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Chronologie in Nostradamus’ Prophezeiungen
Richtig ist, dass in Nostradamus’ Werk Jahreszahlen genannt werden.
Etwas voreilig ist aber wohl die Annahme, es handle sich dabei einfach um Jahre der üblichen christlichen Zeitrechnung.
Analysieren wir sämtliche Verse, so fällt auf, dass davon nur recht
wenige explizit eine Jahreszahl beinhalten; von den 942 Zenturienversen
gerade einmal sieben Stück. Es sind dies Vers 1/49 (Jahr "1700"), 3/77
(Jahr "1727"), 6/2 (die Jahre "580" und "703"), 6/54 (Jahr "1607"),
8/71 (ebenfalls Jahr "1607"), 10/72 (Jahr "1999") und 10/91 (Jahr
"1609"). Mit großer Wahrscheinlichkeit sind verschiedene Zahlenangaben
in einigen weiteren Zenturienversen gleichfalls als Jahreszahlen zu
verstehen, doch da dies im Einzelnen noch nicht restlos geklärt ist,
sollen diese Vierzeiler hier nicht berücksichtigt werden.
In den beiden Vorworten werden ebenfalls einige Jahreszahlen
ausdrücklich genannt. Das Cäsar Nostradamus gewidmete, das mit dem 1.
März 1555 datiert ist, führt dabei das Jahr "3797" auf – das Jahr, bis
zu dem die Prophezeiungen reichen sollen.
In den 226 zusätzlichen Versen sind Jahreszahlen häufiger anzutreffen
Doch da deren Echtheit noch nicht in allen Einzelheiten restlos geklärt
ist, sollen diese hier ausgeklammert bleiben.
Kehren wir aber zu den eigentlichen Zenturien mit den dazugehörenden
Vorworten zurück und betrachten wir die oben genannten Daten. Bei
diesen fällt auf, dass alle bis auf zwei Ausnahmen ("1999" und "3797")
weit in der Vergangenheit zu liegen scheinen. Die Angaben aus 6/2
("580" und "703") sogar Jahrhunderte vor Nostradamus’ eigener Geburt
(1503)! Bei "gewöhnlichen" frühneuzeitlichen Quellen wäre es für
erfahrene Historiker und Paläografen einigermaßen klar, die Zahlen
"580" und "703" zu "1580" bzw. "1703" zu ergänzen. Doch da es sich bei
Nostradamus’ Werk um eine ausgefeilte Denksportaufgabe handelt und eben
nicht um eine "gewöhnliche" Quelle, könnte sich diese ansonsten
vernünftige Interpretation als Fehler erweisen – doch dazu später mehr.
Wenn wir nun die prophetischen Texte, die zu allen scheinbar
vergangenen Daten gehören, aufmerksam lesen, stellen wir etwas sofort
fest: die beschriebenen Vorgänge passen in keiner Weise zu den
erwähnten Jahreszahlen! 3/77 berichtet etwa davon, dass im Oktober
"1727" der "König von Persien" von "Leuten aus Ägypten" gefangen
genommen wird. In Tat und Wahrheit wurde nie ein persischer Herrscher
von Ägyptern gefangen gesetzt, schon gar nicht 1727 n.Chr., als die
Perser gerade einen wichtigen Sieg über die Osmanen (die Ägypten
beherrschten) errungen hatten. Da die anderen eindeutig datierten
Prophezeiungen ebenso "falsch" sind, oder wenigstens zu sein scheinen,
könnte man schnell einmal zum Schluss gelangen, dass dies der
endgültige Beweis dafür sei, dass die Voraussagen des Nostradamus eben
gesamthaft falsch sind und dass der Seher nichts weiter als ein
Scharlatan war. Doch gibt es da ein kleines Problem. Stillschweigend
wurde nämlich bisher (wie oben demonstriert) oft angenommen, dass die
Jahresangaben bei Nostradamus der üblichen christlichen Zeitrechnung
entsprächen. In der Folge wurden, wie gezeigt, sogar die Daten aus 6/2
einfach dahingehend "ergänzt", dass sie in der christlichen
Zeitrechnung als prophetische Angaben Sinn machen ("580" als "1580",
"703" als "1703"). Und dies, obwohl Nostradamus sich gar nie
ausdrücklich auf die christliche Zeitrechnung als Rahmen zu seinen
prophetischen Texten berufen hat.
Zur Frage der verwendeten Zeitrechnung gibt es im Vorwort an Cäsar eine
interessante Stelle. Nostradamus schreibt dort über seine
Prophezeiungen:
"… es sind andauernde Weissagungen für die Zeit von jetzt an bis zum Jahr 3797".
Datiert ist dieses ganz am Anfang des Werkes stehende Vorwort mit dem
1. März 1555 (hier allerdings tatsächlich nach christlich-julianischem
Kalender, da es sich bei der Schlusspassage des Vorworts eindeutig
nicht um einen prophetischen Text handelt). Wenn unser Seher also
schreibt, dass seine Weissagungen "jetzt" ihren Anfang nehmen, ist
damit mit hoher Wahrscheinlichkeit der 1. März 1555 n.Chr. gemeint. Es
sei daran erinnert, dass es sich beim 1. März um den altrömischen
Jahresbeginn handelt, der auch zur Zeit des Nostradamus noch teilweise
verwendet wurde (in Venedig bis 1797). Da es sich bei Nostradamus’
Prophezeiungen um ein typisches Renaissance-Werk handelt, in dem es von
Anleihen aus der antiken Kultur und Mythologie nur so wimmelt, wäre ein
solcher Rückgriff auf den 1. März als Jahresanfang auch alles andere
als ungewöhlich.
Widmen wir uns noch der Frage nach dem Endpunkt der Prophezeiungen.
Nostradamus schreibt in der zitierten Stelle dazu, dass dieser im Jahre
"3797" läge, allerdings ohne sich zur verwendeten Zeitrechnung zu
äußern. Meines Erachtens nun verwendet unser Seher dazu ein eigenes
System, das (nach Vorbild des damaligen julianischen Kalenders) am 1.
März 1555 n.Chr. mit dem Jahr "1" einsetzt. Der Vorteil dieses
Erklärungsmodells liegt u.a. darin, dass damit die Angaben aus 6/2 (und
ähnlichen, hier nicht erwähnten Versen) plötzlich einen Sinn bekommen,
ohne erst vorher "korrigiert" werden zu müssen. Des weiteren bekämen
die scheinbar "falschen" Daten aus den eingangs erwähnten Vierzeilern
wieder eine "zweite Chance" – für Nostradamus-Anhänger eine
Frohbotschaft, für Skeptiker ein Ärgernis.
Tragen wir nun noch einmal einige der erwähnten Jahresangaben aus den
Prophezeiungen zusammen und berechnen wir sie nach dem vorgeschlagenen
System neu: