.

 

 

Ab ins Neue Jahr

Weihnachten und Neujahr sind nun vorbei. Weltweit und so auch in Madagaskar. Doch in diesem fernen Land südlich des Äquators haben diese beiden Feiertage weit weniger Gewicht als in Europa. Wohl gibt es rotbewandete Weihnachtsmänner, die sich zwar nicht am 6. Dezember zeigen, sondern gemäss französischer Tradition erst kurz vor Weihnachten. Wie alle Weihnachtsmänner sind sie nicht mit Werbeaufschriften versehen. Dies ist wohl eines der letzten Terrains, das von der Werbewirtschaft noch nicht erschlossen ist. Auch in Madagaskar trägt der Weihnachtsmann eine rote Robe und einen weissen Wattenbart. Mit dieser exotischen Verkleidung hat er bei den Kindern ebenso Erfolg wie anderswo. Doch auch sie bemerken, dass Grossvater Weihnachten, wie sie liebevoll nennen, unter seiner Kutte erheblich schwitzt, denn die Monate vor und nach dem Jahreswechsel haben Temperaturen von über dreissig Grad. Dass die im Land lebenden Europäer bei diesen Temperaturen kaum festliche Gefühle entfalten, ist verständlich. Die Madagassen verbinden hingegen Weihnachten mit Sonne, blauem Himmel – und den täglichen Regenfällen. Allerdings hat dieses Fest für sie keinen hohen Stellenwert. Weihnachten heisst in erster Linie eine bessere Mahlzeit, ein ausgedehnter Kirchengang und ein paar freie Tage. Geschenke gibt man sich erst an Neujahr und dies nur im Familienkreis. Doch den ganzen Januar hindurch und bis weit hinein in den Februar entbieten die Madagassen gegenüber den Europäern noch ein Gutes Jahr. Dieser Wunsch ist eine klare Aufforderung zu einem Geschenk. Bonne Année oder auf madagassisch Tratry ny taona heisst dann eigentlich im Klartext: gib mir ein Geschenk. Das mag Geld sein oder ein T-Shirt oder lieber mehr. Und das erwarten so gut wie alle. Im unmittelbaren Bekannten- und Arbeitsfeld mag das verständlich sein. Doch die Kreise ziehen weiter. Öffnet man das Postfach, hallt ein sonores Bonne Année durch den Kasten und wie ein Luchs späht der Postbeamte durch das Fach. Polizisten stoppen Autos und wünschen den Insassen ein Gutes Jahr. Und mancher Beamte legt erst mal freundlich die Hände auf den Bürotisch und wünscht ein Jahr voll Freude und Glück. Die Gratwanderung zwischen Geschenk und Korruption ist in Ländern des Südens ohnehin sehr schwierig. Die Idee, dass Leute in öffentlichen Ämtern im Sinne der Allgemeinheit handeln sollten, ist nicht weit verbreitet. Dass es letzthin in Deutschland einen Skandal gab, weil die Frau eines Ministers mit dem Dienstwagen einkaufen fuhr, kommentierte ein Bekannter folgendermassen: dazu hat man die Autos doch. So fahren Polizeiautos (Geschenk Frankreichs) jeden Morgen die Kinder der Chefs zur Schule und bringen nachher Madame zum Einkaufen. Darüber ist auch der Fuhrpark der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit (DEZA) nicht erhaben. Nie zirkulieren so viele Autos mit dem grünen 021er Kennzeichen der DEZA, wie ausgerechnet an Wochenenden.  Das mag subjektiv sein, doch als ehemaliger DEZA-Mitarbeiter erlaube ich mir diese Bemerkung. Stilles Tolerieren bis hin zu offener Korruption, die Töne des Liedes mögen variieren und schliessen letztendlich auch die Neujahrsgeschenke mit ein. Seltsam ist, dass niemand vergisst, wem er noch nicht ein Gutes Jahr gewünscht hat. Es scheint fast so, als ob jeder sein Beziehungsnetz anhand des Glückwunsches zum Jahreswechsel neu abtastet. Dabei ist immer klar, wer geben muss (oder sollte) und wer der nehmende ist. Im ortsüblichen System wird durch diese Geschenke ein gewisses Mass an Gunst erkauft. So kommt dann die abonnierte Zeitschrift aus Europa wieder vermehrt in den Briefkasten und wird nicht draussen auf der Strasse von Zeitungsjungs verkauft. Dies dauert zwar nicht lange, solange eben, bis das Neujahrsgeschenk verblasst ist. Da trifft es sich gut, dass es sich die Franzosen zu Kolonialzeiten angewöhnt haben, auch an ihrem Nationalfeiertag Geschenke zu verteilen. Und der ist mehr oder weniger Mitte Jahr.

 

top 

 

Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Surseer Woche Januar 2000