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In den Nuba-Bergen

Mitten im Sudan liegen die Hügel der Nuba. Die grossen Flächen voll Sand und kleinen Büschen gehen abrupt in steile Hügelflanken über. Man sieht sie von weither, blauschwarze, fast unwirkliche Gebilde am Horizont. Plötzlich sind sie da: felsdurchsetzte Felder, Schluchten und nur wenig Bäume.

Die Hügel sind nicht zusammenhängend wie die Alpen. Wie hingeworfen verteilen sie sich auf einer Fläche zweimal so gross wie die Schweiz. Riesige Ebenen liegen dazwischen. Die Nuba sagen, es seien 99 Hügel. Doch geographisch gesehen sind es weit mehr. Alle haben eines gemeinsam: sie sind unzugänglich und sie geben Schutz. Das war auch der Grund, warum sich während Jahrhunderten ganz unterschiedliche Völker dorthin zurückgezogen haben. Denn die Nuba - starke, kräftige Leute - waren begehrte Jagdobjekte der Sklavenhändler. Die arabischen Sklavenfänger drangen von den Ebenen in die Hügel ein, oft unterstützt von Nomaden, und schleppten die Bewohner in Gefangenschaft. So finden sich heute Nachfahren von Nuba-Sklaven in Saudi-Arabien, sogar in Russland und sowieso im islamischen Nordafrika. Oft seit Generationen. Denn die Sklavenjagd hat eine Jahrhunderte alte Tradition. Bis heute ist dieses Problem im Sudan nicht ausgerottet.

Die Nuba leben am liebsten in ihrer selbstgewählten Isolation. So sehr, dass es heute noch über 50 grundlegend verschiedene Sprachen gibt, ganz unterschiedliche Sitten und Gebräuche. Doch während die Sklavenjäger eine Seuche waren, begann vor 15 Jahren die Pest: der sudanesische Bürgerkrieg wurde in diese Bergwelt hineingetragen und zwar mit voller Brutalität. Auch hier wurden Leute verschleppt, Kinder in Camps zu Kindersoldaten erzogen, es wurden Minen gelegt und traditionelle Führer umgebracht. Hunderttausende flohen. Andere blieben und wurden zwangsumgesiedelt, in so genannte Friedensdörfer verlegt.

So haben 15 Jahre Krieg die Nuba-Leute mehr beeinflusst als tausend Jahre Angst vor Sklavenfängern. Heute sind sehr viele der Hügelrücken nur noch mit Ruinen bedeckt. Die Häuser sind zerfallen. Die Felder blieben unbewirtschaftet. Trotz der zahlreichen verlassenen Dörfer gibt es in den Nuba-Bergen aber noch immer Weiler und ganze Dörfer, in denen die Leute ausgeharrt haben. Rund 1,2 Millionen Menschen leben auch heute noch unter widrigen Bedingungen und am liebsten weit weg von Soldaten, Regierung und Verwaltung. Die Nuba bauen traditionellerweise Rundhütten rings um kleine Höfe, sodass eine Familie vier oder fünf Lehmhäuser zur Verfügung hat. Wobei eines dieser Häuser bloss wenige Quadratmeter gross ist und mit Stroh bedeckt ist. Eine der Rundhütten ist der Speicher für die Produkte der kleinen Äcker, die sich in Terrassen entlang der steilen Hügelflanken hinziehen. Die Nuba sind Ackerbauern, sie pflanzen Hirse, etwas Mais und auch Maniok. Wer etwas reicher ist, hat zwei, drei Ziegen. Rinder gibt es so gut wie keine, denn die nomadischen, arabischen Baggara machen auch heute noch Fangzüge auf Rinder und auf Frauen.

Dank Schweizer Diplomatie gelang es vor etwas über einem Jahr, auf dem Bürgenstock einen Waffenstillstand auszuhandeln. Die Nuba-Berge wurden in Zonen aufgeteilt: der Grossteil steht unter Kontrolle der Zentralregierung, etwa 20% des Gebietes ist unter der Herrschaft der sudanesischen Befreiungsbewegung SPLM. Für das Volk macht dies eigentlich keinen Unterschied. Beide Autoritäten sind von aussen und eigentlich möchten die Nuba einfach Ruhe und Frieden haben. Das lassen aber die beiden Kriegsparteien nicht zu. Die islamische Zentralregierung in Khartoum verfolgt einen unterschiedlich starken Fundamentalismus. Die SPLM hingegen ist noch immer eine Guerillabewegung mit mehr militärischen als zivilen Interessen. Trotzdem hält der Waffenstillstand seit nunmehr über 12 Monaten. Die Nuba können nun wieder zu den Märkten gehen, nachts in Ruhe schlafen und die Felder in den Niederungen bestellen – sofern sich dort keine Minen befinden. Für die Nuba bedeutet der Waffenstillstand bereits Frieden. Für die Kriegsparteien mag er bloss eine Erholphase sein. Die kargen Hügel der Nuba interessieren die Säbelrassler nicht sonderlich. Sie sind bloss ein Puzzle in der wirren Kriegsfront. Die reichen Ölfelder südlich der Nuba-Berge sind den Kriegsfürsten viel wichtiger.

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Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Surseer Woche