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Von Städten: S., Botswana,  20 000 Einwohner

Serowe

Einst suchten die Ahnen einen Platz, um die Ruhe ihrer Seelen zu bewahren. Sie fanden ihn am Rande eines Felsens, der sich kühn aus der Savanne erhob. Die Regenwinde brachten angenehme Kühle. Die Brunnen mussten nicht tief gebohrt werden. In der Senke südlich des Felsens baute sich jede Familie ihr Rundhaus und deckte es mit Schilf. Um das Gehöft wurde ein Dornenzaun aus Kaktussen gepflanzt. Serowe war entstanden und lebte von Mais und Hirse und von den zahlreichen Rinderherden. Die San-Buschmänner brachten Wildfleisch im Tausch gegen Messer und Tabak. Viel mehr ist seither nicht passiert. Ausser dass es jetzt Strom gibt und sogar Telefon, in einigen Häusern jedenfalls. Doch unter allen Dächern hängen noch immer Petrollampen. Asphalt durchschneidet die Kleinstadt, die Nebenstrassen sind bloss tiefe Radspuren im weichen Sand. Wie Fremdkörper, weil in eckigen Gebäuden, Schule, Spital, Polizei und ein Händler aus Südafrika mit einem grösseren Warenangebot. Serowe liegt in der Baumsavanne am Rande der Kalahari. Das Städtchen ist eine weitflächige Ansammlung von ovalen Familiengehöften. Der Ort voller Kreise ist ein Dorf geblieben. Er liegt weder an den Diamantenfeldern westlich in Orapa noch an der Lebensline Botswanas im Osten. In Serowe endet die Stichstrasse, die hinter dem Dorf zur Sandpiste wird. Das kleine Hotel genügt für die seltenen Besucher. Viel wichtiger sind die Bars mit Bier und Musik. Die Geselligkeit hinterlässt Berge von Bierbüchsen. Es sind die Kinder, die am frühen Morgen die Rinder und Ziegen hinaus auf die kargen Weiden  treiben. Vom Felsen der Ahnen sind die Rauchsäulen der Kochfeuer zu sehen, die aus den grünen Ringen der Krale steigen. Grauer Rauch aus tiefroter Erde. Und manchmal ziehen schwere Wolken über die Ebene, verheissungsvoll in einem Land, dessen Währung übersetzt Regen bedeutet.

 

 

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Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Neue Zürcher Zeitung 1997