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König
und Knecht der Landstrasse
Nun
war ich zwei Monate als Fernfahrer unterwegs auf den Strassen
Mitteleuropas, die so seltsam anders sind als jene in Madagaskar. Dabei
habe ich fast 21'000 km gemacht und einen Einblick in die Arbeitswelt
Europas
gewonnen. In einer Woche fliege ich wieder nach Madagaskar.
An einem Nachmittag anfangs Februar flog ich aus Madagaskar ein und am nächsten
Morgen sass ich um fünf Uhr am Steuer eines Anhängerzuges in Richtung
Italien. Ich gebe zu, dass die ersten paar Kilometer eine
Eingewöhnung brauchten. Fortan war ich quasi als Pendler zwischen Italien
und Deutschland unterwegs, immer im Transit durch die Schweiz. Ich hatte
einen 1834 Mercedes und während ein paar Tagen auch einen Actros, der mit
seinen 430 PS durch die Schweiz marschierte, als ob der Gotthard nur eine
Bodenwelle wäre. Es gab schöne Erlebnisse - aber auch harte Arbeit.
Nicht so sehr das Fahren, obwohl 20'896 Kilometer auch abgespult sein müssen
und dies in 46 Arbeitstagen. Hart war die Abladerei und dies vor allem in
Deutschland, wo der Fahrer gleichzeitig als Lagerarbeiter betrachtet wird.
Ich hatte ein paar Touren für den Drogeriemarkt Schlecker (Werbung:
preisgünstig). Was dort abläuft, ist schlichte Ausnutzung der
Fernfahrer. Man stellt sich stundenlang in die Reihe der abladewilligen
Lastwagen (weil es nur - Standard - drei Rampen in Schleckers
Billig-Verteillager gibt), dann darf man endlich an die Rampe und die
ganze Ware auch noch selber entladen. Daher liebe Freunde zwischen Mosel
und Oder: beim nächsten Besuch in Schleckers blau-weissen Läden: beim
Kauf eines Produkts für einen halben Pfenning weniger als anderswo hat
ein Lastwagenfahrer (preisgünstig) zum
Preisdruck mithelfen müssen.
Schlimm ist das Übernachten auf der Autobahn. Ab neun Uhr abends findet
sich kein Platz mehr für einen Lastwagen und er ist immerhin 2,5 Meter
breit und 18,5 Meter lang. Ein paarmal ist es mir passiert, dass ich auf
die Rastplätze eingekurvt bin und keinen Platz fand. Dann also
weiterfahren, gegen Schlaf und Müdigkeit kämpfen undsoweiter bis man
einen Rastplatz findet und endlich schlafen kann. Man schläft ja in der
Kabine, die mit Kojenbetten ausgerüstet ist. Ich beklage mich nicht
einmal: die zwei Monate Lastwagen waren für mich eine Phase, während der
ich wieder mal etwas total anderes machte. Und das tut gut.
Zeitstress ist natürlich ein Thema, ich fuhr eine Art Terminfracht. Oft
bin ich in der Schweiz weggefahren und die Güter waren in Italien noch
gar nicht produziert. Just in time, so läuft das heute. Das ist nicht
mehr wie früher,
als ich Orient gefahren bin und es auf einen Tag oder zwei nicht ankam.
Diese Gelassenheit haben nur noch Fahrer aus der GUS. Ich kam auf einer
Raststätte mit einem Trucker aus der Ukraine ins Gespräch. Naja, er
sprach kaum deutsch und mein russisch und ukrainisch besteht aus einem
Wortschatz von null Worten. Die Einfahrt war eng und der Ukrainer zog
seinen Lkw vor, damit ich in die Parkspur einbiegen konnte. Ich bedankte
mich und sah, dass der arme Kerl kalten Kaffee trank. Geld für die Raststätte
hatte er nicht. Also lud ich ihn ein. Er fahre immer Ukraine - Deutschland
/ Holland. Sein
Lohn sei mager. Aber er kaufe Jeans, Shampoo und Porno in Deutschland und
verhacke die Ware in Kiev. Jeans gehen nicht mehr gut, die Marge bei
Shampoo sei ok, bei Porno phänomenal. Er erklärte mir, worauf beim Kauf
der Jeans (nur Markenartikel) und des Shampoo (viel Schaum) zu achten sei
und in Sachen Porno weiss ich nun auch Bescheid.
Und dann drehst Du den Zündschlüssel um, der Motor verstummt. und ich
gebe zu: eine Leere bleibt zurück. Nun widme ich mich wieder Madagaskar.
Viele Sachen blieben hängen, vor allem auch, weil mein Computer während
sieben Wochen in Reparatur war. Einen derart schlechten Service kann ich
in Madagaskar auch haben und muss dafür nicht Interdiscount (Werbung: Wir
jubilieren, Sie profitieren!) haben. Ich hatte in den über 12 Jahren in
Madagaskar tendentiell begonnen zu denken, dass in Europa alles immer
schneller und zuverlässiger sei als in der Dritten Welt. Nun sehe ich,
dass es die gleiche Bastelei ist, nur auf höherem Niveau. So entsteht in
Zürich in neuer Coop-Supermarkt. Ich bringe Material dorthin, doch das
Einfahrtstor öffnet sich nur gerade so hoch, sodass die Plane gestreift
wird. Da kommt ein Typ und fragt mich, wie hoch mein Lastwagen sei und
staunt ob der vier Meter. Er sei der Planer dieses Gebäudes. Am besten
sollte man ihm die Torflügel um die Ohrflügel hauen, etwas locker
ausgedrückt. Auch dies ist in Madagaskar zu haben.
Als ich 16 Jahre alt war durfte ich mit einem Fernfahrer (Überlandfahrer
nannte man das damals) mit nach Italien. Die Tour ging nach Turin und in
die Region von Rom, das dauerte eine Woche und war für mich damals das
totale Abenteuer. Heute macht man das in zwei Tagen. Aber jedesmal wenn
ich die vergangenen Wochen die enge Strasse hoch zum Zollübergang
Gaggiolo / Stabio fuhr, dachte ich an Wädi, so hiess der Überlandfahrer.
(Er starb kurz darauf: Unfall). Der Grenzübergang ist genau der gleiche
wie vor genau 30 Jahren, so lange ist meine Fahrt mit Wädi her. (Ja, so
alt bin ich und ich frage mich, was ich bloss mit dieser Zeit angefangen
habe.) Gaggiolo / Stabio ist wie ein Grenzübergang in Afrika, keinen Deut
besser und dies im Zeitalter der totalen Kommunikation. Warten, Stempel
hier und Stempel dort, warten, Spediteur hier und Spediteur dort und ach
ja: immer warten.
Übrigens habe ich meine Stunden ausgerechnet. Auf dem Fahrtenschreiber
werden ja alle Fahrbewegungen aufgezeichnet, was der Polizei die Arbeit
erheblich erleichtert. (Die Tachoscheiben dürfen bis zu einem Jahr später
von der Polizei überprüft (dh gebüsst) werden.) In den zwei Monaten
habe ich total 512 Stunden gearbeitet. Ich war im Schnitt 11,1 Stunden pro
Tag an der Arbeit, also fahren, auf- und abladen und Zollgeschichten
erledigen. Mein Lohn lag zwar in der höheren Etage der Fernfahrerwelt,
schliesslich habe ich meinen Fahrschein zur Zeit gemacht, als in Biafra
noch Krieg tobte und das ist lange her. Trotzdem habe ich pro Stunde den
Gegenwert von rund drei Kaffee auf der deutschen Autobahn verdient. Dafür
arbeitet keine portugiesische Putzfrau in der Schweiz.
Trotzdem hat es mir Spass gemacht. Doch ich gebe zu, dass meine Liebe zu
Lastwagen ab Mitternacht auf der Autobahn bei der vergeblichen Suche nach
einem Schlafplatz gelitten hat. Nächstes Jahr denke ich wieder auf den
Bock zu steigen, nur will ich dann andere Touren fahren, Portugal zum
Beispiel oder Russland. Ich weiss ja jetzt, was dort gefragt ist.
Meinen Einsatz belohnte übrigens die deutsche Polizei mit einem
Ehrenpapier. Qualität hat ihren Preis und ich bezahlte den Oscar (in der
deutschen Amtssprache etwas simpel Bussbescheid genannt) doch gern in
einem Land, wo sogar der betagte Bundeskanzler auf Geldsuche gehen muss.
Wichtig ist noch zu sagen, dass ich keinen Unfall machte oder darin
verwickelt wurde. Aber ich sah ein paar Unfälle, die einem doch vor Augen
führen, dass die Grenze zwischen Leben und Tod hauchdünn ist. Ich
selber, auch weil ich meist in unstrukturierten Regionen lebe, habe in
dieser Hinsicht eine simple Philosophie: ich bin jederzeit bereit
abzutreten. Jederzeit. So ist das.
Demnächst fliege ich wieder nach Madagaskar. Dort sind inzwischen drei
Zyklone übers Land gefegt und die Cholera bleibt ein Problem. Darüber
will ich mich grundlegend informieren und Berichte schreiben. (Natürlich
wäre ich im Februar / März letztendlich lieber in Madagaskar gewesen und
hätte in Sachen Zyklonschäden bestimmt an vorderster Front
mitgearbeitet, doch ich hatte mich für zwei Monate Truck engagiert.) Dann
ist es gut möglich, dass ich bei der Errichtung eines Taubstummenheimes
mithelfen werde. Und natürlich ist die PRIORI mit all den Aktivitäten
wieder das Zentrum meiner Tätigkeiten.
Natürlich habe ich die Wegweiser gesehen: Venezia, Genua undsoweiter.
Doch du fährst und dann klingelt das Handy und es heisst, nun müsse ich
nach xx fahren und ich mache den Blinker raus und fahre nach xx. Von München
habe ich nur die Nordumfahrung gesehen und den Frachthof in
Unterschleissheim. Nürnberg war da wesentlich besser, aber ob man nach
Berlin, Interlaken oder Bologna fährt: das Ziel ist immer ein grauer Hof
einer Fabrik oder einer Spedition. Als Ethnologe, was ich ja eigentlich
auch bin, habe ich interessante Gespräche mit Truckerkollegen geführt:
ja, die Welt ist grossartig bunt. Und wild. Und wer versteht schon die
Motive und die Ereignisse in dieser wirren Zeit. Ich nicht.
So habe ich ein paar hundert Tonnen Fracht von Italien in die Schweiz und
nach Deutschland geschafft und mich oft gefragt, ob die Welt das
eigentlich braucht. Ich bin überzeugt: sie braucht es nicht. Aber wer
fragt schon einen Trucker, der mit einem grauen Lastwagen durch die Welt fährt.
Demnächst steige ich wieder ins Flugzeug und bis danin mache ich keinen
Blinker mehr raus. (Ich fahre mit dem Zug.) Aber dieser Tage lese ich nach
langen Jahren wieder mal meinen Roman Dieselstrasse, den ich vor 16 Jahren
schrieb und der die Welt der Fernfahrer auf der Orientroute beschreibt.
Tja, damals gab es keine Handy's. Unter anderem. Aber ich bin nicht der
Mensch, der Vergangenem nachtrauert, obwohl ich merke, dass die Zeit mich
manchmal überholt. So spricht man heute nicht mehr von PS, sondern von Kw.
Was 100 Kw sind, kann ich nicht einschätzen, aber die 430 PS des Actros,
die drücken deinen Rücken ganz schön in den Sitz.
So ist das im Leben eines Wanderers zwischen Nord und Süd
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