Handouts

 

 

Kramer, Stefan: Anforderungen an den Genotyp, Zuchtziele, Entwicklung von In- und Auszuchtstämmen

 

 

 

 

Grundprinzipien der Versuchstierzucht

(Prof. Dr. H. Heinecke, Jena 1989)

Einleitung / Erläuterung von Grundbegriffen

Genotyp(=Ei/Spermien). Phänotyp1(=Geburt-perinatale Phase). Phänotyp2(=vor dem Experiment), Reaktionstyp(=während des Experiments)

• Der Phänotyp eines Tieres wird von dessen Genotyp und der darauf einwirkenden Umwelt charakterisiert.

• Der Erblichkeitsgrad (Heritabilität=h2) beschreibt das Verhältnis von genotypischer und phänotypischer Varianz, h2 wird beeinflußt durch die Kontrolle der Umweltfaktoren und bestimmt den Erfolg einer Selektion (gleich ob gerichtet o. stabilisierend).

Homozygot: reinrassig, mit gleichen Allelen auf beiden Chromosomen, dem väterlichen und dem mütterlichen (a/a oder A/A).

Heterozygot: verschieden rassig, verschiedene Allele auf dem väterlichen und dem mütterlichen Chromosom tragend (A/a oder a/A),

1. Inzucht -> Zunahme oder Erhaltung der Homozygotie

Zuchtziel: Fixieren von Homozygotie und phänotypische Uniformität

-> eine Tierpopulation ist dann ein Inzuchtstamm, wenn mind. 20 Generationen fortlaufend eine Bruder-Schwester- bzw. Eltern-Nachkommen-Paarung durchgeführt wurde.

Erst dann wird der Wrightsche Inzuchtkoeffizient zu 98,6% erreicht. Der Inzuchtkoeffizient repräsentiert eine relative Zunahme der Homozygotie. (Eine absolute Homozygotie ist nicht zu erreichen, da diesem Ziel eine notwendige Selektion nach Vitalität, eine geringfügig vorhandene Mutationsrate und die Faktorenkupplung entgegenwirken.)

-> Bei Zunahme der Homozygotie durch Inzucht sinkt die genetische Varianz, folglich nimmt der Anteil der Umweltvarianz an der Gesamtvarianz zu, d.h. daß Inzuchttiere wesentlich stärker auf Umweltfaktoren reagieren als nicht ingezüchtete Tiere.

-> fortlaufende Inzucht ==> Leistungsdepression. Diese Inzuchtdepression bezieht sich v.a. auf Vitalität und Fortpflanzungsleistung; u.a. werden auch vitalitätshemmende Gene homozygot. Folgen: Tiere sind krankheitsanfälliger, reagieren stärker auf Stressoren und sind weniger anpassungsfähig. Fortpflanzungsbereitschaft sinkt, Ovulationsrate sinkt, pränatale Mortalität steigt. Wurfgröße bei Mehrlingsgebärenden sinkt, Milchleistung d. Mütter sinkt, postnatale Entwicklung der Jungtiere wird negativ beeinflußt.

-> Inzuchtminimum: höchster Wert der Leistungsdepression. Je höher dieses Minimum über dem Existenzminimum liegt, umso besser sind Vitalität und Fruchtbarkeit des Inzuchtstammes.

-> Inzuchtstämme aufzubauen ist nicht bei allen Tieren notwendig und möglich. Bei Mäusen gibt es - auch bedingt durch die geringe Größe der Tiere - die meisten Inzuchtstämme (ca. 300). Im Vergleich: bei Ratten ca. 100, bei Goldhamstern ca. 40.

-> Mit steigendem Inzuchtgrad nimmt die genetische Variabilität ab. aber die phänotypische Variabilität zu. Man bezeichnet dieses Phänomen als paradoxe Variabilität, begründet durch geringere Anpassungsfähigkeit der Inzuchttiere und stärkeren Umwelteinfluß.

Demgegenüber zeigen sie stammesspezifisch in hohem Maße gleiche Reaktionen. (Inzuchttiere sind eineiigen Zwillingen gleichzusetzen). Viele polyfaktoriell bedingte Merkmale werden dadurch gefestigt und relativ konstant weitergegeben: Tumorraten, LD50, ED50 (Pharmaka, Strahlen, etc.), Reaktion auf Narkotika u.a.

-> Standardisierung des Genotyps durch einheitliche internationale Nomenklatur. Zusammenstellung von Zahl der Generationen, Genetik, Herkunft, Beginn der konsequenten Inzucht, Charakteristika wie Tumorraten, Blutwerte, Überlebenszeit. Fruchtbarkeit und Vitalität, Zuchtinstitute.

-> Aufbau eines Inzuchtstammes: konsequente Bru/Schwe- bzw. Elt/Nachk-Paarung, nur ein Zuchtpaar setzt die Linie fort.

-> Aus Sicherheitsgründen, für Bedarfsdeckung und zu Versuchszwecken hält man den Stamm breiter und führt (bis 5 Generationen) neben der Hauptlinie noch Nebenlinien. (Bei Züchtung von mehr als 10 Generationen der Sublinie sind Haupt- und Nebenlinie nicht mehr identisch).

-> Grundlage einer Versuchstierzüchtung bildet eine Kernzucht streng nach den Prinizipien der Inzucht, die Kontrolle der Inzuchtqualitäten erfolgt nur am Zuchtkern.

F1-Hybride = Hybridisierung zweier Inzuchtstämme

-> Ausgangspunkt sind 2 Linien nach Inzuchtkriterien. In der letzten Stufe erfolgt die Kreuzung der beiden Linien, das Endprodukt ist das Hybridtier.

-> Umgehen von inzuchtbedingten Nachteilen (wie Verminderung von Fertilität, Vitalität und Anpassungsfähigkeit). Dieses Phänomen, das auf der Heterozygotie der Erbanlagen beruht, nennt man Heterosis. So erhält man bei den Nachkommen eine konstante Variabilität und Uniformität sowie maximale Heterozygotie.

-> Eigenschaften der Hybridtiere müssen neu ermittelt werden und können nicht von den Elternmerkmalen abgeleitet werden. Wichtig: Hybride sind mit ihren Elterninzuchtstämmen histokompatibel.

-> Mosaikpopulation nach Cholnoky et al. (1969): Diallel mehrerer Inzuchtstämme. Daraus ergeben sich wieder n Inzuchtstämme und n(n-1) F1-Kombinationen. (aufwendiges Zuchtgeschehen).

F2-Hybride

 

-> Durch genetische Aufspaltung bei F2-Hybriden ergibt sich eine konstante Variabilität, als Grundlage dafür füngieren F1-Hybride.

-> Es entsteht eine Vielzahl von Aufspaltungsmöglichkeiten, da eine große Anzahl von Erbanlagen in F1 in heterozygoter Form vorliegt und in F2 segregiert. (Segregation = Aufspaltung von Genen im Verlauf der Generationen), (einfaches Zuchtgeschehen). F2-Hybriden sind Auszuchtpopulationen gleichzusetzen.

 

Koisogene, kongene und segregierende Inzuchtstämme

-> Koisogene Linien unterscheiden sich nur an einem bzw. wenigen, aber bekannten Loci eines Merkmals. Sie erlangten in den letzten Jahren zusammen mit kongenen Stämmen eine große Bedeutung in der immungenetischen Grundlagenforschung. Sie erlauben das Studium von Einzelgenen auf bekanntem genetischen Hintergrund. Kongene Stämme entstehen, indem ein stammesfremder Locus durch Kreuzung in einen Stamm eingeführt wird. Durch laufende Rückkreuzungen an den Ausgangsstamm liegt die Unterscheidung nur noch an jenem Genort.

-> Segregierende Inzuchtstämme sind mit ähnlichen Methoden aufzubauen und bei Mutationen notwendig, die im homozygoten Zustand nicht vermehrbar sind, wobei das für ein Geschlecht (nude-Maus) oder beide Geschlechter (Reeler-Maus) zutreffen kann.

 

Rekombinante Inzuchtstämme (Rl)

RIs entstehen nach der Kreuzung zweier Inzuchtstämme. An die danach folgende F2 wird wieder Vollgeschwisterpaarung durchgeführt. Wichtig: Ausgangsstämme sollen sich möglichst in zahlreichen Merkmalen signifikant unterscheiden. RI-Stämme sind wichtig für die Identifikation neuer polymorpher genetischer Loci sowie neuer Histokompatibilitätsloci.

 

 

 

2. Auszucht -> Zunahme oder Erhaftung der Heterozygotie Zuchtziel: Heterozygotie und konstante Variabilität

-> Prinzipiell sind - im Gegensatz zur Inzucht - alle in Frage kommenden Wirbeltiere in Auszucht zu reproduzieren. Das Prinzip der Auszucht entwickelte sich aus der Koloniezucht, die aber Forderungen nach konstanter Heterozygotie nicht erfüllen kann.

-> Eine Auszuchtpopulation ist gekennzeichnet durch eine konstante Heterozygotie, deren Erbanlagen erhalten werden sollen. Dadurch sind Auszuchttiere vitaler, fruchtbarer und anpassungsfähiger.

-> Ein Auszuchtstamm ist ein Produkt von mehreren Inzucht- oder noch vorhandenen Koloniezuchten. Damit erreicht man eine neue Population mit breitem Reaktionsspektrum. Schließt sich eine gezielte Selektion an, können bestimmte Merkmale genetisch festgelegt werden; Stämme mit niedrigem oder hohem Blut-pH-Wert. niedriger oder hoher Leukozytenzahl, hoher oder niedriger immunologischer Reaktion (high and low responders), Ein breites Reaktionsspektrum eignet sich für einmalige Versuche oder Untersuchungen ohne Wiederholbarkeitsanforderung.

-> Führung eines Auszuchtstocks nach 3 Zuchtverfahren möglich;

1) Zufallspaarung  (nur in Ausnahmen)

2) Rotationspaarung

3) Pedigreezucht bei maximaler Vermeidung von Inzucht oder Zucht nach Stammbaum (bei seltenen Versuchstieren)

-> Zunahme des Inzuchtkoeffizienten je Generation errechnet sich nach folgender Formel:

F%== (1/8M+1/8W)*100;   F=lnzuchtkoeffizient, M=Zahl der männlichen und

                                                                    W=Zahl der weiblichen Tiere

Daraus ergibt sich eine Mindestanzahl von Zuchttieren:

1) Zufallspaarung            mind. 100 Paare

2) Rotationspaarung        mind. 25 Paare

3) Pedigreezucht            mind. 10 Paare

-> zur Rotationszucht: Einteilung der Versuchtiere in Gruppen oder Blöcke, Kombination nach spezifischen Systemen, Rotation der Blöcke von Generation zu Generation (z.B. Rotation als HAN-System nach Rapp: minimale Zunahme der Homozygotie, keine Sublinienbildung, einheitliche Inzuchtkoeffizienten, für sämtliche Blockzahlen geeignet, leicht anzuwenden).

3. Mutanten

-> Modellierung von zahlreichen Erbkrankeiten des Menschen und teilweise auch bestimmter Tiere.

-> Erkennen einer Mutation ist - außer beim äußeren Erscheinungsbild - nicht immer einfach, da oftmals Mutationen im physiologischen Bereich vorliegen. Die meisten Mutanten sind bei Labormäusen bekannt und werden durch rasche Generationenfolge und hohe Fruchtbarkeit auch gezüchtet. Die den Biowissenschaftler interessieren­den Mutanten sind i.d.R. monogen bedingt, ein stabiler genetischer Hintergrund ist anzustreben. Ausprägung unabh. vom genetischen Hintergrund: im Falle der Muskeldystrophie, Ausprägung abh. vom genetischen Hintergrund: Agouti-Mäuse

-> Die Zucht der Mutanten ist wesentlich komplizierter als die der üblichen Versuchstierstämme, da oftmals die homozygoten Tiere in einem oder beiden Geschlechter unfruchtbar sind.

-> Beispiele für Mutantenstämme: Mäuse mit erblicher Muskeldystrophie, Ratten mit Diabetes mell. sowie Diab. insipidus, Chin. Zwerghamster mit Diab. meil., Kaninchen mit Ataxie sowie Epilepsie.