bei Lokalregen jedoch böshaft
anschwillt. Und gestern Abend hat es mit der Wucht der Victoriafälle
geregnet. So bleibt für mich nur warten. Das erinnert an meine Zeit, als
ich Lastwagentransporte in den Orient machte. Da blieb man auch ab und zu
ein paar Tage an einer Grenze hängen oder einmal sechs Tage in der Wüste
Saudiarabiens, weil alle Einreisende in Choleraquarantäne mussten. Der
Himmel ist bewölkt, es wird wieder regnen. Trotzdem ist es warm. Aus dem
Gebüsch zwitschern Vögel und eine Affenfamilie turnt in einem
breitausladenden Baum herum. Hinter mir stehen ein paar Baobab, die mit
ihren weissgrauen Stämmen wie hingesteckt wirken. Es ist kein anderes
Auto hier. Ich habe aus Bordbeständen etwas gegessen und mit
Schnellkaffee und lauwarmen Trinkwasser einen Kaffee gemacht. Ein paar
hundert Meter hinter mir befindet sich ein Dorf: ein paar Steckenhütten
mit Dach. Dort gibt es sogar eine kleine Bäckerei, die taugliches Brot
herstellt und zwar in einem alten Ölfass. Angepasste Technologie sagt man
dem in der Sprache der Südhelfer. Der Fluss sei abnehmend, meinen die
Jungs, die herumlungern und auf Arbeit warten. Mein Lastwagen wird 15
Tonnen bringen. Das gibt Einkommen für rund 30 Leute, auch Frauen drängen
sich heran, um Lasten durch das Wasser zu tragen. Letzte Woche brachte ich
auch 15 Tonnen und das liess einen Verdienst von rund 100 Franken zurück.
Ziegen weiden links und rechts im Gebüsch. Die Landschaft ist flach,
baumbestanden und mit dichtem Busch. Ab und zu ein Weiler mit Lehmhäusern.
Ziegenherden, ein paar Hühner und seltener schwarze Schweine mit Hängebauch.
Kaum Schafe, das Klima gefällt ihnen nicht. Und dann dieser erdbraune
Fluss. Ein Ort, der irgendwo in Afrika sein könnte. Nur bin ich zufällig
hier und möchte meine Ware hinüberschaffen und das geht nicht. Also
abwarten, die grosse Qualität, die Afrikaner den Europäern voraus haben. |
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Franz Stadelmann |
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Publiziert in Surseer Woche 10. Mai 2001 |
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