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Von Städten: K., Zaire,  400 000 Einwohner

Kisangani

Der grüne Moder greift in die feuchten Mauern. In grauen Flecken zersetzt er Mörtel und Gestein. Und blättrig rot frisst sich das Rostgewürme durch Eisen und Stangen. Täglich wäscht der Himmel. Die Zersetzung blank. Und was überdauert hätte. Hat Menschenwut zerstört. Nach der ersehnten Unabhängigkeit und ihren Wirren. Und vor kurzem erneut. Weil sich die Bewohner wieder sehnen. Nach Unabhängigkeit. Derweil gleitet der Fluss vorbei. Unterhalb der Schnellen. Deren Steine keine Passage erlauben. Daher wurde die Anlegestelle zur Stadt. Und zur Lunge des gigantischen Hinterlandes. Das im Schatten seiner Mammutbäume schlief. Aufgeweckt wurde. Und jetzt wieder döst. Denn auch die Strassen sind von Löchern zerfressen. Und über die Schienen laufen nur noch Barfüsse. Die Stadt an der Biegung. Einst benannt mit Königsnamen. Ist unbedeutend geworden. Doch hinter all dem Zerfall. Steht ein störrisches Trotzdem. Denn das Schiff kommt immer wieder. Trotzdem. Denn in den Hausruinen wohnen Leute. Trotzdem. Denn es wird verkauft und gekauft. Trotzdem. In der Stadt ohne Licht leben die Leute mit selbstgemachten Kerzen. Oder auch ohne. Entlang den mageren Strassen der Stadt. Verstecken sich hinter Eisengittern ein paar Geschäfte, Verkaufsläden ähnlich. Es lassen sich auch Restaurants finden und gar Hotels. Und ein Markt, so bunt wie ein Tropenfalter. Es gibt das Lachen und Augen voll Freude. Trotzdem. Die Kraft kommt vom Fluss in seiner Unendlichkeit. Breit bis fast an den Horizont. Er trägt aus der Hauptstadt die Schiffe heran. Diese schwimmenden Städte. Übervoll mit Gütern und Menschen. Die der Stadt beweisen. Dass sie kein zeitlich beschränkter Irrtum auf einer Waldlichtung ist.

 

 

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Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Neue Zürcher Zeitung 06. 07. 1996