+7/43
Lors qu’on verra les deux licornes |
Wenn man die beiden Einhörner sehen wird, |
L‘une baissant l’autre abaissant, |
das eine sinkend, das andere senkend, |
Monde au milieu, pilier1) aux bornes |
[ist die] Welt in der Mitte [und der] Pfeiler1)
an den Grenzen. |
S’en fuira le neveu riant. |
Der lachende Neffe wird fliehen. |
1) Hier gibt es eine Textvariante: statt "pilier" (Pfeiler) "plier" (falten, biegen). In diesem Fall müßten die beiden letzten Zeilen etwa so übersetzt werden: "[ist die] Welt in der Mitte, [und um] an den Grenzen zu biegen, wird der lachende Neffe fliehen".
Kommentar
1. und 2. Zeile: Unklar, wer oder was hier gemeint sein könnte.
Schottland und Großbritannien weisen in ihren Wappen Einhörner
auf. Doch das sind längst nicht alle möglichen Kandidaten. Die
beiden Einhörner könnten hier vielleicht einander bekämpfen,
wobei das eine unterliegt ("sinkt") und das andere gewinnt ("senkt").
3. Zeile: Unklare Zeile. Möglicherweise haben wir hier einige Wortspiele vor uns. Mit "monde" könnte das lat. "mundus" gemeint sein, das auch "sauber, zierlich, anständig" bedeutet. "Pilier" entspräche dem lat. "pila", das als Pluralform aufgefaßt auch "die Wurfspieße" heißen würde (von lat. "pilum"). Dann wäre die dritte Zeile folgendermaßen zu übersetzten: "[ist der] Anständige in der Mitte [und sind die] Wurfspieße an den Grenzen." D.h. das Land des "Anständigen" wäre an den Grenzen militärisch bedroht.
4. Zeile: Falls der "Anständige" und der "Neffe" identisch wären, hieße das, daß es zu einer Invasion kommt, die den Neffen in die Flucht schlägt. Doch warum sollte er dann lachen? Vielleicht hat der Neffe vor der Invasion über den Feind noch gelacht und wird hier deshalb so bezeichnet?
Im Moment muß man diesen Vers so stehen lassen.
+7/44
Alors qu‘un bour1) fera fort bon1), |
Dann, wenn eine kleine Stadt1) [es] sehr gut machen
wird, |
Portant en soy les marques de justice2), |
[die] in sich die Zeichen der Gerechtigkeit2)
trägt, |
De son sang lors portant son nom |
dann wird aus ihrem Blut [jemand] ihren Namen tragen, |
Par fuite3) injuste receura son supplice4). |
[der] wegen [der] unrechten Flucht3)
seine Bestrafung4) erhalten wird. |
1) LE PELLETIER sieht hier eine Anspielung auf "Bourbon" und
bezieht den ganzen Vers auf die Hinrichtung Ludwig XVI. Ich lese "bour" als
"bourg" (kleine Stadt).
2) Im Sinne von Rechtschaffenheit wie auch von Rechtssprechung.
3) Auch: "Ausflucht".
4) Auch: "Hinrichtung".
Kommentar
Hier ist kaum von der Hinrichtung Ludwigs XVI. die Rede.
1. und 2. Zeile: Hier wird eine kleine Stadt erwähnt, die etwas sehr gut machen wird. Was das ist, erfahren wir aber nicht. Die zweite Zeile könnte vielleicht ein Hinweis auf den Namen dieser Stadt sein.
3. und 4. Zeile: Jemand, der aus dieser kleinen Stadt stammt, trägt den gleichen Namen wie die Stadt selbst. Er wird wegen einer unrechten Flucht bestraft werden. Das könnte z.B. ein Feldherr oder Herrscher sein, der aus Feigheit oder anderen Motiven flieht und dann deswegen später bestraft wird.
Der Vers gehört zu +P/44.
+7/73
Renfort de sieges manubis1) & maniples2) |
[Die] Verstärkung der Belagerungsarmeen [erfolgt durch]
Beute1) und Manipel2). |
Changez le sacre & passe sur le prosne3), |
Verändert das Heilige, und [er] geht über
die Bibelauslegung3) hinaus. |
Prins & captifs n’arreste les prez triples |
[Es gibt] Ergriffene und Gefangene. [Er] stoppt
nicht die nahen Dreifachen. |
Plus par fonds mis, esleué, mis au trosne. |
[Er wurde in die] tiefste Tiefe gebracht, erhoben
[und] auf den Thron gebracht. |
1) Lat. "manubiae" (Beute).
2) Der Manipel war eine römische Truppeneinheit, die zwischen
60 und 120 Mann umfaßte.
3) Auch möglich: "Kanzel, Lehrstuhl".
Kommentar
1. Zeile: Belagerer erhalten v.a. finanzielle und materielle Verstärkung,
jedoch nur wenig neue Truppen. Das bedeutet wohl, daß die Eingeschlossenen
nicht oder nur selten angreifen, so daß die Belagerer kaum Gefallene
zu beklagen haben.
2. Zeile: Dadurch, daß man die Regeln der Kirche ("das Heilige") geändert hat, wird ein Geistlicher über seine eigentliche Funktion hinauswachsen und sich in andere Bereiche einmischen.
3. Zeile: Es herrscht Krieg. Vielleicht geht es um die Belagerungen aus der ersten Zeile? Jemand, der den Feind stoppen sollte, tut oder kann das nicht. Das Resultat sind Gefangene der eigenen Seite. Diese "Dreifachen" scheinen dabei die erfolgreichen Angreifer zu sein. Vielleicht gibt es hier eine Verbindung zu 2/73?
4. Zeile: Hier scheint der Unfähige aus der dritten Zeile
beschrieben zu sein. Er ist einer, der zuerst ganz nach unten gebracht wird
aber dann doch noch den auf den Thron gelangt. Sollte es sich dabei vielleicht
um den Geistlichen aus der zweiten Zeile handeln? Die "tiefste Tiefe" wäre
dann möglicherweise eine Anspielung auf den bekannten Psalm 130 ("Aus
der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir...").
+7/80
L’Occident libre les Isles Britanniques |
Der Westen [ist] frei. [Und auch] die Britischen Inseln. |
Le recogneu passer le bas, puis haut |
Der Anerkannte [wird] die Erniedrigung [und] dann
[die] hohe Stellung durchlaufen. |
Ne content triste Rebel corss.1) Escotiques |
Nicht zufrieden [und] unglücklich [ist der]
Rebell [wegen den] schottischen Seeräubern1). |
Puis rebeller par plus & par nuict chaut.2) |
[Er wird] dann noch stärker rebellieren. Und
in der Nacht [wird die] Wärme sein.2) |
1) "Corss." steht hier für "corsaires" (Seeräuber).
2) Die "Wärme" dürfte wohl einen Feldzug meinen (lat.
"aestas" = u.a. Sommer, Sommerhitze; Feldzug). Daß dieses Unternehmen
in der "Nacht" durchgeführt wird, müßte bedeuten, daß
man den Feind damit überrascht.
Kommentar
1. und 2. Zeile: Unklar, welche Gebiete hier genau unter "Westen" verstanden
werden. Jedenfalls sind er und die Britischen Inseln "frei". Doch "frei"
beinhaltet im Mittelfranzösischen, so wie hier, auch durchaus negative
Aspekte. Etwa "gesetzlos, ohne Ordnung" usw. Es scheint hier so zu sein,
daß der rechtmäßige und anerkannte britische Herrscher zuerst
erniedrig wird, bevor er dann später sein hohes Amt wird bekleiden können.
3. Zeile: Der "Rebell" dürfte derjenige sein, der die Macht in England innehat. Er konnte zwar den rechtmäßigen Herrscher ausstechen, doch auch er hat Probleme. "Schottische Seeräuber", vielleicht eine Art "Guerillakämpfer zur See", scheinen ihm zuzusetzen.
4. Zeile: Der "Rebell" könnte eine überraschende Strafexpedition nach Schottland durchführen, um seine unrechtmäßige Herrschaft zu sichern und auszubauen (d.h. um "stärker zu rebellieren").
Der Vers könnte zu 10/66 gehören, wo ebenfalls von einer Rebellion
in Großbritannien die Rede ist.
+7/82
La stratageme simulte1) sera rare |
Die Kriegslist wird [in der] Feindschaft1) selten
vorkommen. |
La mort en voye rebelle par contrée: |
Der Tod [zieht] auf rebellischem Weg durch [das]
Land. |
Par le retour du voyage Barbare |
Wegen der Rückkehr der barbarischen Expedition |
Exalteront la protestante entrée. |
werden [sie] den protestantischen Einzug ehren. |
1) Lat. "simultas" (Eifersucht, Rivalität, gespanntes Verhältnis, Groll, Feindschaft).
Kommentar
1. Zeile: Zwischen zwei Akteuren herrscht Feindschaft und offener
Krieg. In dieser Auseinandersetzung wird aber nicht mit Subtilität
und List agiert sondern wohl mit massiver, roher Gewalt.
2. Zeile: Hier wird einer der Kämpfenden indirekt erwähnt; es ist ein Rebell. Somit müßte sein Feind der rechtmäßige Herrscher sein. Der Aufständische hinterläßt bei seinem Zug ("rebellischer Weg") durch das Land eine Spur des Todes. Es ist erfahrungsgemäß tatsächlich so, daß Bürgerkriege häufig brutaler und grausamer geführt werden als zwischenstaatliche Auseinandersetzungen.
3. und 4. Zeile: Diese "Expedition" dürfte einen Feldzug meinen.
Ob diese Zeilen sich aber auf den obigen Bürgerkrieg beziehen ist
fraglich. Als "Barbaren" werden in den Zenturien u.a. Orientalien und Muslime
bezeichnet. Jedenfalls wird eine barbarische Armee irgendwohin zurückkehren.
Aus diesem Grund werden Andere den Einmarsch einer protestantischen Streitmacht
begrüßen. Doch ohne Begleitverse kann zu diesem Vierzeiler nicht
mehr gesagt werden.
Vent chaut, conseil1), pleurs, timidité, |
[Der] Wind [ist] heiß. [Es kommt zu einem] Plan1),
Tränen [und] Furcht. |
De nuict au lict assailly sans les armes: |
Bei Nacht [wird er] im Bett ohne die Waffen angegriffen. |
D’oppression grande calamité, |
Durch [die] Unterdrückung [entsteht das] große
Unheil. |
L’epithalame conuerty pleurs & larmes. |
Das Hochzeitsgedicht [wird] verändert. Weinen
und Tränen. |
1) "Conseil" bedeutet neben "Rat" usw. auch "Plan, Projekt".
Kommentar
1. Zeile: Der "heiße Wind" dürfte wohl etwa "erhitztes
Gerede" bedeuten ( "vent" = u.a. Wind, Gerücht, "chaud" = u.a. heiß,
hitzig). Wilde Gerüchte kursieren also, die einen Plan, eine Verschwörung,
sowie Tränen und Furcht nach sich ziehen.
2. Zeile: Hier wird jemand angegriffen wenn er nachts unbewaffnet im Bett liegt. Das erinnert stark an 1/39, zu dem dieser Vierzeiler wohl gehören dürfte. Dort erfahren wir, daß es sich dabei um einen "gewählten Blonden" handelt, der diesem Attentat zum Opfer fällt.
3. Zeile: Das Land wird nach der Beseitigung des "Blonden" Unterdrückt, wodurch großes Unheil entsteht. Das entspricht wieder 1/39, wo drei die Macht übernehmen und das Land unterjochen.
4. Zeile: Diese Zeile könnte sich auf die wilden Gerüchte aus der ersten Zeile beziehen. In 1/39 erfahren wir, daß es eine Karte und ein ungelesenes Briefpaket sind, die den "Blonden" töten. Entspricht die Karte dem Hochzeitsgedicht? Haben die Verschwörer dieses Gedicht zum Nachteil des "Blonden" gefälscht? Jedenfalls endet der gesamte Umsturz mit dem Weinen und den Tränen des unterdrückten Landes.