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Pannendienst in Madagaskar

Folgende Situation in Madagaskar: Da sitzt ein Typ in seinem Auto und hackt auf einem Minicomputer herum. Draussen quietschen Ochsenwagen vorbei, laufen Leute barfuss, Autos und übervolle Minibusse stehen Schlange hinter den trottenden Ochsen. Der Typ bin ich. Diese Zeilen schreibe ich hier in meinem Auto, dessen Motor vor einer halben Stunde einen ziemlich endgültig tönenden Seufzer von sich gab. Die kleinere Explosion hatte zur Folge, dass nichts mehr ging, automässig gesprochen. Da half auch keine stumme Meditation bei geöffneter Kühlerhaube: der Motor blutete Öl. Ich rief zwei Jungs herbei und sie schoben das Auto im Tempo der - meist stehenden - Kolonne voran. Inmitten des sehr stockenden Feierabendverkehrs fiel gar nicht auf, dass mein Vehikel nur mit Muskelkraft vorankam. Seltsam, in einem geräuschlosen Auto zu fahren. Denn die Autowelt Madagaskars entwickelt eine ebenso rege Geräuschkulisse wie die Tropentiere im Dschungel. So schoben mich die Jungs etwa einen Kilometer weiter zu einer Tankstelle. Derweil telefonierte ich mit dem Handy meinem üblichen Garagisten. Er habe gerade kein Auto frei, meinte er, aber so in einer Stunde sei was zu machen. Keine gute Nachricht, denn für solche Jobs nimmt er normalerweise die Autos seiner Kunden und ich habe seit ein paar Wochen mein anderes Auto bei ihm in Reparatur. Daraus schliesse ich, dass es immer noch nicht fertig ist. Also warte ich an der Tankstelle und beginne, diesen Text zu schreiben. Ich habe einen kleinen Psion, so gross wie eine Brieftasche und damit lässt es sich ganz gut schreiben. Dann kommt der Wachmann der Tankstelle. Ich erkläre ihm mein Problem. Er motzt ein bisschen rum, weil ich die Einfahrt blockiere, was so gesagt falsch ist. Da ich mich mit ihm auf madagassisch unterhalte, fragt er mich, ob ich Mompera (Pater) sei. Wegen meines apostolischen Aussehens werde ich vor allem in ländlichen Gebieten oft als Missionar angesehen. Ich bejahe seine Frage und er lässt mich in Ruhe. Diese kleine Ungenauigkeit in Bezug auf meinen Beruf sehe ich im Moment etwas tolerant: wer findet nicht in Zeiten der Not zurück zur Quelle des Glaubens? Ein Bettlerjunge kommt vorbei, sein Kraushaar reicht knapp zum Autofenster hoch. Wir unterhalten uns ein bisschen, er hat aber einen sehr zielorientierten Gesprächsverlauf, er will Geld. Dann fragt mich eine Frau um eine Mitfahrgelegenheit. An der Tankstelle steigt ein zigarettenrauchender Taxifahrer mit einem Zweiliterkanister aus und lässt ihn füllen. Oft ist ja der Tank durchgerostet oder leck, dann behilft man sich mit dem Plastikkanister in der Fahrerkabine. Ich rufe die Werkstatt erneut an, denn inzwischen stehe ich über eine Stunde hier und der Wachmann hat meinen Missionarsbonus gestrichen. Er komme gleich, er müsse nur noch ein Seil auftreiben und ein Auto. Ich überlege mir Alternativen. In der Nähe gibt es ein Hotel mit Parkplatz. Denn hier draussen kann ich das Auto nachts nicht stehen lassen, trotz kaputtem Motor haben zum Beispiel die Reifen doch noch einen gewissen Wert. Mich von einem anderen Auto abschleppen lassen? Doch wer hat schon ein Abschleppseil? Ich habe eines, zuhause, weil es ja doch nur aus dem Auto geklaut würde. Ich hatte früher eine Kiste randvoll mit Werkzeugen aller Art. Aber man gibt das Auto mal zum reparieren oder zum putzen und so hat es sich im Laufe der Jahre ergeben, dass immerhin noch die leere Kiste da ist, die einen hübschen Akzent zur Geräuschkulisse beiträgt. Es gibt in Madagaskar keinen ACS TCS, keine Notrufsäule und keinen Pannendienst. Aber es gibt Lau-ma, der mit einem verrotteten Peugeot und seiner halben Belegschaft gegen Einbruch der Dunkelheit vorfährt. Der Wachmann ist inzwischen zur Sache gekommen: Geld. Ich betrachte es als kleinere Sprachübung, ihm klarzumachen, dass ich das nicht so sehe. Wir scheiden als Freunde. Dann ist das Baggerseil befestigt und Lau-ma schleppt meinen kranken Peugeot durch den Abendverkehr. Das Auto hat er übrigens bei einem Wirt ausgeliehen, der mit jemand anders ein Unternehmen hatte, seinen Geschäftspartner dann aber hinauswarf, als das Unternehmen rentabel wurde, worauf der Betrieb zerfiel und ich eine ausstehende Rechnung über ein paar Millionen (madagassische Franken, nicht Schweizer Franken, aber immerhin) abschreiben musste. So schliessen sich die Kreise und wer weiss, wem das armdicke Baggerseil gehört. Wir schaffen es jedenfalls bis zur Garage und er fährt mich nach Hause und am nächsten Tag nehme ich den uralten Landrover. So ein Ding habe ich auch noch rumstehen.

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Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Surseer Woche 27. Januar  2000