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Wasser ist Leben

Die Frauen drehen sich im Kreis, mit langsamen und wiegenden Schritten. Kinder tanzen freudig mit. Die Männer stehen im Ring um die feierlich gekleideten Frauen und heizen sie mit johlenden Rufen an. Immer wieder dröhnt ein markdurchdringender Gesangsschrei einer Frau durch die Menge. Dabei vibriert die Zunge durch die Mundhöhle und die Frau presst ihren Atem solange aus den Lungen, bis sie sich aus Atemnot beugt. Die Leute sind glücklich. Denn heute wurde ihr neuer Brunnen eingeweiht. Nun haben sie Wasser. Trinkwasser. Sauberes Wasser.

Das Schweizer Korps für Humanitäre Hilfe (SKH) hatte Geld zur Verfügung gestellt, um Brunnen zu bohren. Ich war schon vorher in Kontakt mit der staatlichen Wasserbaubehörde (WES) in Kadugli, doch die Nachricht der neuen Geldquelle wurde erfreut aufgenommen. Wir hatten die Konditionen bereits ausgehandelt: Zeitaufwand, Kosten, Bezahlungsart - und Priorität. Die Regenzeit war zu Ende: auch der Staat und die allgegenwärtige JMC, die militärische Überwachungsorganisation, hatten Brunnenbauprojekte. Doch der WES-Chef Mohamed Ahmed und ich hatten bereits eine gute Beziehung aufgebaut. Die WES war die einzige Institution der Region, die Triefbohrungen durchführt. Der einzige Bohrlastwagen konnte allerdings nicht in den Einsatz: der 900 Kilo schwere Kühler des Bohrgeräts war defekt. Ich organisierte den Transport mit einer russischen Frachtmaschine aus Khartoum. Die im dienst der JMC stehende Antonov Propellermschine landete pünktlich in Kadugli und Achmed war zufrieden und überrascht: da kriegte er sein Ersatzteil quasi vor die Haustür geliefert und wenn er nach Khartoum telefonieren wollte, dauerte das vor wenigen Monaten oft noch Tage, wenn er es überhaupt schaffte. Danach waren wir Freunde. Wer mit Arabern Freund ist, Ahmed ist islamisch-sudanesisch, der hat alle Türen offen und da kam auch die JMC nicht dagegen an. Also wurde das Bohrgerät repariert, sogar am Freitag - dem islamischen 'Sonntag' - war die Mechanikergruppe dran und ich weiss das, weil ich auch da war. Dann fuhr der Bohrlastwagen, ein alter Mercedes, hinaus und drillte die Löcher: 40 bis 60 Meter tief. Die Installationsequipe zementierte eine tischgrosse, runde Fläche und schraubte die Handpumpe vom Typ India Mark II über das Bohrrohr. Das Abkommen war, dass ich nur bezahlte, wenn Wasser aus der Handpumpe floss. Ahmed nahm das ernst trotz unserer Freundschaft. Es floss Wasser. Aber in zwei Fällen waren die Resultate so genannte Trockenbohrungen: kein Wasser, nur heisse Luft kam aus dem Rohr. Die Geologie der Nuba-Berge ist schwierig. Wenn man keine Spalte im Untergrundfels findet, produziert eine Bohrung kein Wasser.

Aber nun war ich in einem Dorf mit Wasser. Natürlich freuen sich die Leute, wenn sie Wasser in der Nähe haben. Aber Distanz ist in Afrika kein Argument. Auch heute noch sind Frauen und Kinder im Sudan jeden Tag stundenlang unterwegs, um ein paar Liter Wasser herzuschaffen. Dabei gehen sie oft nur zu Tümpeln – im Sudan Hafir genannt – und schöpfen das schon Monate stehende Wasser in ihre Plastikeimer. Dass sie mit diesem Schmuddelwasser auch Infektionen und Krankheiten auflesen, ist ihnen meist bewusst. Aber eine andere Wahl haben sie nicht. Nun aber wussten sie, dass sie fortan sauberes Wasser zur Verfügung haben würden. Die Frauen - sie sind in Sachen Gesundheit bewusster als die Männer - freuten sich, weil sie wissen, dass hoch gepumptes Grundwasser keine Bilhaziose enthält, keine wochenlangen Durchfälle der Kinder verursacht und vor allem keine Larven der Guinea-Würmer enthält.

Eine schwangere Frau, vielleicht um die zwanzig, kam heran, nahm meine Hand und führte sie zu ihrem Bauch. Sie nickte und redete auf mich ein. Mein arabisch beschränkt sich auf ein paar dutzend Worte, aber ich verstand: Ihr Baby würde gesundes Wasser haben. Später vernahm ich, dass ihre beiden ersten Kinder an Malaria und Durchfall gestorben waren. Aber sie hatte noch etwas gesagt: nun haben wir Wasser, das heisst Leben. Wir brauchen aber auch einen Gesundheitsposten und eine Schule.

Inzwischen hat das Schweizer Korps für Humanitäre Hilfe (SKH) aufgrund der guten Resultate der oben beschriebenen Aktion ein substantielles Brunnenbauprogramm in den Nuba-Bergen begonnen. Ein Wasserspezialist ist Mitte Februar in die Nuba-Berge ausgereist, um dieses Programm zu leiten. Insbesondere wird er auch ein Terrameter zur Verfügung haben. Dieses Gerät ermöglicht die präzise Situierung von Wasseradern aufgrund von Elektrowellen.

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Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Surseer Woche