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Ein
Mädchen namens Peugeot Letztes
Jahr war ich kurz vor Weihnachten unterwegs in einer abgelegenen Region
Madagaskars. Seit dem frühen Morgen hatte ich mein Auto über eine üble
Strasse gequält. Das erdbraune Band der Naturpiste lag fahl vor mir. Den
ganzen Morgen hatte ich kein anderes Fahrzeug gesehen. Nur ein paar
Ochsenkarren waren unterwegs und ab und zu Viehherden. Die Blätter der Büsche
und Bäume glitzerten silbern in der Mittagshitze. Endlich erreichte ich
ein kleines Dorf. Rund zwanzig Hütten standen um einen mächtigen
Tamarindenbaum. Ich parkte das Auto im Schatten und kaufte im kleinen Krämerladen
eine Flasche Wasser. Dann setzte ich mich unter den Baum und begann zu
trinken. Ein paar Kinder beobachteten mich neugierig. Plötzlich rannte
ein Mann auf mich zu. Er wirkte ziemlich aufgeregt. Er habe das Auto
gehört. Seine Frau habe ein Problem bei der Geburt ihres Kindes. Ob ich
sie nicht ins nächste Spital fahren könne. Ich gebe zu, ich war nicht
begeistert. Ich hatte die Kleinstadt vor drei Stunden hinter mir gelassen.
Drei Stunden Schweiss und Hitze. Zudem würde mein Treibstoff nicht mehr
bis zu meinem Ziel reichen – und auf meiner vorgesehenen Route gab es
eine Tankstelle. Abgesehen davon war meine geplante Tagesetappe durch
diese Zusatzfahrt vor Einbruch der Dunkelheit nicht mehr zu schaffen. Ich
hatte allerdings keine fixen Termine, sodass ich durchaus diesen
Nottransport machen konnte. Aber meine Lust hielt sich in Grenzen. Der
Mann flehte erneut und schliesslich sagte ich zu. Er wies mich zu einer Hütte.
Dann füllte sich mein Auto mit der gebärenden Frau, der Hebamme, einer
anderen Frau, drei Kindern, zwei Babies, dem Mann, einer Kleidertasche und
einem Sack Reis. In Afrika werden die Fahrzeuge immer gut ausgelastet.
Dann fuhr ich wieder über die Buschstrasse, über die ich vor kurzer Zeit
gekommen war. Die Frau musste grosse Schmerzen haben. Immer wieder
schluchzte sie auf. Ich hielt ein paarmal an, weil sich die Kinder
sichtlich unwohl fühlten. Die Sonne stand knapp über dem Horizont, als
wir zum Ort und zum Spital gelangten. Die Frauen und Kinder verzogen sich
ins Gebäude, der Mann ging auf die Suche nach Treibstoff. Nach einer
Stunde kam er mit zwei Plastikkanistern zurück. Mehr war nicht
aufzutreiben gewesen. Wir gossen den Diesel in den Tank, und genau zu
diesem Zeitpunkt schrie ein neuer Mensch. Das Kind war geboren worden. Der
Mann war sein Vater, aber die Tradition erlaubte es ihm nicht, jetzt sein
Kind zu sehen. Er lud mich zu einem Bier ein und daraus wurden dann zwei
und mehr. Wir diskutierten den Namen seines Nachwuchses. Es ist in dieser
Weltengegend üblich, dass ein Kind nach einem besonderen Vorkommnis im
Moment der Geburt genannt wird. So gibt es Kinder mit dem Namen Fetnat
(von fête national / Nationalfeiertag). Andere sind benannt nach einem
Wirbelsturm oder einer Hungersnot. Inzwischen war die Schwester gekommen
und hatte uns informiert, dass es ein Mädchen sei. Der glückliche Vater
wollte es unbedingt nach meinem Auto nennen, also Peugeot. Ich versuchte
ihn davon abzubringen, denn ehrlich gesagt, finde ich Peugeot als Mädchenname
nicht sonderlich attraktiv. Die Zeit zog sich dahin, inzwischen hatte ich
mich entschieden, die Nacht in diesem Ort zu verbringen. Morgen würde ich
einen Lastwagen um Treibstoff bitten - sofern einer hier durchkam. Wir
erinnerten uns, dass Weihnachten vor der Tür stand. Und so schlug ich
Noelinne vor, den weiblichen Namen für Noel, der in französischen
Sprachgebieten sehr verbreitet ist. Noelinne tönt besser als Peugeot und
ist ebenso selten. Schliesslich war es an der Zeit, das Mädchen zu
besuchen. Wir gingen zum Spital hinüber. Dort befand sich meine
Reisegesellschaft um das dürftige Bett versammelt und in ihrer Mitte krähte
Noelinne aus vollem Hals. In drei Tagen ist Weihnachten, sagte mein
Begleiter, daher nennen wir unser Kind Noelinne. Weihnachtsmädchen. Die
Mutter blickte auf: ich hatte gedacht, wir könnten es Peugeot nennen. |
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Franz Stadelmann |
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publiziert in MIVA Rundbrief Dezember 1999 |
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