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Aus
einsamen Gegenden 'Rien
à signaler', keine Bemerkungen. Mit diesem Satz, der in amtlichen
Rapporten Madagaskars oft auftaucht, möchte ich den Bericht über
Maintirano am liebsten bewenden lassen. Es gibt nichts über Maintirano zu
sagen. Ein verschlafener Ort in einer verlassenen Gegend an der Westküste
Madagaskars. Während mindestens zehn Monaten im Jahr ist diese
Bezirkshauptstadt mit einem Strassenfahrzeug nicht zu erreichen. Es
bleiben nur das Flugzeug oder die unregelmässig verkehrenden
Segelfrachtschiffe. Maintirano liegt in der abgelegensten Gegend
Madagaskars, nur 300 km Luftlinie westlich der Hauptstadt. Doch von
Antananarivo führt die Strasse nur bis Tsiroanomandidy. Dann zweigen ein
paar Karrenwege ab, die in die wenigen, weit verstreuten Dörfer führen,
aber die Bongolava-Hügel nicht überqueren. Früher führte eine Piste über
die savannenartige Steppe an die Westküste, sie ist auf einigen
Landkarten noch verzeichnet. Doch in Madagaskar sollte man den Karten
nicht immer vertrauen. Von Norden her führt eine Piste der Küste entlang
bis Soalala. Die dortige Zuckerfabrik sorgt für einen einigermassen
tolerablen Strassenzustand. Für die Weiterfahrt Richtung Maintirano
braucht man ein Allradfahrzeug, Glück, Zeit und keinen Regen. Vielleicht
verkehren zehn Fahrzeuge auf dieser Route - pro Jahr. So
habe ich das Flugzeug genommen, von Mahajunga her ein kleines
Propellerflugzeug, das nach einer Stunde Flug auf der holprigen Naturpiste
weit ausserhalb von Maintirano aufsetzte. Maintirano
ist ein mickriges Nest. Die traditionellen Chefs haben weiterhin das
Sagen. Diese Parallelgewalt limitiert den Einfluss der Staatsfunktionäre.
Die ökonomische Macht jedoch liegt bei den Indern. Die vor Generationen
in Madagaskar eingewanderten Inder beherrschen den Handel entlang der
Westküste Madagaskars. Nur wenige Steinbauten säumen die Hauptstrasse.
Vor verfallenden Administrativgebäuden hängt die madagassische Flagge.
Entlang den wellblechbedeckten Holzhäusern zupfen Ziegen an trockenem
Gras. Ein bescheidenes Angebot an Waren findet sich nur in den Geschäften
der Inder: Stoffe, Plastikartikel, Konserven, Rum, Seife. Auf einem
kleinen Markt unter einem Tamarindenbaum werden Trockenfische, ein paar
Knollen und wenige Früchte feilgeboten. Es
ist heiss in Maintirano, die Sonne drückt auf die Ebene. Meine Aufgabe
habe ich innerhalb von zwei Tagen, also schnell, erledigen können. Nun
warte ich auf den Rückflug vom kommenden Tag. Ich könnte zum Strand
gehen und zwischen den bunt bemalten Auslegerbooten spazieren. Ich könnte
den Trockenwald bewandern, vielleicht Lemuren beobachten. Doch ich bleibe
im Schatten einer Verkaufsbude und warte ab. Der Inder hinter dem
Verkaufstisch wedelt mit dem Fliegenfänger vor seinem Gesicht herum, ich
sitze auf einem Sack Reis. Er habe sich an das Leben hier gewöhnt, meint
er. Etwa alle drei Monate fliegt er nach Mahajunga oder nach Antananarivo,
um Geschäfte zu machen und Verwandte zu besuchen. Sein Nachschub kommt
alle paar Monate per Frachtensegler. Es
ist kurz nach der Siesta. Kaum ein Mensch ist auf der Strasse. Ich mache
mich auf den Weg zum Spital. Das Gebäude verdient den Namen kaum. Der
Arzt, der seine Versetzung hierher seltsamerweise nicht als Strafe
empfindet, führt mich herum. Es fehlt an Medikamenten, an
Verbandsmaterial, an Operationsbesteck. Die Betten sind ohne Matratze,
ohne Moskitonetz. Die Kranken haben Bastmatten mitgebracht, die sie auf
das Drahtgitter des Bettes gelegt haben. Nebenan kauern die Verwandten.
Draussen kocht jemand. Die Spitäler geben nie Essen ab. So muss jeder
Kranke von Verwandten begleitet werden. Abends
flanieren ein paar Leute auf der Strasse. Sie mustern den Fremden
neugierig. Es kommen nie Touristen her, selten ein Missionar, manchmal
Beamte auf Dienstreise. Jeder Fremde fällt sofort auf. Ich
könnte zuletzt noch berichten, dass in Maintirano ein jeder jeden kennt
und jeder kennt die Machtverhältnisse eines jeden. Als ich beim Agenten
der Fluggesellschaft meinen Rückflug bestätigen will, findet sich mein
Name nicht mehr auf der Liste, obwohl er bei meiner Ankunft eingetragen
wurde. Jemand war gewichtiger. Doch am nächsten Morgen bin ich trotzdem
im Flugzeug. Der Spitalarzt hat es ermöglicht. |
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Franz Stadelmann |
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Publiziert in Surseer Woche 10. Dezember 1998 |
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