.

 

 

Von Städten: T., Tansania,  200 000 Einwohner

Tanga

In der Bucht werden kaum noch Fische gefangen. Die Stadt ist still geworden im Laufe von zwei oder drei Generationen. Sie wird wohl bald nur noch die vierte oder fünfte im Land sein. Doch zur Zeit der ersten Eisenschiffe bot sie Schutz und Ankerplatz hinter Korallenriffen. Die vielen Händler aber kamen nicht wegen des gefahrlosen Hafens. Sondern wegen der Menschen dahinter. Die sie unfrei machten durch Gewalt und Gewehr. Und sie an die Küste schleppten. Der Handel erfolgte unter dem Schirm von Zansibar. Das mächtiger wurde als alle anderen. So duckte sich Tanga immer mehr in die flache Küste hinein. Doch das Land im Rücken der Stadt war wie geschaffen für Sisal. Zur Zeit, als Pickelhauben gegrüsst werden mussten. Bald war die Stadt von Sisalplantagen umgeben. Igeln gleich sassen die Agaven in der Reihe und streckten ihre Blätter wie Schwerter in den Himmel. Fortan hing das Schicksal der Stadt an den gebleichten Sisalfäden. Die inzwischen eingereiht worden war in die imperiale Kette zwischen Kap und Kairo. Aber trotz der Schachbrettstrassen gibt sich die weissgetünchte Stadt arabisch. Swahilisch mit einem Britenhauch. Und mit indischem Curry vermischt. Zentrum ist die alte Turmuhr. Ein Steinwurf daneben der Fischmarkt, der Hafen, ein wenig Industrie. Die Strassen leben nur morgens ein paar kurze Stunden. Danach verziehen sich die Bewohner in den Schatten ihrer Veranda. Blickgeschützt durch maurische Ornamente hoch über den Arkaden. Abends flanieren Röcke und Tücher unter den Sternen, gleichermassen wie in Muskat, Lamu oder Zansibar. Trotz Zementfabrik und Sägewerk ist Tanga geblieben, was es war: eine Filiale der arabischen Welt.

 

 

top 

 

Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Neue Zürcher Zeitung 12. 10. 1996