5.284  In Orléans greift man die Obrigkeit an. Bei La Chapelle-Saint-Mesmin wird gekämpft.
 

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Zusammenfassung
 

Gemäß den beiden ersten Zeilen wird man die Anführer von Orléans gewaltsam heimsuchen. Der Grund für diese Verfolgung wird die Habsucht sein. Mit "Orléans" ist dabei entweder die Stadt bzw. das gleichnamige Herzogtum gemeint oder vielleicht auch der neue Ludwig XII. von Frankreich, der "König von Orléans" (vgl. 5.145). Von einem Angriff lesen wir auch in der dritten Zeile. Dieser wird einige Kilometer westlich von Orléans, nahe La Chapelle-Saint-Mesmin erfolgen. Man wird dort auf Widerstand stoßen, d. h. wohl, es wird zu heftigen Kämpfen kommen. Da in der Nähe der Stadt Orléans gekämpft werden wird, ist in 8/42 wohl nicht vom neuen Ludwig XII. sondern eher von Vorgängen an der Loire die Rede. Gemäß Zeile vier wird jemand tot in seinem Zelt liegen. Man wird allerdings sagen, dass er dort nur schläft. Bei diesem Toten dürfte es sich um eine Person handeln, der eine große Bedeutung zukommt. Weiter sind Zelte in unseren Breiten für gewöhnlich nur provisorische Behausungen, etwa im Militärwesen (vgl. Anmerkung 5). Wir könnten hier also z. B. einen militärischen Befehlshaber vor uns haben. Über die Natur seines Todes erfahren wir hier allerdings nichts. Auch nicht, weshalb man sein Dahinscheiden verheimlicht.

Gemäß den beiden ersten Zeilen wird man die Anführer von Orléans gewaltsam angreifen. Interessant ist, dass diese Anführer nicht aus politischen Gründen heimgesucht werden sondern aus schnöder Habsucht. Dazu könnte 5.82 passen, wo der königliche Beamte oder Gouverneur der Stadt zunächst nur gefangen genommen und erst später getötet werden wird. Diese Gefangennahme könnte eine Entführung sein, bei der das Lösegeld mit im Zentrum des Interesses steht. Allerdings geht es in 5.82 nur um einen Beamten, während in 8/42 von den Anführern bzw. Oberhäuptern der Stadt die Rede ist. Dieser Widerspruch ist vielleicht so aufzulösen, dass man, um des Beamten habhaft werden zu können, zunächst die gesamte Obrigkeit, die Stadtregierung, angreifen bzw. gefangen nehmen muss. In 8/42 werden die Stadtoberhäupter als "die Seinen" bezeichnet. Das bedeutet, dass es sich bei den Feinden der städtischen Obrigkeit ebenfalls um Leute aus Orléans handeln wird (vgl. Anmerkung 1). In 3/66 (5.82) wird der Mörder des königlichen Beamten erwähnt. Es handelt sich dabei um jemanden mit "rächendem Blut". Der Mörder könnte etwa der Rädelsführer der Kidnapper sein. Interessant ist das Element der Rache, das hier ins Spiel kommt. Warum rächt sich der Täter? In welcher speziellen Beziehung stehen Täter und Opfer zueinander? Die Rache ist aber sicher ein Hinweis darauf, dass die Habsucht nicht das alleinige Motiv dieser Gefangennahme ist. Da es sich beim Getöteten um einen königlichen Beamten oder den Gouverneur einer übergeordneten Macht handelt, ist zu erwarten, dass diese Tat den König oder die übergeordnete Macht auf den Plan ruft. Der in der dritten Zeile von 8/42 geschilderte Angriff bei La Chapelle-Saint-Mesmin könnte die Antwort auf die Ermordung des Beamten sein - eine Strafexpedition gegen die Stadt Orléans. Von einer Rebellion in dieser Stadt lesen wir auch in 3/51 (5.148). Dort wollen die Leute von Orléans ihr Oberhaupt entfernen. In 3/51 (5.148) erfahren wir zudem, dass Angers, Troyes und Langres an diesen ein "großes Verbrechen" verüben werden. Doch was wird man den Leuten von Orléans antun? Eine denkbare Möglichkeit wäre, dass Angers, Troyes und Langres die Stadt einnehmen und die Bevölkerung oder Teile von ihr töten werden. Das wäre dann wohl die oben vermutete Strafexpedition gegen die Stadt. 3/51 (5.148) berichtet aber auch noch von einem Mord. Einem Mord, den Paris beschließen, aber Blois in die Tat umsetzen wird. Falls dieses Mordkomplott mit den Vorgängen in und um Orléans zu tun haben sollte, könnte ihm vielleicht der Oberbeamte aus 5.82 zum Opfer fallen. D. h. Paris und Blois wären die Auftraggeber des Mörders mit dem "rächenden Blut". Das zweite mögliche Opfer ist der oben vermutete militärische Befehlshaber, der tot in seinem Zelt liegt und dessen Tod verheimlicht wird. Falls dieser Orléans Truppen bei La Chapelle-Saint-Mesmin kommandiert, könnte seine Beseitigung dazu dienen, den Weg in die Stadt freizumachen. Doch wer verheimlicht seinen Tod und warum? Möglicherweise seine untergebenen Offiziere, die die Moral der Truppen und der Stadtbevölkerung aufrechterhalten wollen?

Quellen
 

8/42  

Par auarice, par force & violence
Aus Habsucht [und] mit Macht und Gewalt
Viendra vexer3) les siens1) chiefz2) d’Orleans,
wird [man] kommen, um die Seinen1), [die] Anführer2) von Orléans, heimzusuchen3).
Pres saint Memire4) assault & resistance.
Nahe La Chapelle-Saint-Mesmin4) [findet der] Angriff [statt], und [dort stößt man auf] Widerstand.
Mort dans sa tante5) diront qu’il dort leans.
[Er liegt] tot in seinem Zelt5). [Sie] werden sagen, dass er dort schläft.
1) Mit "den Seinen" werden im Mittelfranzösischen Familienangehörige aber auch Mitbewohner einer Stadt bezeichnet.
2) Oder: "Oberhäupter".
3) Oder auch: "peinigen, quälen; verfolgen".
4) La Chapelle-Saint-Mesmin liegt etwa sechs Kilometer westlich von Orléans. Mit dem heiligen "Memire" bzw. "Mesmin" ist der heilige Memorius gemeint, der im 5. Jahrhundert von Attila getötet worden ist, vgl. dazu CLÉBERT, S. 888.
5) Lies: "tente" (Zelt, Militärzelt).

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