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Die Weisheit des Legionärs Ich
traf
ihn in einer Stadt am Ufer des Zambezi Flusses. Das Restaurant war nicht
das schlechteste dieser Welt, es hatte ein ziemlich brauchbares Klo und
eine schöne Aussicht auf den breiten Fluss, über dem das Gesicht des
Mondes lag. Ausser den Sternen dieser Südwelt war nichts zu sehen, denn
es herrschte gerade Powercut (stromlose Zeit). Ich sah in seine Augen und
wusste, dass sie alles gesehen hatten. Da waren keine Geheimnisse mehr.
Wir kamen ins Gespräch, er nannte sich André. Er war um die fünfzig,
hager, drahtig. Wahrscheinlich Franzose. Er sei Pilot. In Indochina sei er
dabei gewesen. Diese Sache sei seit dreissig Jahren vorbei, wollte ich
einwenden, doch vielleicht hatte er ja früh begonnen. Wer weiss? Dann sei
er in Afrika im Einsatz gewesen. Verheiratet sei er in Indochina und in
Djibouti gewesen und – ach ja – auch in Zaire, als das Land noch so
hiess. Im jetzigen Kongo flog er für einen Belgier, mal hierhin, mal
dorthin, mal für jene, mal für die anderen. Mal war der Flugplatz in
dieser Hand, mal in einer anderen. André war immer willkommen. Einmal sei
ihm ein Triebwerk weggeschossen worden, mit dem zweiten habe er in einer
deutlichen Schieflage doch noch irgendwie landen können. André erhob
sich im Restaurant und über dem Tisch baumelnd demonstrierte er, wie er
damals gelandet sei. Die in Flaschen gesteckten Kerzen fackelten um ihr
Leben. Runterzufallen wäre für ihn kein Problem gewesen, ’aber wenn du
mal proper hochsteigst, musst du auch proper runterkommen’, meinte er.
Berufsehre, sozusagen. Zur Ruhe setzen wolle er sich in Laos, über dem
Mekong ein Hotel bauen. Warum? ’Weil ich dann nur die Arme ausbreiten
brauche, um den Mekong zu überfliegen und über all diese Mäander zu
kurven’. Er breitete seine Arme aus und flog tatsächlich hinein in die
Weiten seiner Phantasie. Die Zungen der Kerzen beruhigten sich wieder. Er
war Söldner – gewesen oder immer noch - und es war ihm egal, für wen
er arbeitete. ‚Das irdische Leben interessiert mich nicht’, sagte er.
’Auch ich weiss, warum Buddha lächelt’, meinte ich. Er nickte. Wir
verstanden uns. Er hatte lange in Angola gearbeitet. In Huambo sei er
einfach reingeflogen, hinunter geglitten und in gerader Linie auf die
Landepiste zu. Andere schraubten sich hinunter, weil Huambo nur auf 20 km
Durchmesser sicher war. Die russischen Piloten im Sold der einen Partei
nahmen auf ihrem Rückweg immer Leute mit, als human shields, menschliche
Schutzschilder und am liebsten waren ihnen Missionare. Ein paar wurden
trotzdem abgeknallt. Einmal sei er auf einer Strassenpiste im Dschungel
gelandet, weil er gesehen habe, dass ein Flugzeug runtergeschossen worden
war. Da war aber nichts mehr zu machen. Sein Problem danach sei gewesen,
seinen Flieger auf der Erdstrasse zu wenden. Und
dann kamen die Geschichten, die widerzugeben an dieser Stelle - leider -
nicht möglich sind. Aber es waren welche, die er zum Glück farbenprächtig
ausmalte, sodass ich nachhaltig darüber meditieren konnte. Wir kamen kurz
auf Madagaskar zu sprechen. ’Kein Krieg, keine Arbeit’, war seine
Antwort und damit das Thema abgehackt. Die Komoren waren interessanter,
aber Angola war sein deutlicher Hit. Er habe es sogar geschafft, Hinfracht
für die eine Partei zu fliegen und die Rückfracht von der anderen
bezahlen zu lassen. Treibstoff transportiere er nicht gern. ’Gefährlich’,
meinte er. Zudem sollte man dann nicht rauchen. Sein Problem war die
Blase. Einmal sei er auf einem Sportplatz, eine Art von Sportplatz präzisierte
er, gelandet, um zu pinkeln. Meist habe er eine Flasche dabei. Von dieser
Krankheit habe ich von Baggerfahrern und von Fernfahrern schon gehört,
aber Piloten? Wer will schon wissen, welche seiner Geschichten wahr sind
und welche nicht? Er erzählte anschaulich und einprägsam, ganz in der
Art der afrikanischen Geschichtenerzähler und dort fragt man ja auch
nicht nach dem Wahrheitsgehalt. Unvermittelt
wurde er ernst. Seine Arme blieben in der Luft hängen, seine Stimme wurde
tief und eindringlich: ’Merke dir eins und lass es dir gesagt sein von
einem, der es erlebt hat. Der fatale Schuss kommt nicht von dort, wo du
ihn erwartest. Du denkst der Feind ist dir gegenüber. Tatsache ist, dass
der Schuss in deinen Rücken einschlägt und es ist nicht immer dein
Feind, der am Drücker ist.’ Dann wurde er still. Seine Arme sanken wie
abgeschossene Enten hinunter, die bislang stählernen Schultern sackten
zusammen. Ich fragte ihn nach mehr, doch er schwieg. Seine Augen hingegen
erzählten all die Qualen, die dieser Mensch gesehen und durchgemacht
haben musste. Sein Gesicht spiegelte erneut: André hat alles gesehen und
stand wohl öfters auf der falschen Seite. In diesem Land bezahlt man einen Restaurantaufenthalt schnell mal mit einem Bündel Banknoten. Unser Abend kostete einen halben Zentimeter. Der Kellner zählte die Banknoten direkt an unserem Tisch. Note um Note - eher Papierlumpen um Papierlumpen - flossen die Stunden dieses Abends durch seine Finger. Am nächsten Morgen ging ich zum Flughafen. Unbemalte Flugzeuge standen dort, keine Identifikation, keine Beschriftung. André sei frühmorgens nach Dodola abgeflogen. ’In Dodola gibt es keinen Flughafen’, sagte ich. ’Ich weiss’, antwortete der Controller und lächelte. |
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Franz Stadelmann |
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Publiziert in Surseer Woche 28. November 2001 |
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