.

 

Wasserwege in Tambara

Um vier Uhr fahre ich aus der menschenleeren Kleinstadt Chimoio hinaus in die Nacht. Erst Richtung Zimbabwe, dann nach Norden gegen Malawi hin. Als sich der Himmel mit Licht füllt, bin ich weit über Catandica hinaus. Hinter Guro verlasse ich die tolerable Asphaltstrasse und biege auf die rote Lateritpiste nach Tambara ab. Um acht stehe ich am Fluss. Meine Leute habe ich gestern schon mit einem Lastwagen voll Hilfsgüter losgeschickt. Ricardo ist bereits damit beschäftigt, die Dorfjungs zu kontrollieren, die unsere Ware auf dem Kopf durch den Fluss tragen. Denn über den Muira führt keine Brücke. Wir transportieren Mais, Speiseöl und Salz in die Überschwemmungsgebiete von Tambara. Dieser Distrikt liegt südlich des Zambezi-Flusses in Mozambique. Nach keiner Stunde sind die 15 Tonnen 200 Meter weiter am jenseitigen Flussufer gestapelt. Dann folgt eine Stunde Diskussion, wer denn nun wie viele Säcke rübergebracht hat. Doch Ricardo, ein terrainerfahrener Mozambikaner, hat die Sache im Griff. Danach riskiere ich, mit meinem Allradfahrzeug durch den oberschenkelhohen Fluss zu fahren. Rund zwei Dutzend Hände schieben mit und so schafft es der Nissan, sich durch Wasser und Sanduntergrund zu mahlen. Am anderen Flussufer nehme ich drei gestrandete Leute des Schulministeriums mit, die im Distrikt Tambara abklären sollen, welche Schäden die Schulgebäude durch diese wochenlangen Dauerregen erlitten haben. Dann geht’s auf schmieriger Schlammpiste weiter. Vor uns schlingert ein Motorrad durch den Morast. Bei einer betonierten Wasserfurt rutscht der Fahrer aus und stürzt. Er schreit vor Schmerz. Seine Kniescheibe scheint gespalten zu sein. Ich nehme ihn ins Auto, einer der Schulleute fährt mit dem Motorrad weiter. Ein paar Kilometer weiter ist ein Bach zu einem Wildwasser geworden, doch der Pegel ist abnehmend. Wir warten zwei, drei Stunden, dann wage ich die Durchfahrt. In Nhacafolo bringen wir den Verletzten ins Spital. Er erhält einen Gips. Dann weiter. Doch 14 Kilometer vor dem Ziel ist Ende: das Wasser des Mangali steht brusthoch. Wir lassen die Schulleute, den Verletzten und mein Auto in einem Dorf. Dann waten Ricardo und ich durch den Fluss und gehen zu Fuss weiter. Der Boden ist morastig, Schlamm ist in meine Schuhe eingedrungen. So gehe ich, wie Ricardo, barfuss. Ein paar Kilometer später zeigt es sich jedoch, dass Ricardos Füsse geländegängiger sind als meine. Es wird ein langer Marsch, ein sehr langer. Es ist längst Nacht geworden. Den ganzen Tag hat es mehr oder weniger geregnet. Ich bin durch und durch nass. Die Lufttemperatur ist um die dreissig Grad und man spürt eigentlich nicht mehr, ob es regnet oder nicht. Dann ein Herdfeuer in einer Hütte. Geplauder. Nhacolo kündigt sich an. Weitere zwei, drei Hütten mit Kerzenlicht: das Zentrum des Ortes. Wir klopfen Arturo aus dem Schlaf, er hat vier Zimmer anzubieten. Zimmer ist viel gesagt: ein Schlag in einer Lehmhütte mit einem Bett bestehend aus einer Bambusmatte. Aber mit Moskitonetz. Arturo stellt einen Kübel Wasser hin und das ist dann die Dusche. Es tut unheimlich gut, die nassen Sachen auszuziehen und hinter dem Haus noch mehr Wasser über sich ergiessen zu fühlen – es regnet ja noch immer  - und dann in klammfeuchte neue Kleider zu steigen. Arturo kocht sogar noch einen Maisbrei mit Corned Beef, das ich im Gepäck habe. Dieses Hotel-Restaurant würde einem Reisebüro zwingend eine Klage von jedem einzelnen Kunden einbringen. Aber für diese Nacht ist es mindestens fünf Sterne wert. Meine Füsse sind Brei, in meinen Knochen steckt der Schmerz eines ganzen Spitals. Doch ich falle in den herrlichsten Schlaf dieser Welt.

Am kommenden Tag sieht die Welt anders aus. Ich hatte abends nicht gesehen, dass das Hochwasser bis quasi vor Arturos Hautür reicht. Nhacolo liegt am Zambezi-Fluss und ist von den jüngsten Hochwassern ebenfalls betroffen wie die Dörfer entlang des Flusses. Wir heuern den einzigen funktionierenden Lastwagen dieser abgeschlossenen Region an und bringen unsere Hilfsgüter nach Nhacolo. Das klappt nicht auf Anhieb, aber einen Tag später steht das Wasser am Mangali nur noch bis zum Bauchnabel. Der Lastwagen schafft es, bis zum Muira durchzukommen. Dadurch kriegen 1000 Familien etwas zu essen. Die Wasserflüchtlinge haben sich in der Umgebung des alten Spitals niedergelassen. Mit Stecken und Plastikbahnen haben sie sich Unterkünfte gebaut. Essen haben sie nur unregelmässig erhalten. Sie gehen zu ihren überschwemmten Pflanzfeldern und suchen im Wasser nach den noch unreifen Hirsekolben. Das tat auch dieser Mann, als ein Krokodil in seine linke Hand biss. Reflexschnell schlug er mit seiner Machete auf das Krokodil ein. Das riss ihm den Unterarm ab und tauchte ab. Er überlebte, sein Armstummel ist notdürftig verbunden.

Ich lasse Ricardo zurück, er soll in vier Tagen am Fussufer die nächste Lieferung abwarten. Die Schlammpiste führt zwischen Baobab-Bäumen hindurch bis zurück zum Ufer des Muira. Dort hingegen ist der Wasserpegel wieder angestiegen. So verbringe ich den sternenklaren Abend bei Sardinen, Biskuits und lauwarmem Wasser. Die regenlose Nacht teile ich im Auto mit Moskitos, während das Kreuz des Südens schleppend über das Firmament kriecht. Mittags des kommenden Tages riskiere ich die Durchfahrt und dann ist alles Routine. Auf der Rückfahrt nach Chimoio regnet es erneut als ob der Cabora Bassa Staudamm gebrochen wäre. Die Kilometer werden zu Meilen und der Tag zieht sich in die Nacht zurück. Doch wir haben als erste Organisation auf dem Landweg Nahrungshilfe nach Tambara geliefert. Ich lasse Joe Cocker ab Autoradio in voller Lautstärke singen: when the road gets dark.

top 

 

Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Surseer Woche 15. April 2001