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Die kleine Welt der Nuba

Die Nuba-Berge liegen mitten im Sudan und bildeten seit Jahrtausenden eine natürliche Festung. Die Leute zogen sich in die unzugänglichen Täler zurück aus Angst vor Menschenräubern. So ist es auch heute noch. Zum Beispiel in Heiban. Das Dorf war immer unter Regierungskontrolle, die umgebende Region jedoch nicht. Dort leben die Menschen am liebsten auf den Hügelrücken, wohin kein Panzer fahren kann. Auch heute noch beobachten die Leute jedes Flugzeug im Himmel. Noch vor wenigen Monaten bedeutete das Brummen eines Flugzeugmotors Gefahr: Bomben und Beschiessungen. Fliehen konnten die Menschen kaum: wohin denn auch? In den Ebenen rings um die Nuba-Berge wartete die Artillerie der Regierung, in den Schluchten versteckten sich die SPLM-Buschkämpfer. Zu sagen ist, dass es im Sudan keinen gerechten Krieg gibt, sofern es dies überhaupt je gibt. Beide Seiten haben mehr als schmutziges Blut an den Händen, beide Seiten haben Kriegsverbrechen begangen, beide Seiten geben vor, für eine gerechte Sache zu kämpfen. Die einen stellen ihre Argumente unter die dunkelgrüne Fahne Allahs, die anderen haben Freiheit und Christus als Leitmotiv. So einfach ist es nun aber auch nicht. Der Chef der Nuba-SPLM ist Moslem und innerhalb der moslemischen Regierungsbataillone finden sich auch Christen. Auch im Sudan wird die Religion dazu missbraucht, einen Krieg zu motivieren und zu erklären. Letztlich geht es im Sudan um Macht, Geld und um die Kontrolle der beiden Ressourcen Öl und Wasser.

Das alles aber kümmert die 32-jährige Miriam nicht. Sie lebt mit ihren vier Kindern in einem Weiler in der Nähe von Heiban. Sie bewirtschaftet ein paar kleine Felder, wo sie Mais und Hirse anbaut. Das Wasser holt die älteste Tochter von einem Brunnen. Dazu ist das achtjährige Mädchen jeden Tag zwei Stunden zu Fuss unterwegs. Auf dem Kopf schleppt es so rund 20 Liter pro Tag heran. Miriams Mann ist seit Jahren verschwunden. Sie hat keine Idee, wo er ist oder ob er noch lebt. Wurde er verschleppt? Ging er in den Krieg? Rannte er vor ihr davon? Kürzlich kamen ausgemusterte Soldaten aus dem Süden zurück, aber keiner hatte von Miriams Mann gehört. Der eine hatte seinen Fuss verloren, der andere ist vom Guinea-Wurm befallen. Miriam hat den beiden Unterschlupf gewährt, weil sie der gleichen Sippe angehören. Der Fussamputierte hilft ein bisschen auf den Feldern mit. Der andere ist arbeitsuntauglich, seine Beine sind aufgeschwollen. Die Guinea-Würmer fressen sich durch die Beine, so dass die Gänge wie dicke Krampfadern herausragen. Ein Guinea-Wurm kann bis zu einem Meter lang werden. Erst wenn das Weibchen Eier legen will, bohrt es sich durch die Haut nach aussen. Dann kann man den bleistiftdicken Parasiten ein paar Zentimeter herausziehen und vorsichtig auf ein Hölzchen spulen. Diese schmerzhafte Operation muss jeden Tag wiederholt werden und dauert je nach Länge des Wurms bis zu zwei Wochen. Dabei entzündet sich die Wunde zu einem heillosen Eiterherd. Der ehemalige Soldat kann lesen und schreiben und bringt den Kindern trotz seiner Schmerzen das Alphabet bei, denn eine Schule hat diese Siedlung nicht.

Miriam ist trotz der misslichen Situation zufrieden, denn seit über einem Jahr haben in den Nuba-Bergen keine Kampfhandlungen mehr statt gefunden. Ihr ist es letztlich egal, welche Kriegspartei hier herrscht. Ihre Vorfahren haben schon auf dieser Seite des Berges gelebt, vor Jahren musste zwar auch sie fliehen, doch sie kehrte kurze Zeit später wieder zurück. ’Ich hatte Angst um meine Kinder und in der Region sind auch schreckliche Dinge passiert. Aber ein Leben in ständiger Flucht wollte ich auch nicht’, erklärt die Frau, die ihren Kindern nur eine Mahlzeit pro Tag zubereiten kann. Für mehr reicht es nicht.

Sie geht nun sogar auf den Markt in Heiban und trifft dort auch Leute von der Gegenseite. ’Wir alle sind Menschen', sagt sie: 'Wir alle sind Nuba.' Das ist vielleicht einer der wenigen positiven Entwicklungen des Sudankonflikts: die über 50 grundverschieden Völker der Nuba-Berge haben nun ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt. Vielleicht schaffen sie es sogar, ihre neue Identität auch gegen aussen und auch politisch zu manifestieren. Das wäre ihnen zu wünschen, wie auch der Sudan erst zur Ruhe kommen wird, wenn ein faires Mitspracherecht für alle garantiert sein wird. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, sowohl im Sudan als auch anderswo. Doch die Nuba-Berge sind bloss doppelt so gross wie die Schweiz, der Sudan selber als flächengrösser Staat Afrikas ist sechzigmal so gross wie die Schweiz und in der Hälfte dieser Fläche herrscht seit zwei Generationen ein Dauerkonflikt. Erst seit wenigen Monaten hat ein sehr wackliges Abkommen vielleicht einen Weg zu einer friedlicheren Zukunft geöffnet.

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Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Surseer Woche