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Wasserwelten in Mozambique

Allein die Vorstellung ist schrecklich: das Wohnhaus steht während mindestens zehn Tagen unter Wasser. Und zwar zwei Meter, fünf Meter und in ganzen Stadtteilen zehn Meter. Danach senkt sich der Pegel langsam und vielleicht drei Wochen später besucht man sein Haus wieder zum erstenmal. Schlamm überall, alles ist durchweicht, vollbewachsen mit grüngrauem Schimmelpilz, alles aufgeweicht, kaputt. Das ist den Bewohnern der Küstenstadt Xai-Xai in Mozambique während der Zyklonregen im Februar und März passiert.

Ich war letzten Juni in Mozambique, um für Caritas abzuklären, wo nach den verheerenden Regen und nach der Nothilfephase welche Aufbauprojekte durchgeführt werden könnten. Da stand ich auf jener Brücke, deren Bild im März um die Welt ging: Leute drängten sich auf der Brücke, rings herum nur braune Wasserfluten. Jetzt ist das Wasser abgeflossen, die Erde ist grün und fruchtbar. Doch die Dämme sind weggerissen, die Unterstadt von Xai-Xai ist noch immer unbewohnbar. Auf der Aussenwand des Bahnhofs zeigen braune Linien wie Strichcodes den unterschiedlichen Wasserstand während zweier Wochen. Die Schienen sind unterspült. Im Hof des lokalen Caritas-Gebäudes sind Dokumente ausgebreitet, um in der Sonne zu trocknen. Im Grundbuchamt sind die Eintragungen unleserlich. In den drei Banken liegt Schwemmmaterial. Es riecht nach Moder und Fäulnis. Die Mauern sind mit grünlichen Pilzen bewachsen. Hunderte von Menschen flüchteten damals auf die Dächer der Häuser und wurden von südafrikanischen Helikoptern geborgen – bevor die Welt reagierte und ebenfalls Helikopter und Reporter schickte. Der Grossteil der Unterstadtbewohner floh auf den Hügel der Oberstadt – und einige hatten die Chance, im Fernsehen mitzuerleben, was sich einen Kilometer weiter abspielte. Denn seltsamerweise fiel der Strom in der Oberstadt nicht aus – und natürlich waren die schnellen Jungs von CNN und von hundert weiteren Fernsehsendern per Helikopter sehr bald zur Stelle. 

Xai-Xai liegt am Ende einer riesigen Ebene, durch die der Fluss Limpopo schlängelt.  Diese Ebene ist seit Jahrzehnten ein gewaltiges Anbaugebiet für Reis. Doch im Februar entstand dort der grösste See des Landes. Wasser über hunderte von Quadratkilometern, ein paar Wochen lang. Die Unterstadt von Xai-Xai ertrank in den Fluten. Andere Städte ebenfalls: so auch Chokwe. Dort waren die Kirchenbänke zwei Meter unter Wasser. Nach einer Woche floss das Wasser langsam ab, die Kirche diente dann als Notspital, jetzt sind darin Nahrungsmittel gelagert. Völlig pietätlos führt mich die Schwester in der Kirche herum: die gestapelten Säcke Mais reichen für zwanzig Tage, hier Seife, dort Medikamente. Der Altar ist nicht mehr das Zentrum dieser Kirche. Die örtlichen Missionsschwestern managen die Krise mit viel Gespür für die Notwendigkeiten des irdischen Lebens. Draussen vor der Kirche stehen Zelte: Kranke - meist Aids, aber auch Tuberkulose - grosse Augen über ausgehöhlten Wangen. Weiter hinten ein abgegrenztes Zeltlager mit Cholerakranken. Ein Kind lächelt und zeigt mir eine abgegriffene Foto. Das ist alles, was von seiner Mutter blieb, sagt die Schwester.

Tausend Kilometer nördlich lebt der Schweizer Missionar Alois Graf. Er hat die Winde und Regen mitbekommen. Doch in seiner unmittelbaren Umgebung waren die Verwüstungen klein. Er hat kein Fernsehen und vernahm erst Wochen später, was da eigentlich im Süden Mozambiques abgelaufen war. Doch schnell erfuhr er, dass auch seine Pfarrei nicht verschont geblieben war: sein Pfarrgebiet ist mit 7100 km2 so gross wie Graubünden. Schulgebäude waren eingebrochen, Verkehrswege unterbrochen, auch Dörfer weggeschwemmt. Ich war vier Wochen in Mozambique unterwegs und habe mit vielen Leuten gesprochen. Alle wissen genau, wo sie zu jenem Zeitpunkt waren: im Bett, unterwegs, auf einem Baum. Übrigens hat die Frau, die auf einem Baum ein Kind geboren hatte und deren Foto auch um die Welt ging, inzwischen einen Orden erhalten und ist vom Staatspräsidenten empfangen worden. Mutter und Kind haben wohlbehalten überlebt.

Und nun findet Mozambique langsam wieder zur Normalität zurück. Es gibt noch die Zeltlager mit den von Wind und Wasser Vertriebenen. Es gibt die unterbrochenen Verkehrswege. Es gibt die ausgeschwemmten Minen, die regelmässig unschuldige Opfer fordern. Und es gibt die Regierung, die es schaffte, Schuldenerlass zu kriegen und Darlehen zu erhalten. Und es gibt diese Bevölkerung, die nach fast dreissig Jahren Krieg seit 1992 nun endlich Frieden erfahren hat und für die diese Naturkatastrophen einfach ein weiteres Übel auf dem Weg durch das Leben sind.

Ich war im Juni in Mozambique und bin nun wieder zurückgekehrt, um für Caritas Aufbauprojekte zu starten. Im Moment, wo ich dies schreibe, bin ich in einem Ort namens Chimoio in Mittelmozambique. So werden die folgenden Beiträge aus Mozambique stammen, ein herrliches Land mit einer netten Bevölkerung, die versucht, aus dem Schatten der Kriegswirren herauszutreten und zu überleben, auch wenn Naturkatastrophen den beschwerlichen Weg immer wieder kreuzen.

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Franz Stadelmann

 

 

Publiziert in Surseer Woche 10. August 2000