Geschichte
bis 1800, erste Aussenkontakte
Die
Geschichte der madagassischen Volksgruppen bis 1800 ist in
vielen Details noch unklar. Dies trifft nicht nur auf Fragen der
Herkunft und Einwanderung zu, sondern auch auf die Entwicklung
und Ausbreitung der Völker innerhalb Madagaskars.
Fest
steht, dass Madagaskar zu Beginn der christlichen Zeitrechnung
nicht besiedelt war. Die ersten Einwanderer kamen wohl im
Zeitraum um 500 n. Chr. Wichtige Siedlungsschwerpunkte fanden
sich in einer ersten Zeit an der Ostküste und im Norden. Jedes
der heute unterschiedenen 18 Völker Madagaskars hat seine
eigene Geschichte, die allerdings oft nur bruchstückhaft
rekonstruiert werden kann.
Generalisierend
kann man aber folgendes Muster feststellen:
Der
Mensch lebte eingebettet in einer Grossfamilie, dominiert von
einem Patriarchen. Der Clan (foko) vereinigte die Familien mit
dem gleichen Vorfahren, hatte sein Territorium, seinen Kult und
wurde von einem Chef regiert, dem ältesten der ältesten
Familie. Der Familienchef diktierte aufgrund seiner
soziologischen Stellung und seiner politischen Macht die
anfallenden Entscheide der Versammlung der Dörfler (fokonolona),
die ja seine nahen und fernen Verwandten waren, mehr oder
weniger auf.
Die
Clans lebten relativ unabhängig voneinander, vereint nur
durch gelegentliche Allianzen in rivalisierenden Konföderationen.
In einigen Regionen bildeten sich überregionale Königreiche
mit einer starken Hierarchisierung der Clans: Clans (oder
Kasten) der Noblen, woraus die Könige hervorgingen und die
Clans der Nichtadeligen, aber Freien. Die Sklaven,
Kriegsgefangenen oder Verurteilten hatten ihren Clan verloren
und konnten beliebig verkauft werden. Bei den Merina
entwickelten sich sieben noble Kasten (andriana) und eine
Vielzahl an nichtnoblen Clans (hova). Auch die Sklaven waren in
verschiedene Klassen unterteilt. Es durfte nur innerhalb der
gleich hohen Clans geheiratet werden.
In
etlichen Fällen bildeten sich sakrale Königreiche,
deren jeweiliger Herrscher (mpanjaka) als Halter der fanjakana
(Befehlsgewalt) Taxen erheben und Zwangsarbeit verordnen durfte.
In der Ausübung seiner unbeschränkten Macht stützte er
sich auf die tompon-tany (die Herren der Erde, die
Landbesitzer). Er war aber auch legimitiert und bevollmächtigt
durch gottähnliche, heilige Züge (hasina), die ihn zum
Gottkönig machten. Diese übernatürliche Allianz wurde in
regelmässigen Abständen erneuert. In Imerina war dies
das jährliche königliche Bad (fandroana), bei den
Sakalava das Ritual des fitampoha (Waschen von Reliquien
verstorbener Könige). Zudem war der Herrscher in Besitz von
gottverbindenden Talismanen (den sampy der Merina-Könige
oder den Reliquien der Sakalava). Er lebte in einem Palast (lapa),
ein Haus etwas grösser als die anderen, in der rova
gelegen, wo auch seine Frauen, Bediensteten und Sklaven lebten.
Durch militärische Kraft und mit Heiratsallianzen dehnte er
seinen Machtbereich aus, Kriege wurden ausgefochten, Bündnisse
eingegangen, gebrochen, gewechselt.
Nach
dem Tod des starken expansiven Königs brachen oft blutige
Thronfolgestreitigkeiten aus, in deren Folge das Reich oftmals
erlahmte und seinerseits von erstarkenden Nachbarn bedrängt
wurde.
Schon
ab 1500 kam es zu Kontakten zu europäischen Seefahrern,
wobei folgende Interessen im Spiel waren: die Madagassen
verlangten Gewehre und Schiesspulver, die Europäer suchten
Nahrungsmittel und Sklaven. Beide Seiten waren bereit, die
verlangten 'Produkte' zu liefern. Dies trifft auch auf die
moslemischen Händler zu, die seit unzähligen
Generationen im Westen und Norden als Zwischenhändler
agierten.
Gegen
Ende des 18. Jahrhunderts erlangten die Merina auf dem
Hochplateau dank eines charismatischen Königs eine
Einigung, deren straffere Organisation und Gesetzgebung eine
bessere Sicherheit und eine höhere Reisproduktion ermöglichte,
gefördert durch ein besseres Management von Wasserzufuhr
und Landaufteilung. Die Erstarkung und die darauffolgende
Expansion der Merina geht auch auf den Handel mit den Europäern
zurück: starke innere Organisation, verbunden mit dem
Tauschhandel - Sklaven gegen Waffen - liess die Merina zum
staatsbildenden Volk werden.
Genauso
gut hätten die Sakalava oder die Betsileo als einigende
Kraft in weiten Regionen der Insel auftreten können. Doch
mit dem Jahr 1800 waren die Würfel gefallen: Imerina begann zu
dominieren. Trotzdem blieb Madagaskar ein vielschichtiges Mosaik
aus verschiedenen Königtümern, die meist in Streit und
Konkurrenz zu den Nachbarn lagen.
1800
ist eine Marke in der Geschichte Madagaskars. Von dieser Zeit an
begannen die erstarkten Merina vom Hochland aus die Insel zu
erobern, um dem Binnenland einen Anschluss an den Aussenhandel
zu ermöglichen und den lukrativen Übersee-Handel unter
Kontrolle zu bringen. Trotz Ermordung von Merina-Thronfolgern
und Königen ergab sich eine Kontinuität, die das ganze
19. Jahrhundert anhielt und erst mit der Invasion der Franzosen
gebrochen wurde.
Die
Franzosen erbten das Reich der Merina, jedoch nicht Madagaskar.
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