PRIORI

PRIORI, das Reisebüro für und in Madagaskar

.
Madagaskar, das PRIORI-Buch

Franz Stadelmann

.

Madagaskar: Symbiose zwischen Gestern und Heute

.

zurück zum Inhaltsverzeichnis

.

Betsileoreiche

Die Betsileo leben heute ziemlich homogen auf dem südlichen Hochplateau. In dieser hügeligen Region entstanden zwar etwa zur gleichen Zeit wie in Imerina vier Königreiche. Sie blieben aber regional beschränkt und unterlagen bald der militärischen Einflussnahme der starken Merina aus dem Norden.

Der Volksname stammt womöglich von be tsy leo (zu zahlreich, um besiegt zu werden). Flacourt (17. Jh) erwähnt dieses Volk auf seiner Madagaskar-Karte nicht, jedoch François Martin, der für Flacourt entlang der Ostküste Reis einkaufte. Allerdings könnte Flacourt mit dem 'Land der Rinder' das Siedlungsgebiet der Betsileo gemeint haben.

Die Betsileo sehen sich als von Osten gekommen: eine Prinzessin der Antaimoro soll die Siedler angeführt haben. Die ursprünglichen Bewohner der Region, die Vazimba, verzogen sich nach Westen. In Imerina, so berichtet die orale Tradition, gehen die ersten Merinakönige auf Vazimba zurück. In Betsileoland hingegen haben die Vazimba zwar viele Steinstelen und Gräber hinterlassen (einfache Steinhaufen), doch kein Betsileo-Clan in den Vazimba seine Urväter.

Die erste Phase der Betsileo gleicht jener der Merina: die Familiensippen waren noch ziemlich mobil, die Reisfelder wurden noch nicht regelmässig bewirtschaftet, das Halten von Sklaven war üblich. Die Siedlungen wurden von kleinen Königtümern dominiert, die aber meist nur auf die Umgebung eines Dorfes beschränkt waren. Die befestigten Dörfer mit ihrer Königsresidenz (rova) lagen auf den Hügeln und wurden nachts mit runden Steinen verschlossen, weil Angriffe feindlicher Gruppen häufig waren, insbesonders aus dem Südwesten von den Bara. Die Betsileo waren stark strukturiert in Adelige, Freie und Sklaven mit sehr nuancierten Untergruppen. (Die Adeligen in Betsileoland wurden hova genannt, während die hova in Imerina die Freien waren.)

Die Betsileo blieben mit ihren Kleinstkönigreichen stark zersplittert. Trotzdem kristallisierten sich allmählich vier Königreiche heraus, deren Grösse, Macht und Ausstrahlung sich aber ständig änderten.

Als erstes bildete sich das Reich Lalangina am Rande des östlichen Steilabfalls. Die 1290 müM gelegene Bergkuppe gleich nördlich der heutigen Stadt Fianarantsoa lag an der westlichen Grenze dieses Reiches. Die heutige RN 7 führt etwa ab Alakamisy-Ambohimaha bis nach Fianarantsoa durch das Kerngebiet des alten Lalangina, das sich nach Südosten im oberen Einzugsgebiet des Flusses Matsiatra bis nach Mahasoabe erstreckte. Mitonga beim Ort Mabohibory, 10 km südöstlich der heutigen Stadt Fianarantsoa, war die wichtigste Stadt des Reiches.

Westlich davon bildete sich später das ebenso mächtige Isandra. Es lag westlich der heutigen RN 7 ungefähr im Dreieck von Ambohimahasoa, Ikalamavony und Fianarantsoa mit Fanjakana als wichtigem Ort.

Im Norden formierte sich das bevölkerungsarme Reich von Manandriana zwischen den Flüssen Ivato und Matsiatra, also ungefähr westlich der RN 7 zwischen den heutigen Orten Ambositra und Ambohimahasoa und im Westen begrenzt durch das Itremo-Gebirge. Und im Süden (in der Region des heutigen Städtchens Ambalavao) entstand Arindrano. (Wichtig waren eigentlich nur die Reiche Isandra und Lalangina.)

Während im 17. Jahrhundert in Imerina ein erster König etwas mehr Macht gewann (Andriamasinavalona), passierte dies fast gleichzeitig (1650-1680) in Betsileoland mit Rahasamanarivo im Königreich von Lalangina. Er bekam allerdings die Lepra und wurde aus dem Lande verjagt.

Lalangina war damals die führende Betsileo-Macht und hatte Zugang zu Gewehren, es wurde gar ein spezielles Regiment mit Schiesswaffen nebst den Speerträgern gegründet. Das Reich scheint wie jenes in Imerina gut organisiert gewesen zu sein, wobei Reisanbau die Grundlage bildete. Das Reich wurde allerdings zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter den etlichen Erben aufgeteilt und widerstand der einfallenden Merina-Armee nicht.

In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzte sich der Königssohn Ralambo mit einem Teil des Volkes aus Lalangina nach Westen ab und gründete Isandra. Von dort hob sich Andriamanalimbetany (1750-1794) hervor, der das westliche Betsileoland zu einem ähnlichen Ruhm führte wie der wenig später lebende Andrianampoinimerina die Merina. Nur eine einigende Kraft strahlte er nicht aus.

Isandra hatte Zugang zu Kanonen und Waffen, im Land lebende Ausländer (Araber oder Europäer) anerboten sich gar, Kriegswaffen (Gewehre, Pulver) herzustellen. Doch Volk und König, verängstigt ob dieser Perspektive, vertrieben sie. Von der einzigen Kanone scheint der König keinen Gebrauch gemacht zu haben. Die an Sklaven und Vieh reiche Hauptstadt war Mahazoarivo, westlich der Stadt Fianarantsoa gelegen. Zahlreiche Händler kamen ins Land und brachten Produkte aus Übersee: Waffen und Pulver, Stoffe und Perlen. Auch ein Silbermesser, auf dem die Jahreszahl 1785 eingraviert ist und die deutsche Inschrift: Jagen und lieben thutt manchen betrüben. Dieses Messer wurde Mitambolanela genannt und später König Radama I als Zeichen der Unterwerfung übergeben.

Isandra vergrösserte sich zwar gegen Norden bis zum Mania, wurde aber eine Generation später von den Merina aus Norden überrannt. Und dies ohne grossen Widerstand, obwohl Ambositra 1806 zerstört wurde. Die Merina trafen auch beim nördlichen Betsileoreich von Manandriana auf keinen Widerstand. Das starke Lalangina wurde ebenfalls mühelos besiegt. Einzig die Bewohner des südlichen Königreiches Arindrano, gegründet vom vertriebenen, leprakranken Rahasamanarivo, wehrten sich entschieden gegen die Invasoren aus dem Norden. 1811 verschanzten sich die Verteidiger auf dem sich 500 m über die Ebene erhebenden Felsendom von Ifandana (südöstlich des heutigen Ortes Ambalavao) gegen die Armee von Radama I. Als die Verteidiger aus Hunger und Durst nach zwei Monaten Belagerung aufgaben, liess sie Radama allesamt töten. Die Knochen sind heute noch am Fuss des Felsens zu sehen. (Es wird berichtet, dass sich etliche der Verteidiger der schmachvollen Exekution entzogen, indem sie sich vom Felsen stürzten.)

Die Betsileo bekämpften sich allerdings auch unter der Oberherrschaft der Merina weiterhin und erhoben sich gelegentlich gegen die Invasoren, bis die Merina eine striktere Herrschaft errichteten und 1830 die Garnisonsstadt Fianarantsoa gründeten. Fortan blieben die Betsileo getreue Gefolgsleute der Merina. Die alte Betsileostadt Mahazoarivo, der Felsenort Fanjakana und der mit drei Befestigungsgräben umfasste Ort Kianjasoa wurden hingegen zunehmend von der Merina-Garnisonsstadt Fianarantsoa überschattet und verloren ihre einstige Bedeutung.

Durch die Merina-Okkupation und dem damit einhergehenden Frieden wurden die Zeiten ruhiger. Die Dörfer verpflanzten sich vermehrt in die Täler, Einzelweiler (vala) entstanden. (vala bedeutet sowohl Weiler, als auch Viehgehege.) Das System der Befestigungen wurde zusehends unwichtiger. Für die Rinder wurden jedoch weiterhin Schutzmassnahmen beibehalten, um sie vor nächtlichen Überfällen zu schützen. In den bis anhin spärlich besetzten Zonen zwischen Ambositra und Antsirabe liessen sich Betsileo- und Merina-Reisbauern nieder. Die Kerngebiete der Merina und der Betsileo wuchsen zusammen.

Heute dreht sich das Leben der ruralen Betsileo um die beiden Pole Reis und Rinder: der Reis ernährt die Familie, auf den Rindern basiert der Familienruhm. Dabei aber sind die Betsileo nicht so ausschliesslich auf ihre Tiere bezogen wie etwa Bara oder Sakalava.

Die Betsileo werden als eine Art Brudervolk der Merina angesehen. Und dies ist nicht falsch: ihre Geschichte entwickelte sich fast gleich und seit dem beginnenden 19. Jahrhundert quasi gemeinsam. Trotzdem hegen die Küstenvölker gegenüber den Betsileo weit weniger Vorbehalte wie gegen die Merina.

. .

Der Ethnologe Franz Stadelmann kam 1988 als Entwicklungshelfer nach Madagaskar. 1994 gründete er das madagassische Reisebüro PRIORI in Antananarivo. PRIORI organisiert Reisen mit mehr Hintergrund und tieferen Einblicken in die Licht und Schatten dieser Insel im Indischen Ozean. 'Sanftes Reisen' soll den BesucherInnen als auch den Besuchten gegenseitiges Verständnis erwecken. PRIORI engagiert sich auch sehr im sozialen und kulturellen Leben Madagaskars. PRIORI steht für Ihre Reisepläne gern zur Verfügung - auch in deutscher Sprache.

.
Wir nehmen Ihre Kommentare und weiterführenden Texte zu obigem Thema gern auf. Tragen Sie sich bitte in unser Gästebuch ein.
.
.
dieses Kapitel drucken

zurück zum Inhaltsverzeichnis

Madagaskar, das PRIORI-Buch

Franz Stadelmann

copyright PRIORI 2009

priori@moov.mg

.
.

PRIORI Antananarivo

.
.

PRIORI Antananarivo