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Steiniger Weg zum Frieden

Es gibt Orte, die in die Geschichte eingehen wegen Konferenzen, die geschichtsschreibende Auswirkungen hatten: Malta, Krim, Versailles - und der Bürgenstock. Am 19. Januar 2002 wurde hoch über dem Vierwaldstättersee ein Waffenstillstand unterzeichnet, der eine Region betrifft, die 6'000 Kilometer entfernt mitten im Sudan liegt. Seit einem Jahr ruhen in den Nuba-Bergen die Waffen.

Die Republik Sudan ist mit 2,5 Millionen km2 der flächengrösste Staat Afrikas. Der Norden ist Wüste, der Süden Savanne. Mittendrin liegt die Region der Nuba-Berge: ein unzugängliches Hügelgebiet, das zweimal so gross ist wie die Schweiz. Rund 1,2 Millionen Menschen leben in dieser Hügelzone. Es sollen 99 Hügel sein, sagen die Nuba, gezählt haben sie ihre Hügelrücken nie, denn die Leute verstecken sich seit Menschengedenken in unzugänglichen Orten. Über 50 grundverschiedene Ethnien mit eigenen Sprachen und eigener Kultur leben dichtgedrängt in dieser Hügelwelt: am liebsten in kleinen Weilern entlang der Hügelflanken. Allen gemeinsam ist, dass sie ihre Isolation nicht selbst gewählt haben. Die Nuba waren während Jahrhunderten Opfer der arabischen Sklavenfänger, die von Norden her einfielen. Die Menschenjäger gingen mit äusserster Brutalität vor. Die Nuba waren macht- und wehrlos. Die ägyptisch - britische Kolonialherrschaft brachte etwas Ruhe, doch die Sklaverei wurde nie ganz ausgerottet. Die Nuba-Berge wurden vom ersten Bürgerkrieg verschont: er brach gleich mit der Unabhängigkeit 1956 aus und dauerte bis 1972. Aber schon elf Jahre danach war der unstabile Frieden vorbei. Seither wird im Sudan wieder geschossen und gebombt.

Ab 1987 wurden auch die bislang verschonten Nuba von der Kriegsplage heimgesucht. Der Guerillakrieg zwischen dem Norden und dem Süden wurde aus kaltem Kalkül auch in die bislang friedlichen Nuba-Berge getragen. Dieser von aussen hereingebrachte Krieg brachte unbeschreibliche Qualen. Die Nuba selber haben mit diesem Krieg nichts zu tun. Doch im Laufe der vergangenen 15 Jahre gab es trotzdem Nuba, die zum Kriegshandwerk hingezogen wurden oder als Kindersoldaten dazu erzogen wurden.

Nun aber ruhen die Waffen und dies dank der Bürgerstockverhandlungen vor einem Jahr und vor allem dank internationaler Überwachung der Joint Monitoring Commission (JMC). Diese unbewaffnete Einheit, zusammengestellt aus rund einem Dutzend Ländern, kontrolliert die Bewegungen der verfeindeten Parteien, inspiziert die Transporte und versucht, die Kontrahenten zu Gesprächen zu bewegen. Einerseits ist dies die Regierung des Sudan mit schwankend fundamentalistischen Tendenzen, andererseits die Befreiungsbewegung des sudanesischen Volkes in den Nuba-Bergen (SPLM/Nuba).

Die JMC braucht die Bewohner und Bewohnerinnen der Nuba-Berge nicht von den Vorteilen des Waffenstillstands zu überzeugen. Die Leute wollen Frieden und für sie ist die JMC zum Symbol des Friedens geworden.

Doch die Kriegswellen haben seit 16 Jahren einen Grossteil der ohnehin bescheidenen Infrastruktur zerstört, haben Hunderttausende in die Flucht getrieben und eine ganze Generation von einer Basisbildung ausgeschlossen. Die Guerillamethoden haben auch eine bittere Saat hinterlassen: Minen.

Kadugli ist ein unscheinbares Städtchen am Rande der Nuba-Berge. Der Ort mit seinen 70'000 Bewohnern wirkt sehr arabisch mit den verschleierten Frauen, dem überfüllten Bazar und den Moscheen, deren Minarette die bescheidene Skyline bilden. Kadugli ist gleichzeitig die Hauptstadt des Staates Südkordofan, der doppelt so gross ist wie die Schweiz. Täglich kommen überfüllte Autobusse mit Leuten, die nach Jahren des Exils nun wieder in ihre Heimat wollen. Viele reisen wieder enttäuscht ab.

Ahmed und seine Frau Fatima leben in Damam, einem überfüllten Dorf südlich von Kadugli. Sie stammen von einer Siedlung rund zehn Kilometer weiter weg, doch vor rund zehn Jahren haben sie ihren Weiler aufgeben müssen. Hier in Damam haben sie Unterschlupf gefunden, neue Lehmhäuser gebaut: vier runde, mit Strohdach bedeckte Häuser, im Kreis um einen kleinen Hof erbaut. Sie bauen Hirse an und etwas Mais und Maniok. Dazu gehen sie zu Fuss zu ihren alten Feldern und kehren am Abend wieder zurück. Eine Rücksiedlung erlaubt der lokale Kommandant noch nicht. Fatima holt ihr Wasser in einem der drei Handpumpenbrunnen. Sie wurden erst vor wenigen Wochen repariert. Zuvor war sie zwei Stunden unterwegs, um ihr Wasser aus einem Hafir zu schöpfen: einem offenen Teich, der das Regenwasser sammelt. Doch diese Tümpel sind gefährlich, weil sich die Leute auch dort waschen und Tiere ebenfalls Zugang haben. So ist der Guinea Worm, der stehendes Wasser als Zwischenwirt braucht, verbreitet. Danach frisst er sich durch die Beine der Menschen und wird bis zu einem Meter lang. Daher ist Wasser das Hauptproblem der Nuba-Bewohner. In allen Umfragen geben sie Wasser als ihre Piorität an, gefolgt von Gesundheit und Bildung. Damam hat einen kleinen Gesundheitsposten, die Medikamente reichen jedoch nur für wenige Wochen. Die Grundschule ist nun wieder in Betrieb: eine Strohhütte mit festgestampftem Erdboden. Damam hat 1200 Einwohner und erwartet auch Rückkehrer: hunderte sind in den Norden geflüchtet und leben als Lumpenproletariat am Rande der Hauptstadt Khartoum. Die Leute in Damam sind zur Mehrheit Mosleme, aber auch christliche Familien leben dort. Der Druck der – von aussen stammenden - moslemischen Fundamentalisten ist jedoch zunehmend.

Die Nuba-Berge sind eine kleine friedliche Insel inmitten des kriegsgeschüttelten Sudan. Seit einem Jahr verhandeln die beiden Seiten in Kenia über eine Gesamtlösung des Bürgerkriegs. Bislang wurde zwar Teilabkommen erzielt, aber kein Friedensvertrag geschlossen. Zu lange währt der Krieg, zu gross ist das gegenseitige Misstrauen, zu viele – auf beiden Seiten – verdienen gut mit dem Fortgang des Bürgerkriegs und zu gross ist der Fundamentalismus auf moslemischer als auch auf christlicher Seite. Zu gross auch ist die Gier nach dem Reichtum: Öl. Die Ölfelder liegen südlich der Nuba-Berge. Die Nuba tun derweil, was sie seit Jahrhunderten tun: sie verharren in ihren Bergen und warten, bis die Zeiten besser werden.

Kastentext:
Das Schweizerische Korps für humanitäre Hilfe (SKH) setzt sich aktiv in den Nuba-Bergen ein. Im Jahr 2002 wurde die UN-Organisation OCHA in der Koordinierung von humanitärer Hilfe unterstützt. Parallel dazu wurden neue Brunnen gebohrt und mit Handpumpen versehen. Dieses Wasserprogramm wird nun in diesem Jahr – dem UNO-Jahr des Wassers – mit einem substantiellen Wasserprojekt weitergeführt. Berücksichtigt werden dabei beide Parteien in den Nuba-Bergen. Seit Jahren unterhält das SKH in Zusammenarbeit mit UNICEF das grösste Wasserprogramm im Süden des Sudans. Die Eidgenossenschaft  finanziert auch ein Mineninformationszentrum in Kadugli und Material zur Markierung von Minen.

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Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in WeltWeitNr 3 / 2003