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Aller
Kummer dieser Welt Wer
auch immer in Afrika unterwegs ist, wird unweigerlich gebeten, irgendwo
ein Paket, einen Brief oder Geld abzuliefern. Das hat damit zu tun, dass
die Post in Afrika unterschiedlich zuverlässig ist und oft sehr lange
dauert. Aber auch damit, dass sich die Leute die Portokosten sparen
wollen. So war ich also kürzlich auf den Komoren und natürlich gab es
Post. Der indische Honorarkonsul vertraute mir Pässe an, weil sich die
Botschaft in Madagaskar befindet. Tags zuvor gab mir die Verantwortliche
in einem Kunsthandwerkzentrum Bargeld und einen Brief für ihre Schwester
mit. Noch auf dem Flughafen hielt mir jemand ein nicht kleines Paket vor
die Nase. In solchen Fällen komme ich jeweils in Konflikt mit der
dringlichen Bitte der Luftgesellschaften, kein fremdes Gepäck anzunehmen.
Zudem stand ein mir flüchtig bekannter Madagasse mit ziemlich Gepäck vor
dem Flughafen, weil er zurück in seine Heimat zog. Ich anerbot ihm, Kilos
auf meinen Flugschein zu registrieren, und ich fand noch zwei weitere
Tickets, die ohne Begleitgepäck waren. Es blieb zwar noch Frachtgepäck
übrig, aber sein Umzugsbudget reduzierte sich doch erheblich. In Madagaskar angekommen, beginnt das Problem der Auslieferung. Ich nehme solche Aufträge immer sehr ernst. Denn auch ich habe schon Briefe und Geld wildfremden Leuten anvertraut. Das Erstaunliche ist: es klappt immer. So rufe ich also die Empfänger an oder schicke jemanden, die Person zu suchen. Einfach ist das ja nie. Die Leute wohnen in engen Quartieren, deren Hausnummern im besten Fall mit Kreide angemalt sind. Oder bei der angegebenen Telefonnummer meldet sich jemand, der den Empfänger nur äusserst knapp kennt. Wenn ich Geld abliefern muss, dann lasse ich den Empfänger generell ins Büro kommen und eine Quittung unterschreiben, die ich dann dem Absender zuschicke – per Post. So auch bei Hamiati Goulam, deren Schwester ich im Kunsthandwerkzentrum von Itsandra kennengelernt hatte. Hamati besucht in Antananarivo eine Schule, weil es weiterführende Schulinstitute auf den Komoren nicht gibt. Ich übergab ihr die fünfhundert französischen Franken, und damit war für mich der Fall eigentlich erledigt. Doch drei Tage später tauchte sie wieder auf und fragte, ob sie Bücher über Madagaskar ausleihen könne, weil sie sich auf eine Prüfung vorbereiten müsse. Dagegen habe ich nichts, nur aus dem Büro dürfe sie die Bücher nicht nehmen. Damit habe ich leider schlechte Erfahrungen gemacht. Aber sie könne zur Lektüre während unserer Öffnungszeiten kommen. Was sie dann auch macht. Aber letzten Dienstag schleicht sie spätnachmittags ins Büro und sagt, sie habe ein Problem. Wer in Madagaskar ein Problem vorbringen will, meint Geld. Dies meine Erfahrung aus zwölf langen Jahren. Ihre Prüfungen würden übermorgen beginnen. Doch nun habe der Schuldirektor ihr dieses Schreiben zukommen lassen. Sie schiebt mir einen spielkartengrossen Zettel hin. Das Schulgeld sei seit Juni nicht bezahlt und ohne Bezahlung dürfe sie nicht an der Prüfung teilnehmen, war da in Handschrift zu lesen. Sie schluchzt. Nun habe sie sich zwei Jahre lang aufgeopfert, um diese Schule zu besuchen und ohne Diplom wage sie nicht, nach Hause zurückzukehren. Zudem sei sie für ein Praktikum im prestigeträchtigen Hotel Ylang in Moroni angemeldet. Kurzum: sie sass in der Patsche. Sie habe die ganze Nacht geweint und das tut sie nun auch vor mir. Ich halte ihr einen kleinen Vortrag über die Frage, warum sie seit Juni diese Geschichte nicht an die Hand genommen habe. Meine Worte fallen auf steinigen Boden. Sie habe ihre Schwester und ihre Eltern schon lange darauf hingewiesen. Gestern abend habe sie ihrer Schwester anrufen wollen, aber das Telefon habe nicht funktioniert. (Natürlich geht mir auch folgender Gedanke durch den Kopf: diese Sache hat sie erfunden, um zu Geld zu kommen. Eigentlich sollte ich jetzt dem Schuldirektor anrufen - der zu dieser Stunde bestimmt nicht in seinem Büro anzutreffen ist - und versuchen nachzuforschen, ob diese Geschichte auch wahr ist. Aber was ist schon wahr in Afrika?) Ich gebe ihr ein Blatt Papier, bitte sie, ihr Anliegen klar und deutlich zu formulieren, denn ich kenne die Faxnummer des Handwerkzentrums. Nur piepst es zwar dort, doch das Fax will nicht durch. Sie kenne jemanden, der eine andere Faxnummer habe. Sie ruft an, die Person muss aber erst gesucht werden. Nach einer halben Stunde hat sie noch immer keine Antwort. Schliesslich tippt meine Sekretärin das Schreiben in den Computer und ich schicke es als eMail zu einem Schweizer Missionar, der gleich neben dem Zentrum wohnt mit der Bitte um Weiterleitung. Am nächsten Tag ist die Antwort bereits zurück: die Schwester habe im Moment kein Geld, wolle es aber auftreiben und am kommenden Sonntag jemandem mitgeben. So sitzt sie wieder vor mir, weinend. Die Prüfungen sollen am kommenden Tag beginnen. Ob ich vielleicht das Geld vorschiessen könne? Garantiert werde sie es zurückbezahlen. Wie oft habe ich das schon gehört und wieviel Geld habe ich dabei schon verloren. Viel. Sehr viel. Ihr schwarzes Gesicht spiegelt ganzen Kummer dieser Welt, Tränen glitzern auf den Wangen. Und jetzt: was machst du nun? |
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Franz Stadelmann |
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Publiziert in Surseer Woche 4. November 1999 |
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