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Kurz mal telefonieren

Vor genau elf Jahren flog ich auf diese Tropeninsel im Indischen Ozean. Aus den vorgesehenen zwei Jahren sind nun ein paar mehr geworden und inzwischen bemerke ich, dass es kein Aufenthalt ist, sondern dass ich hier Lebenszeit verbringe. Rückblickend fällt mir als einzige positive Wende im Land auf, dass nun die Telefone funktionieren. War telefonieren noch vor wenigen Jahren ein Abenteuer, so ist dies heutzutage radikal anders. Ende der achtziger Jahre war es schwierig, einen Telefonanschluss zu ergattern. Ein wichtiges Argument bei der Vermietung der Häuser war das Vorhandensein eines Telefons, samt Zuleitung versteht sich. Ich hatte zwar einen Apparat im Haus und wurde auch ins Telefonbuch aufgenommen, doch die Linie war jahrelang tot. Heute ist das anders. Natürlich heisst die gute alte Post nun auch La Poste und Telecom Malagasy, wie das in der halben Welt in den letzten Jahren geschehen ist. Zwar sind die üblichen Telefonanschlüsse über konventionelle Kabel noch immer schwierig zu erhalten. In etlichen Quartieren der Stadt ist es quasi unmöglich, einen Telefonanschluss zu bekommen. Ausser man engagiert jemanden, der das Gesuch fördernd begleitet. Doch auf diese Kenner der Verwaltungsabläufe muss inzwischen kaum noch zurückgegriffen werden, denn nun gibt es mobile Telefone. Natel ist in Madagaskar zwar kein Begriff, aber darum handelt es sich. Vier, fünf Unternehmen buhlen um die Gunst der Kunden. Die grösste dieser privaten Gesellschaften hat inzwischen über 6000 Abonnenten. Interessant ist, dass die Gespräche tatsächlich zustande kommen. Und das ist keineswegs selbstverständlich. Da jedes Unternehmen eigene Vorwahlen hat, führe ich eine Liste, auf der ich jeweils ablese, welche Vorwahlen ich einstellen muss: je nach Ausgangsapparat und nach Destination. Das ergibt ziemliche Bandwurmnummern, so lautet meine direkte Nummer von der Schweiz aus 00261331106564. Diese Euphorie in Sachen Telekommunikation muss nun aber gleich relativiert werden. Denn der Kommunikationsschub hat sich primär auf die Hauptstadt Antananarivo konzentriert. Dort wohnen aber immerhin zehn Prozent der Landesbevölkerung. Allerdings kann man in den grösseren Städten Madagaskars nun auch telefonieren und es gibt sogar Telefonkarten. Das hat sich offenbar schon in Europa herumgesprochen, denn oft erhalte ich über Internet die Bitte, gebrauchte Telefonkarten zu Sammelzwecken zu schicken. Leider jedoch sind neunzig Prozent der Landesfläche in keiner Weise telefonisch abgedeckt. Denn gleich beim Stadtausgang enden auch die Telefonnetze. Will ich zum Beispiel mit dem Pflanzenforscher Petignat in Tulear etwas besprechen, ziehe ich es vor, dorthin zu fliegen und dafür drei Tage aufzuwenden. Um aber sicher zu sein, dass er da ist, mache ich es wie folgt. Ich schicke ein eMail an seinen Schwiegersohn, der den Ausdruck abends 20 Kilometer zu Petignat bringt. Die Antwort schickt mir der Schwiegersohn am folgenden Tag per eMail. Wie jedoch organisieren sich die Leute ohne Telefon? Denn auch sie schaffen es, Meldungen zu übermitteln. Die Briefpost arbeitet in Madagaskar sehr unregelmässig. Ein Brief von Madagaskar in die Schweiz kann eine Woche oder ein paar Monate unterwegs sein. Und manchmal kommen die interessant aussehenden Briefe gar nicht an. Vor Jahren erhielt ich einen Brief aus Deutschland, der zwei Jahre vorher aufgegeben worden war. Daher ziehen es viele Leute vor, ihre Briefe jemandem persönlich anzuvertrauen. Die Reisenden werden im Flughafen immer wieder von fremden Leuten gebeten, Briefe mitzunehmen. So geht jeweils am Freitag ein Flug von Antananarivo auf die Komoren: der Flughafen ist voll mit Leuten, die einen Überbringer von Briefen, Geld und Paketen suchen. Die Übermittlung mag dann über drei, vier Personen gehen und klappt sogar meistens. Nicht immer schnell, aber immerhin. Hingegen ist es so gut wie unmöglich, Auskünfte schriftlich oder gar per Telefon zu erhalten. Amtsstellen telefonisch zu kontaktieren ist zwecklos. So hat sich letztlich in vielen Bereichen trotz Telecom nicht viel geändert. Die Leute wissen, dass sie immer gleich persönlich vorsprechen müssen. Ob nun ein Telefon vorhanden ist oder nicht. Und dann sitzen sie im Vorzimmer und warten, oft stundenlang, weil der Beamte telefoniert: Privatgespräche, natürlich auf Staatskosten. Denn aller Wahrscheinlichkeit nach hat er kein Telefon Zuhause und ein Handy kann er sich nicht leisten. Der Apparat allein kostet fast ein Jahressalär und das monatliche Abonnement soviel wie sein Monatsgehalt.

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Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Surseer Woche 28. Januar 1999