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Von
Städten: S.L., Senegal, 150 000 Einwohner Saint
Louis Es
ist der Fluss, der die Stadt erhaben macht. Geräuschlos schiebt er sein
braunes Wasser heran zwischen einem Korridor aus Gartenfeldern, die der
Wüste den Rücken kehren. Das mit rötlichem Schimmer durchsetzte Band
stammt aus unzähligen Quellenarmen in der östlichen Savanne. Tausend
Kilometer später und knapp vor dem Atlantik ein Bogen nach Süden. Als
ob der majestätische Wasserlauf zögerte, nach der Sandöde in die
atlantische Wüste überzufliessen. Die weitgereisten Wasser tolerieren
sogar eine Insel in ihrer Mitte. Diese Sandbank bot niemandem Schutz.
Und auch die frühen Segelfahrer verschmähten sie. Erst die Franzosen
liessen sich darauf nieder und nannten die Siedlung ihrem König zu
Ehren. Saint Louis wurde die Sonne unter den dreifarbigen Sternen
Afrikas. Doch trotz ihrer prächtigen Bauten blieb sie seltsam leer. Die
weissen Kalkwände wurden grau und blättrig, die roten Ziegelsteine
verblassten in der Kolonialsonne. Heute ist Saint Louis nur noch ein
Fremder am Fluss. Ein Grandseigneur zwar, aber ein einsamer
Gestrandeter. Der Fluss leckt an seinen Füssen, und den spielenden
Kindern sind die bröckelnden Fassaden egal. Doch der Charme von einst
zieht noch immer durch die langen Gassen zwischen morschen Lagerschuppen
und schiefen Holzbalkonen. Über dem Ort mit dem christlichen Namen
erheben sich Minarette und kaum Kreuze. Die westliche Spitze des grünen
Halbmondes bohrt sich immer weiter in den Sand Westafrikas. Die Stadt
ist keine Drehscheibe mehr für die Karawanen vom mauretanischen Norden
und für die Eisenbahn aus dem Süden. Saint Louis begnügt sich mit dem
Fluss. Und noch heute sagt jeder in fremden Landen, sofern er Landsleute
aus Saint Louis trifft: 'ich bin ein Freund vom Fluss.' Die Stadt ist
darin enthalten. |
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Franz Stadelmann |
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Publiziert in Neue Zürcher Zeitung 23. 11. 1996 |
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