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Im komorischen Wolkenhimmel 

Kürzlich war ich auf den Komoren. Diese Inseln dieses Atolls liegen zwischen Afrika und Madagaskar im Kanal von Moçambique. Die Islamische Bundesrepublik der Komoren umfasst drei Inseln. Die vierte Insel, Mayotte, hatte sich bei einer Abstimmung 1975 für den Verbleib bei Frankreich entschieden. Die Bundesrepublik ist Mitglied der UNO und notorisch defizitär. Sie lebt nur von Überweisungen ihrer Emigranten, die im Paradies Frankreich arbeiten. Millionenschwere Entwicklungshilfe-gelder halten den Staat und vor allem seine Machthaber über Wasser. Zudem hat sich die bevölkerungsreiche Insel Anjouan vor zwei Jahren als unabhängig erklärt und strebte zum Nektarhahn Frankreichs. Nur wollten die Franzosen die Insel nicht mehr haben, Mayotte kostet schon genug. So segelt Anjouan seither zwischen allen Fronten. Die eigenen Briefmarken werden nirgendwo anerkannt, die Bewohner erhalten keine Pässe, zudem ist die Insel von Fraktionen heillos zerstritten. Es ist eine Art Pirateninsel geworden unter Kontrolle von Sultanen, wie sie es während Jahrhunderten war. Politisch sieht es in der Bundesrepublik nicht anders aus. Seit der Unabhängigkeit sind 20 Staatsstreiche verübt worden, manchmal mit Hilfe von Legionären, manchmal ohne, manchmal mit Erfolg, manchmal ohne. Die Komorer haben inzwischen Übung darin: beim Putsch vom letzten April (erfolgreich) fiel kein Schuss, es gab keine Toten und keinen Aufruhr. Der neueste Putsch zu Beginn September blieb ein Versuch. Der nächste wird bestimmt schon vorbereitet. Ich war also auf der Hauptinsel der Bundesrepublik und wollte auf die kleine Insel Mohéli gelangen. Diesmal klappte es. Das Flugzeug war mitsamt zwei Piloten und einer Stewardess von Südafrika gechartert. Der Hochdecker schob sich über die Startbahn, hob ab und zwanzig Minuten später landeten wir auf der kleinen Insel Mohéli. Vor ein paar Monaten hatte ich schon versucht, auf diese Insel zu gelangen. Damals sass ich im Flugzeug, zusammen mit rund zwanzig anderen Leuten. Die Tür zur Pilotenkanzel liess sich nicht mehr schliessen. So sah man den Piloten, der sich verzweifelt bemühte, das Flugzeug zu starten. Man hörte ein Klicken, dann kam nichts mehr. Die Passagiere wurden unruhig. Es war heiss in der Maschine. Ein erneutes Klicken und dann nur noch Stille. Die Leute begannen sich zu beschweren. Komorer sind nicht so schicksalsergeben wie die Madagassen. Sie sind eine Mischung zwischen Arabern und Afrikanern, laut und zeternd. Einer mit einem moslemischen Käppi auf dem Kopf tat sich besonders hervor. Später vernahm ich, dass er einer oppositionellen Gruppierung angehörte. Schlimm sind jedoch diejenigen, die in Frankreich arbeiten und auf Heimatbesuch sind. Sie gebärden sich wie kleine Franzosen. Ungeduld kam auf. Die Passagiere begannen, mit dem Piloten zu diskutieren. Er erklärte ihnen die Funktionsweise der halben Maschine. Jemand schlug vor, das Flugzeug anzuschieben. Das wurde vom Piloten jedoch abgelehnt. Die Inseln der Komoren haben eine lange Tradition mit nicht funktionierenden Flugverbindungen. Früher gab es die Air Comores, die im Endstadium ihrer Existenz zu Beginn der 90er Jahre noch eine einzige Fokker hatte. Diese Maschine konnte 17 Passagiere transportieren. Für das Management der Airline waren 168 Angestellte beschäftigt. Und auch ihnen gelang es nicht, das Fluggerät der staatlichen Firma einigermassen zu managen. Dann kam die flügellahme Zeit, die Leute überquerten das Meer mit Holzschiffen und Pirogen wie schon seit Jahrhunderten. Eine oder zwei Fluggesellschaften versuchten sich zu etablieren. Ein schwieriges Unterfangen in einem Land, das von Korruption so zerfressen ist wie die Hänge des Vulkans Karthala.

Schliesslich mussten wir alle aussteigen, der Pilot ging auf die Suche nach dem Mechaniker, den er ein paar Stunden später in der Stadt fand. Der Mechaniker mit seinem blendendweissen Overall erweckte spontan Vertrauen. Aber das Flugzeug brachte auch er nicht zum starten. Gegen Abend wurde uns dann gesagt, dass der Flug ausfallen würde. Wann er stattfinden würde, konnte niemand sagen. Wir sollen Radio hören, morgen würde per Rundfunk mitgeteilt, wann das Flugzeug wieder fliegen würde.

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Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Surseer Woche 30. September 1999