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Von Städten: M., Komoren,  20 000 Einwohner

Moroni

Die Stadt klebt schwarz und eng am Felsenband, den Vulkankegel des Kartala drohend im Rücken. Lavastriemen verlaufen als wulstige Netze bis ins Herz der Wohnquartiere. Trotz der Gefahr interessiert sich Ajouan nicht für ihr gebirgiges Hinterland. Der Ort hat sich der Bucht und ihrem grünen Wasser zugewandt. Haus um Haus, kleine Fensteraugen und versteckte Balkone blicken hinab zum Hafenrund. Am Strand stehen Palmen und verströmen krummgewachsene Ylang-Ylang ihren süsslichen Duft. Das Hafengelände ist zugleich auch Fischmarkt. Der Platz mit seinen Holzkisten und Gerüchen wirkt zwar belebt. Doch weit mehr Menschen versammeln sich vor der Moschee zur Stunde des Gebets. Die Mauern der Stadt sind aus Vulkangestein erbaut und zumeist schwarz. Manchmal jedoch mit frischem Kalk überzogen. In den Höfen wandert der Schatten der Bananenhaine den grobkörnigen Mauergeflechten entlang. Die Gassen sind zu schmal für Autos. Esel transportieren Wasser und Brot. Das Schlurfen der Männer ist noch drei Hauswinkel weiter zu hören. Die Frauen gehen verschleiert. Ihre hennabemalten Hände greifen nach Tropenfrüchten: Mango, Leeches, Orangen. Diese Köstlichkeiten stammen nicht aus den heimischen Steinäckern. Die karge Felseninsel ermöglicht kaum mehr als ein knappes Überleben. Der Komoren-Jugend bleibt nur die Wahl: Ausharren unter Allahs Himmel - oder ferne Horizonte suchen. Touristen kommen nur wenige. Trotz des Korallenriffs vor dem Hafen und dem glitzernd weissen Sandstrand. Die wenigen Hotels, abgeschirmt und versteckt, stehen von den alten Mauern weit entfernt. Mit ihrem Alkohol sind sie weniger gottesgefällig als die islamischen Restaurants in der Stadt. Die Insel ohne Fluss und Bach döst vor sich hin, überragt vom wolkenbedeckten Kartala. Die Stadt in Sonne und Hitze badet ihre Füsse im warmen Meer. Seit Generationen schon und wohl auch noch für lange.

 

 

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Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Neue Zürcher Zeitung 08. 11. 1997