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Der
Fluss mit dem Engelsgesang Irgendwo
im fernen Barotseland liegt die Erde einen winzigen Spalt weit offen und
daraus fliesst glasklares Wasser: die Quelle des viertlängsten Flusses
Afrikas ist undramatisch. Die jungen Wasser wenden sich erst nach Norden,
dann im Bogen nach Westen und Süden, als würden sie ihr Reiseziel erst
abtasten. Doch Wasser, so sagen die Leute, hat keine Moral: es fliesst
immer zum tieferen Punkt. So erforscht der Zambezi in grossen Bögen die
vielschichtige Geologie des südlichen Afrikas. Im sambischen Quellgebiet
ist er ein schmaler Bach, in Angola ein steindurchsetzter Fluss und wieder
nach Sambia zurückkehrt, hat er sich zu einem Strom mit Schnellen
entwickelt. Links und rechts flaches Buschland, wenig bevölkert. Die
Leute nehmen aus dem Fluss ihr Trinkwasser, waschen sich und ihre Kleider,
lieben seine Fische - aber nicht die Krokodile. Dort haben die Dörfer
noch eigene Könige und klatschen zur Begrüssung mit den Händen. Die
Bewohner dieser Sandzonen wissen
kaum, dass es jenseits des Horizonts auch noch eine Welt gibt. Der Fluss
hingegen strebt unaufhaltsam dorthin, wo die Wolken den Erdensaum berühren.
Der Zambezi lässt sich begleiten von einem dichten Schilfband, in dem
Nilpferde wie schwimmende Weinfässer tummeln. Und
dann, als ob er der Menschheit ein ewiges Geschenk machen wolle, stürzt
er sich in eine tiefe Erdschramme. Dabei folgt er einfach seiner Linie
ohne Moral. Doch dieses glitzernde Spiel, dieser rauschende und tobende
Wasservorhang liess den Afrikaforscher Livingstone ehrfurchtsvoll
innehalten. Die Lokalbevölkerung nannte dieses angstvolle Schauspiel:
Wasser, das aufsteigt wie Rauch. Denn hier in dieser Falte der Erde ist
der Fluss nicht mehr. Er ist Schaum und Dunst, Spritzwasser und
ungedrosselte Energie. Niemand hat je hinter diesen Vorhang geschaut,
niemand hat je die glitschigen Felsen des Falls erklommen. Der Welt ist
dieses Schauspiel bekannt nach einer britischen Königin, die weder Fall
noch Afrika je gesehen: Victoria. Das dröhnende Wasser tobt sich noch in
den Winkeln der Schluchtenfelsen aus und wird dann ruhiger und zu einem
300 km langen See. Der Kariba Staudamm hat dem haltlosen Drang Einhalt
geboten und gewinnt daraus Energie. Kaum haben die Wasser das Mauerwerk überwunden,
geraten sie in den Staubereich des Cabora Bassa. Auch dies eine 200 km
lange Blockade für die wilden Wasser. Doch danach hindert kein Zement
mehr den freien Fluss. Nur ist er jetzt, gezähmt durch zwei Stauwerke und
durch Turbinen gedrosselt, ruhig und gelassen geworden. Der Zambezi
durchquert die Enge bei Tete als königlicher Strom, zeitlos und unergründlich.
Danach breitet er sich aus in den Flachgebieten von Mozambique, als gehöre
alles Land nur ihm. Er nimmt die Landschaft dermassen in Besitz, dass er
sich in mehrere Läufe aufteilt und dazwischen bewohnbare Inseln
toleriert. Hier ist er nicht mehr ein Fluss mit klaren Ufern. Hier ist er
ein Gewässer, das hier und dort fliesst, seinen Weg erkundet, als ob er
sich in der Krise des Alters an seine Jugend erinnern würde. Doch er behält
Stil: wer irgendwo am Zambezi steht und hinausblickt auf diese Fläche trägen
Wassers, wird seine Seele gespiegelt sehen und Gedanken denken, die aus
dem Urgestein des Herzens kommen. Der Zambezi lässt niemanden unberührt.
Die Anwohner hingegen, gewohnt an den steten Fluss, kennen keinen Vorrat
an Wasser, keine Speicher, keine Tanks. Ihnen ist der Fluss eine stete
Quelle. Doch immer mal wieder, wenn wochenlange Tropenregen über das südliche
Afrika niedergehen, vereint sich das Netz der Flussadern zu einem See bis
zu allen Horizonten, der die Anwohner in Lebensnot treibt. Die
Zuflüsse des Zambezi stammen aus fünf Nationen. Doch er schluckt sie
alle, diese Nebenflüsse, deren Inhalt seinen Pegel nur unwesentlich erhöhen.
Nur die Wasser des Shire aus Malawi kämpfen mit jenen des Zambezi im
krokodildurchsetzten Sumpf. Der Zambezi jedoch behält die Oberhand.
Ermattet windet er sich träge durch das Flachgebiet und ändert immer mal
wieder seinen Hauptverlauf. Ein Alptraum für Brückenbauer. In seinem
Unterlauf ist der Zambezi nur an einer Stelle mit einer nicht immer zuverlässigen
Fähre zu überqueren. Trotzdem ist der Zambezi Menschen nicht abgeneigt.
Entlang seines 2600 Kilometer langen Lebens erduldet er Pirogen und Einbäume,
Boote aus Leder und Baumrinden, Schiffe aus Eisen und Stahl – und sogar
die Gummihaut der River Rafters. Eigentlich ist der Zambezi ein
Seelenerlebnis: wer je bei rot sinkender Sonne an seinen Gestanden
gesessen, einen Gin in der Hand und Zeit im Herzen, wird dieses Meditieren
mit dem Fluss eingraviert weitertragen, tief innen. Die eigenen Narben,
die Schrammen des Lebens, die vergessenen Konflikte, die verdrängten
Niederungen der Innenwelt werden zu den Wellen des Flusses und lösen sich
auf im Wasser der Zeit. Egal an welcher Stelle dies geschieht, die Magie
der Zambezi-Gewässer strahlt auf der ganzen Länge. Nur im allerletzten
Teil entgleitet dem Strom die Kraft der Mystik. Der Fluss löst sich auf.
Das Delta ist weit verzweigt, der Zambezi fächert sich auf als ob er das
Salz des Meeres nicht mit voller Kraft konfrontieren wolle. Die
glitzernden Wasser der Quelle sind inzwischen trübbraun geworden und
mischen sich mit den grünen Wellen des Indischen Ozeans. Dort treiben die
Wogen des Meeres ihre neckischen Spiele, als ob der majestätische Zambezi
nicht existierte. |
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Franz Stadelmann |
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Publiziert in Surseer Woche 21. Juni 2001 |
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