Betsileoreiche
Die
Betsileo leben heute ziemlich homogen auf dem südlichen
Hochplateau. In dieser hügeligen Region entstanden zwar etwa
zur gleichen Zeit wie in Imerina vier Königreiche. Sie
blieben aber regional beschränkt und unterlagen bald der
militärischen Einflussnahme der starken Merina aus dem
Norden.
Der
Volksname stammt womöglich von be tsy leo (zu zahlreich, um
besiegt zu werden). Flacourt (17. Jh) erwähnt dieses Volk
auf seiner Madagaskar-Karte nicht, jedoch François Martin, der
für Flacourt entlang der Ostküste Reis einkaufte. Allerdings könnte
Flacourt mit dem 'Land der Rinder' das Siedlungsgebiet der
Betsileo gemeint haben.
Die
Betsileo sehen sich als von Osten gekommen: eine Prinzessin der
Antaimoro soll die Siedler angeführt haben. Die ursprünglichen
Bewohner der Region, die Vazimba, verzogen sich nach Westen. In
Imerina, so berichtet die orale Tradition, gehen die ersten
Merinakönige auf Vazimba zurück. In Betsileoland hingegen
haben die Vazimba zwar viele Steinstelen und Gräber
hinterlassen (einfache Steinhaufen), doch kein Betsileo-Clan in
den Vazimba seine Urväter.
Die
erste Phase der Betsileo gleicht jener der Merina: die
Familiensippen waren noch ziemlich mobil, die Reisfelder wurden
noch nicht regelmässig bewirtschaftet, das Halten von
Sklaven war üblich. Die Siedlungen wurden von kleinen Königtümern
dominiert, die aber meist nur auf die Umgebung eines Dorfes
beschränkt waren. Die befestigten Dörfer mit ihrer Königsresidenz
(rova) lagen auf den Hügeln und wurden nachts mit runden
Steinen verschlossen, weil Angriffe feindlicher Gruppen häufig
waren, insbesonders aus dem Südwesten von den Bara. Die
Betsileo waren stark strukturiert in Adelige, Freie und Sklaven
mit sehr nuancierten Untergruppen. (Die Adeligen in Betsileoland
wurden hova genannt, während die hova in Imerina die Freien
waren.)
Die
Betsileo blieben mit ihren Kleinstkönigreichen stark
zersplittert. Trotzdem kristallisierten sich allmählich
vier Königreiche heraus, deren Grösse, Macht und
Ausstrahlung sich aber ständig änderten.
Als
erstes bildete sich das Reich Lalangina am Rande des östlichen
Steilabfalls. Die 1290 müM gelegene Bergkuppe gleich nördlich
der heutigen Stadt Fianarantsoa lag an der westlichen Grenze
dieses Reiches. Die heutige RN 7 führt etwa ab
Alakamisy-Ambohimaha bis nach Fianarantsoa durch das Kerngebiet
des alten Lalangina, das sich nach Südosten im oberen
Einzugsgebiet des Flusses Matsiatra bis nach Mahasoabe
erstreckte. Mitonga beim Ort Mabohibory, 10 km südöstlich
der heutigen Stadt Fianarantsoa, war die wichtigste Stadt des
Reiches.
Westlich
davon bildete sich später das ebenso mächtige Isandra.
Es lag westlich der heutigen RN 7 ungefähr im Dreieck von
Ambohimahasoa, Ikalamavony und Fianarantsoa mit Fanjakana als
wichtigem Ort.
Im
Norden formierte sich das bevölkerungsarme Reich von
Manandriana zwischen den Flüssen Ivato und Matsiatra, also
ungefähr westlich der RN 7 zwischen den heutigen Orten
Ambositra und Ambohimahasoa und im Westen begrenzt durch das
Itremo-Gebirge. Und im Süden (in der Region des heutigen Städtchens
Ambalavao) entstand Arindrano. (Wichtig waren eigentlich nur die
Reiche Isandra und Lalangina.)
Während
im 17. Jahrhundert in Imerina ein erster König etwas mehr
Macht gewann (Andriamasinavalona), passierte dies fast
gleichzeitig (1650-1680) in Betsileoland mit Rahasamanarivo im Königreich
von Lalangina. Er bekam allerdings die Lepra und wurde aus dem
Lande verjagt.
Lalangina
war damals die führende Betsileo-Macht und hatte Zugang zu
Gewehren, es wurde gar ein spezielles Regiment mit Schiesswaffen
nebst den Speerträgern gegründet. Das Reich scheint wie
jenes in Imerina gut organisiert gewesen zu sein, wobei
Reisanbau die Grundlage bildete. Das Reich wurde allerdings zu
Beginn des 19. Jahrhunderts unter den etlichen Erben aufgeteilt
und widerstand der einfallenden Merina-Armee nicht.
In
der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzte sich der Königssohn
Ralambo mit einem Teil des Volkes aus Lalangina nach Westen ab
und gründete Isandra. Von dort hob sich Andriamanalimbetany
(1750-1794) hervor, der das westliche Betsileoland zu einem
ähnlichen Ruhm führte wie der wenig später lebende
Andrianampoinimerina die Merina. Nur eine einigende Kraft
strahlte er nicht aus.
Isandra
hatte Zugang zu Kanonen und Waffen, im Land lebende Ausländer
(Araber oder Europäer) anerboten sich gar, Kriegswaffen
(Gewehre, Pulver) herzustellen. Doch Volk und König, verängstigt
ob dieser Perspektive, vertrieben sie. Von der einzigen Kanone
scheint der König keinen Gebrauch gemacht zu haben. Die an
Sklaven und Vieh reiche Hauptstadt war Mahazoarivo, westlich der
Stadt Fianarantsoa gelegen. Zahlreiche Händler kamen ins
Land und brachten Produkte aus Übersee: Waffen und Pulver,
Stoffe und Perlen. Auch ein Silbermesser, auf dem die Jahreszahl
1785 eingraviert ist und die deutsche Inschrift: Jagen und
lieben thutt manchen betrüben. Dieses Messer wurde
Mitambolanela genannt und später König Radama I als
Zeichen der Unterwerfung übergeben.
Isandra
vergrösserte sich zwar gegen Norden bis zum Mania, wurde
aber eine Generation später von den Merina aus Norden überrannt.
Und dies ohne grossen Widerstand, obwohl Ambositra 1806 zerstört
wurde. Die Merina trafen auch beim nördlichen Betsileoreich
von Manandriana auf keinen Widerstand. Das starke Lalangina
wurde ebenfalls mühelos besiegt. Einzig die Bewohner des südlichen
Königreiches Arindrano, gegründet vom vertriebenen,
leprakranken Rahasamanarivo, wehrten sich entschieden gegen die
Invasoren aus dem Norden. 1811 verschanzten sich die Verteidiger
auf dem sich 500 m über die Ebene erhebenden Felsendom von
Ifandana (südöstlich des heutigen Ortes Ambalavao) gegen
die Armee von Radama I. Als die Verteidiger aus Hunger und Durst
nach zwei Monaten Belagerung aufgaben, liess sie Radama allesamt
töten. Die Knochen sind heute noch am Fuss des Felsens zu
sehen. (Es wird berichtet, dass sich etliche der Verteidiger der
schmachvollen Exekution entzogen, indem sie sich vom Felsen stürzten.)
Die
Betsileo bekämpften sich allerdings auch unter der
Oberherrschaft der Merina weiterhin und erhoben sich
gelegentlich gegen die Invasoren, bis die Merina eine striktere
Herrschaft errichteten und 1830 die Garnisonsstadt Fianarantsoa
gründeten. Fortan blieben die Betsileo getreue Gefolgsleute der
Merina. Die alte Betsileostadt Mahazoarivo, der Felsenort
Fanjakana und der mit drei Befestigungsgräben umfasste Ort
Kianjasoa wurden hingegen zunehmend von der
Merina-Garnisonsstadt Fianarantsoa überschattet und verloren
ihre einstige Bedeutung.
Durch
die Merina-Okkupation und dem damit einhergehenden Frieden
wurden die Zeiten ruhiger. Die Dörfer verpflanzten sich
vermehrt in die Täler, Einzelweiler (vala) entstanden. (vala
bedeutet sowohl Weiler, als auch Viehgehege.) Das System der
Befestigungen wurde zusehends unwichtiger. Für die Rinder
wurden jedoch weiterhin Schutzmassnahmen beibehalten, um sie vor
nächtlichen Überfällen zu schützen. In den bis
anhin spärlich besetzten Zonen zwischen Ambositra und
Antsirabe liessen sich Betsileo- und Merina-Reisbauern nieder.
Die Kerngebiete der Merina und der Betsileo wuchsen zusammen.
Heute
dreht sich das Leben der ruralen Betsileo um die beiden Pole
Reis und Rinder: der Reis ernährt die Familie, auf den
Rindern basiert der Familienruhm. Dabei aber sind die Betsileo
nicht so ausschliesslich auf ihre Tiere bezogen wie etwa Bara
oder Sakalava.
Die
Betsileo werden als eine Art Brudervolk der Merina angesehen.
Und dies ist nicht falsch: ihre Geschichte entwickelte sich fast
gleich und seit dem beginnenden 19. Jahrhundert quasi gemeinsam.
Trotzdem hegen die Küstenvölker gegenüber den Betsileo
weit weniger Vorbehalte wie gegen die Merina.
|