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Ländliche Unsicherheit

Die Kriminalität in Grossstädten wie Lagos ist berüchtigt. Doch auch in ländlichen Regionen Afrikas herrschte und herrscht nicht immer eitel Friede. So gut wie jedes Dorf verfügt über ein traditionelles Sicherheitsdispositiv: Stolperschwellen, Umzäunungen, Dornenwall. Obwohl eine aggressive Kriminalität auf dem Land eher selten ist, kommen Diebstähle, so sagen die Alten im Dorf, immer häufiger vor. Zu fest sind traditionelle Gefüge zerbröckelt. Zu stark ist der Wunsch, schnellen Reichtum zu ergattern. Diebstahl ist jedoch nicht immer Diebstahl. Denn es gibt vielerorts die jahrhundertealte Tradition des Stehlens von Rindern: ein feindlicher Clan fällt ins Dorf ein, treibt das Vieh weg und gliedert es in die eigene Herde ein. Jahre später passiert ihm dasselbe. Früher waren diese Raubzüge eher sportlicher Natur und galten als Mutprobe für junge Burschen. Mit dem Einzug von automatischen Waffen hat sich die Lage dramatisch geändert. Nun gibt es regelmässig Tote und die gestohlenen Rinder werden verkauft. Denn nun stecken professionelle Banden dahinter. Daher sind viele Regionen, wie etwa Kenyas Norden, unsicher geworden. Ein anderes Phänomen sind Erntediebstähle. Es gilt als sicheres Zeichen von Verelendung, wenn die im Feld stehende Ernte des nachts gestohlen wird. Die ländliche Kriminalität wird oft nicht geahndet, denn die Bauern haben kaum eine Möglichkeit, um Polizei und Gendarmerie zu aktivieren. Nicht selten arbeiten die Ordnungskräfte sogar mit den Banden zusammen. Daher schliessen sich die Dörfer zu Schutztruppen zusammen und nehmen die Justiz selber in die Hand. Dies ist für ein Staatswesen natürlich ungesund, doch nur dadurch haben die Bauern Gewähr, dass Diebe auch wirklich bestraft werden. Denn in vielen Ländern Afrikas ist die Justiz nicht nur träge, sondern auch käuflich.

 

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Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Die Grüne 1998