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PRIORI, das Reisebüro für und in Madagaskar

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Madagaskar, das PRIORI-Buch

Franz Stadelmann

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Madagaskar: Symbiose zwischen Gestern und Heute

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Sklaven

Die Insel Madagaskar war bis ins 19. Jahrhundert eines der Jagdgebiete der arabischen und europäischen Sklavenhändler. Während mindestens dreihundert Jahren wurden Sklaven aus Madagaskar nach Amerika, nach Indien und auf die umliegenden bevölkerungsarmen Inseln verschleppt. Es wurden aber auch Sklaven aus Kontinentalafrika nach Madagaskar importiert, denn der Binnenbedarf war ebenfalls gross und nahm im 19. Jahrhundert gar noch zu. Für das Merinareich war der Mangel an Arbeitskräften - nebst dem Mangel an Verkehrswegen - eines der grössten Entwicklungshindernisse. 

In der Periode von 1506 bis 1776 sind nur rund hundert europäische Schiffe namentlich bekannt, die an den Küsten Madagaskars ankerten. Dazu muss eine beträchtliche Anzahl arabischer Dhows dazugerechnet werden, die schon vor den Europäern mit Madagaskar in Handelskontakt standen und wohl auch Sklaven eintauschten, ebenso wie 'wilde', auf eigene Rechnung fahrende, europäische Handelskapitäne und Piraten. Der Menschenhandel wickelte sich vor allem an der Nordwestküste ab.

Im 17. Jahrhundert waren vor allem arabische, englische, holländische und portugiesische Schiffe am Sklavenhandel beteiligt, kaum jedoch französische Schiffe, obwohl die Franzosen eine Niederlassung in Fort-Dauphin unter dem Befehl von Flacourt unterhielten.

Die exaktesten Belege sind von der holländischen Ostindischen Kompagnie, Verenigde Oostindische Compagnie (VOC), erhalten, die über ihre Handelsprodukte genau Buch führte, also auch über die eingekauften und transportierten Sklaven. Aus dem 17. Jahrhundert sind sogar Namenslisten der Sklaven erhalten, nebst Preis und Handelskategorie (Frau, junge Frau, Mädchen, Mann, junger Mann, Knabe).

Während des grössten Teils des 17. Jahrhunderts dominierte der Hafen von Massilly als Umschlagplatz für den Menschenhandel. Der auf einer kleinen Insel in der Boina-Bucht gelegene Ort taucht in den Logbüchern der Schiffe unter sehr verschiedenen Namen immer wieder auf, unter anderem in britischen Aufzeichnungen als Mathewledge und in französischen Dokumenten als Masselage. Die genaue Lage konnte aufgrund von Ausgrabungen belegt werden: Massilly befand sich auf der heutigen Insel Nosy Antsoheribory, 40 Kilometer westlich von Mahajanga. Der italienische Priester Luis Mariano schätzte diesen Ort, den er 1616 - 1617 besuchte, auf 6000 bis 7000 moslemische Einwohner. Er wies auch auf die Schiffe aus Malindi und aus 'arabia' hin, die jedes Jahr einliefen und Gefangene, also Sklaven, holten. In einer Beschreibung des Hafens von 1640 wurde eine Bevölkerung von 6000 Leuten angegeben und erwähnt, dass im März und April hova (Merina) aus dem Hochland kamen, um Vieh und 2000 bis 3000 Sklaven zu handeln.

Die Sklaven stammten nicht nur aus der Gegend um die Boina-Bucht, das Fanggebiet dehnte sich weit ins Hinterland und bis auf das Hochplateau aus. Ein holländisches Schiff wollte 1644 in der Bucht von Antongil Sklaven holen, musste jedoch feststellen, dass der lokale Herrscher alle Sklaven an die Westküste geliefert hatte. Dasselbe stellte auch der Franzose Martin 1665 in Fénérive an der Ostküste fest.

Die Portugiesen segelten von ihren Besitzungen in Mozambique an die bloss 400 Kilometer entfernte Westküste Madagaskars, um Sklaven, Vieh und Holz zu holen. Auch für sie wurde Massilly der Haupthafen, wobei sie sich durch die arabischen Konkurrenten erheblich gestört fühlten.

1676, wie schon 1635, attackierten und plünderten daher portugiesische Schiffe diesen Handelsort, brannten die Stadt nieder und zerstörten die arabischen Dhows im Hafen. Die Einwohner, damals unter der Herrschaft eines Arabers namens Hamet Boebachar, flohen ins Hinterland. In der folgenden Zeit interessierten sich die Portugiesen kaum noch für Madagaskar. Sie überliessen die Insel den Engländern und den Holländern, aber auch den multinationalen Piraten.

Der angehäufte Reichtum, der sich durch den Sklavenverkauf in Massilly anhäufte, liess wohl auch lokale Spannungen entstehen. Das VOC-Schiff 'Jamby' berichtete 1686, dass Massilly infolge eines Krieges mit den Sakalava zerstört war. (Diese Notiz vom 15. August 1686 über die sacalave of lang oren (mit langen Ohren) ist womöglich die älteste schriftliche Erwähnung dieses Volkes.)

Diese wiederholten Brandschatzungen reduzierten den arabischen Handel während ein paar Jahren, doch schon 1696 waren wieder arabische Schiffe vor Ort. Der arabische Sklavenhandel mit Massilly mag im 17. Jahrhundert zwischen 40’000 und 150’000 Menschen betragen haben.

Ein portugiesischer Bericht von 1663 schätzte den jährlichen Sklavenhandel der Moslem mit Madagaskar auf 3000 bis 4000 Leute.

Massilly war wohl die wichtigste, jedoch nicht die einzige Anlaufstelle der arabischen Dhows. Die Araber handelten vor allem im Norden Madagaskars, sie segelten kaum südlicher als bis zum Cap Saint-André. Nach dem Auftreten der Europäer und vermehrt gegen Ende des 17. Jahrhunderts gerieten die Araber als Geschäftspartner etwas ins Hintertreffen, denn sie bezahlten mit Geld oder Produkten (Töpfe, Stoffe), hatten jedoch keine oder kaum Waffen im Austausch für die Sklaven anzubieten. Diese attraktiven Kriegsinstrumente führten hingegen die Holländer und die Engländer in ihrem Warensortiment.

Auf ihrem Weg nach Indien benutzten die Engländer vor allem Anjouan auf den Komoren als Stützpunkt. 1636 veranlasste Charles I eine Expedition nach Madagaskar, die jedoch nie stattfand. 1640 ankerte das britische Schiff 'Francis' im Nordwesten Madagaskars. Die Beobachtungen der Seeleute wurden nach ihrer Rückkehr in England publiziert, worauf die Briten 1644 erneut aufbrachen und in der Bucht von Saint-Augustin (bei Tulear) ein Fort bauten. Der Siedlungsversuch der Engländer unter John Smart scheiterte jedoch kläglich, wie auch jener von 1650 in Assada (Nosy Be).

Erst 1664 wurde das britische Schiff 'Little American' nach Madagaskar auf eine neue Erkundungsmission für mögliche Handelsaktivitäten geschickt, in der Folge wurden Sklaven gekauft und nach Surat (Indien) transportiert. Ein anderes Schiff brachte im gleichen Jahr eine Ladung Sklaven in die südafrikanische Capsiedlung, wo sich aber angesichts der hohen Preise keine Käufer fanden. Der Handel der Briten entlang der madagassischen Küsten nahm erst ab 1675 eine grössere Dimension an. Die Mehrheit der eingetauschten Sklaven wurde in die Neue Welt geliefert, nur ein kleiner Teil fand Abnehmer in den Niederlassungen am Cap. Die Briten liefen vorwiegend die unter den Seefahrern beliebte und bekannte Bucht von Saint-Augustin an, dort jedoch bekamen sie nur unregelmässig Sklaven geliefert. So entwickelte sich Massilly auch für sie zum wichtigsten Versorgungsort. Sie holten aber auch Sklaven von 'Light foot's River', wie die Briten Morondava damals nannten. Die beliebtesten Tauschobjekte gegen Sklaven waren Gewehre, Pulver und Kugeln. Ein Junge oder ein Mädchen wurde gegen ein Steinschlossgewehr und vier Behälter voll Pulver gehandelt. Männer waren teurer. Der Preis für die Sklaven schwankte je nach Angebot und Nachfrage, nahm aber im Laufe der Jahre zu.

Die Holländer hatten Madagaskar auf ihrem Weg nach Südostasien eher links liegen lassen. Erst nachdem sie sich 1638 auf der anhin unbewohnten Insel Mauritius niedergelassen hatten, wurde Madagaskar als Sklavenlieferant wichtig, wobei meist die Bucht von Antongil angefahren wurde. Denn Portugal und Holland hatten sich 1641 auf ihre jeweiligen Einflusssphären geeint: der Osten Madagaskars wurde als holländische Handelszone anerkannt, der Westen als portugiesische.

So sandte die VOC ihre Schiffe von 1641 - 1647 von Mauritius nach Madagaskar und von 1654 - 1786 starteten die VOC-Schiffe sporadisch auch von der neuen Siedlung am Kap der Guten Hoffnung. Aber auch Frachtsegler aus den holländischen Niederlassungen von Batavia (Java) kamen an die Gestade Madagaskars, um Sklaven zu kaufen.

1642 erwarb Adrian van der Stel 105 Sklaven zu einem günstigen Preis, er liess zwei Mann in Antongil als Agenten zurück. Als er zwei Jahre später wieder nach Antongil kam, hatte der Lokalkönig eben drei Ladungen Sklaven an die Westküste geliefert, um sie bei den Portugiesen gegen Vieh und Stoffe einzutauschen.

1646 war den Buchhaltern der VOC klar, dass diese Expeditionen nach Madagaskar unökonomisch waren, die Sklavenfahrten wurden daraufhin eingestellt.

Doch ab 1652, als sich die VOC im Cap niedergelassen hatte, interessierten sich die Holländer wieder für Madagaskar. Der Chef der Capniederlassung, Jan van Riebeeck, fand, dass der Beizug von Sklavenarbeit für die junge Kolonie unabdingbar sei und fragte Batavia um Sklaven an. Dort waren Sklaven jedoch ebenfalls Mangelware, so wurde Antongil wieder angelaufen - ohne Erfolg.

Eine kurze Episode in der langen Geschichte der VOC blieben auch die Fahrten von Batavia direkt nach Antongil. 1667 hatte die VOC die Goldminen von Salida an der Westküste von Sumatra erworben. Unter Beizug von deutschen Minenexperten und mit Sklaven wurde versucht, diese Minen auszubeuten. Doch die feuchten Stollen führten allerdings zu einer hohen Todesquote unter den Arbeitern. So wurde die 'Hassenburgh' 1677 erstmals nach Madagaskar geschickt, um Nachschub zu besorgen. Weitere Fahrten folgten, doch schon während der Überfahrt oder kurz nach Ankunft in Sumatra starben viele der madagassischen Sklaven. 1687 wurden diese Fahrten wieder eingestellt. Nur noch in den Jahren 1732 und 1733 wurden Sklaven aus Madagaskar nach Ostindien transportiert.

Erst 1672 wagten sich holländische Schiffe auch an die Nordwestküste, diese Region wurde fortan zur wichtigsten Quelle der Capniederlassung für Sklaven aus Madagaskar, nur unterbrochen vom niederländisch-britischen Krieg (1672-74). Doch schon nach Friedensschluss (1674) wurden die Reisen zwischen dem Cap und Madagaskar wieder aufgenommen und Sklaven gegen Glasperlen, Geld, Stoffe, Eisenstangen und Brandy getauscht. 1676 beispielsweise erwarben die Holländer im Nordwesten 279 Sklaven, wovon 257 die Fahrt bis zum Cap überlebten.

Im nächsten Jahr (1677) segelte wieder ein Schiff vom Cap nach Massilly und fand dort nebst der 'Hassenburgh' aus Batavia auch drei arabische Sklavensegler. Der nach dem portugiesischen Überfall im vorangegangenen Jahr geflohene und inzwischen wieder zurückgekehrte Sultan Hamet Boebachar hiess die Holländer herzlichst willkommen. Fortan segelten immer wieder VOC-Schiffe vom Cap nach Madagaskar, insgesamt gelangten im 17. Jahrhundert auf den Schiffen der VOC wohl um die tausend Sklaven vom Madagaskar ans Cap. Zu dieser Schätzung muss noch eine nicht geringe Anzahl von privat erworbenen Sklaven gerechnet werden. Um 1800 lebten mehrere tausend madagassische Sklaven in Kapstadt.

Die Europäer mit ihren Waffen als Tauschgüter fanden bei den Sakalava willige Handelspartner. Die dadurch erhaltene waffentechnische Überlegenheit trug wesentlich zur schnellen Expansion der Sakalava entlang der ganzen Westküste bei. Ein Reisender sah 1719 mindestens 1000 Sakalava, jeder hatte eine Muskete in der Hand.

Die Sklavenfahrten der europäischen und arabischen Seefahrer dauerten unvermindert bis tief ins 19. Jahrhundert an. Madagaskar bildete weiterhin einen integrierten Teil eines weitgespannten Sklavenhandels im westlichen Indischen Ozean. Daran änderten auch die Verträge zwischen Grossbritannien und dem jungen Merina-Königreich (1817 und 1820) nichts, welche die Abschaffung des exportorientierten Sklavenhandels vorsahen. Im Gegenteil: der Sklavenexport ging uneingeschränkt weiter und weder der von den Briten eingesetzte Jean-René noch Farquhar waren über jeden Verdacht erhaben. In Tamatave entstanden nach dem ersten Vertrag (1817) und der Eroberung der Hafenstadt durch die Merina über hundert neue Häuser, bewohnt von rund 50 Sklavenhändlern. Kaum war die Ostküste unter seiner Kontrolle, verlangte König Radama I fortan für jeden exportierten Sklaven eine Steuer. Die durch die Unterbindung der Exporte wegfallende Geldquelle wurde im neuen Vertrag von 1820 in Form einer grosszügigen Kompensation von den Briten ausgeglichen. Diese Subvention finanzierte Farquhar seinerseits durch eine Verkaufssteuer von Waffen, Schiesspulver und Stoffen - den begehrten Tauschprodukten für Sklaven.

Nicht nur die europäischen und arabischen Seefahrer waren an Sklaven interessiert. Auch innerhalb Madagaskars und insbesonders in Imerina nahm die Sklavenhaltung eine dominante Rolle ein.

Die Merina suchten zwar die territoriale Dominanz über die ganze Insel und strebten nach sicheren Zugängen zum Meer, doch die Erbeutung von Sklaven war ein ebenso wichtiger Grund für die etlichen Feldzüge, die auch nach dem Tod des Königs Radama I (1828) weitergeführt wurden. Dies führte gar zu einem zeitweiligen Überangebot, sodass die männlichen Gefangenen getötet und nur Frauen und Kinder versklavt wurden.

Das einzige Investment der Merina-Landbesitzer bildete der Erwerb von Sklaven, die ihr Land in der Folge kostenlos bearbeiteten. Sklavenarbeit wurde auch immer wichtiger, weil die häufigen Kriegszüge einen grossen Teil der männlichen freien Bevölkerung während Monaten beanspruchte und die Kämpfe und Krankheiten zu sehr vielen Toten unter den Soldaten führten.

Traditionellerweise wurden die Sklaven mit andevo bezeichnet. Sie wurden aber - wohl meistens jedenfalls - keineswegs in solch menschenverachtenden Umständen gehalten wie beispielsweise auf den Sklavenplantagen Amerikas. Die Sklaven durften heiraten, über Eigentum verfügen und gar andere Sklaven besitzen. Sklaverei war eher ein unmündiger Zustand bezüglich Herkunft und Tradition, Verwandtschaft und Grabbesitz, politischer Rechte und Bewegungsfreiheiten. Wie die Kinder wurden sie von den Merina ankizy genannt, und wie die Kinder hatten sie keinen eigenen Platz in der Merina-Gesellschaft.

Sklaven konnten sich wieder freikaufen, wobei die Person jedoch vorom-potsy (Kuhreiher) wurde: wie der Kuhreiher durfte sich die Person nicht vom Zebu/dem ehemaligen Besitzer wegbegeben, sondern musste auf dem Gelände in einer Art Halbfreiheit leben. Viele Leibeigene zogen es angesichts der vielen Verpflichtungen der Freien gegenüber dem Staat (Steuer, Kriegsdienst, Zwangsarbeit) vor, im Zustand der Sklaverei zu bleiben, auch wenn sich ihnen die Möglichkeit eines Freikaufs bot.

Die gewaltigen Kriegszüge der Merina zu Beginn des 19. Jahrhunderts brachten eine beträchtliche Menge an Kriegsgefangenen (babo) als Sklaven nach Imerina. So wurde die Einwohnerzahl von Antananarivo um 1820 auf 10’000 bis 12’000 geschätzt, 1833 soll sie zwischen 20’000 und 50’000 betragen haben. Der Zuwachs ging zum grössten Teil auf die steigende Anzahl an Sklaven zurück.

Ein wesentlicher Teil der Sklaven wurde für Haus- und Feldarbeiten gebraucht. Wer einen weggelaufenen Sklaven zurückbrachte, erhielt bis zu einem Drittel des Handelswertes des entflohenen Sklaven als Finderlohn. Die Sklaven wurden wie Rinder gehandelt, wobei der Preis je nach Wirtschaftslage und Nachschub variierte, ebenso waren die Fertigkeiten und das Alter des Sklaven von Ausschlag für den Preis. Erfolgreiche - oder erfolglose - Kriegszüge destabilisierten den Sklavenmarkt auf dem Hochland, ebenso wie Epidemien und feindliche Razzien.

Die Oberklasse der Merina (Offiziere und Beamte) war an Haltung und Handel von Sklaven sehr interessiert. Einzelne Merina besassen bis zu 3000 Sklaven. Der Staatssekretär Rainimaharavo galt gar als Chef einer Organisation, welche Sklaven als Träger und Landarbeiter vermietete. Diese Organisation konnte einen unliebsamen Colon ruinieren, indem sie die zur Verfügung gestellten Arbeitskräfte (Sklaven oder Zwangsarbeiter) einfach abzog. Denn ein Ausländer durfte keine freien Arbeitskräfte anheuern, auch die Missionare nicht, die sich in dieser Sache allerdings eher blind stellten.

Trotz des erhöhten Bedarfs auf dem Binnenmarkt ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden noch immer madagassische Sklaven nach Amerika, Indien, Arabien und auf die Maskarenen-Inseln verschifft. Ab 1860 fielen allerdings die wichtigen Absatzgebiete USA und Brasilien weg.

Die Ostküste wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts für den Sklavenexport zwar zunehmend ungeeignet, dort wurde in Umgehung der Sklaverei das System der engagés (Kontraktarbeiter) aufgenommen. Die Westküste jedoch, insbesonders die von den Merina nicht dominierten Gegenden, erlebten geradezu eine Hochblüte des Sklavenexports.

Doch ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Sklaven auch auf dem Hochland rar. Die Merina-Garnisonen schafften es nicht mehr, den ständig steigenden Bedarf an Sklaven zu decken. Daher erlaubte König Radama II die Einfuhr von Sklaven aus Mozambique. So ergab sich die wohl einmalige Situation, dass aus demselben Land gleichzeitig Sklaven exportiert und importiert wurden.

Die importierten Sklaven stammten aus dem Hinterland von Mozambique und wurden in Madagaskar masombika oder auch makoa genannt.

In Anorontsangana gegenüber Nosy Be fand sich ein wichtiger Umschlagplatz für die mozambikanischen Sklaven, und insbesonders Maintirano wurde der bedeutendste Transithafen für die Einfuhr von afrikanischen Sklaven in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In den ersten 1880er Jahren wurden pro Jahr um die 8000 Sklaven von Afrika nach Madagaskar gebracht, mindestens 5000 davon wurden durch Maintirano geschleust.

Die Handelsgebiete der Westküste waren Mitte des 19. Jahrhunderte in zwei Zonen aufgeteilt. Während im Nordteil die moslemischen Antalaotra agierten, war der Süden von Tulear bis Maintirano eher von französisch-kreolischen Händlern dominiert. Sie hielten allerdings keine Sklaven auf Vorrat, sondern schickten ihre Sakalava-Verbündeten erst nach Eintreffen eines kaufwilligen Schiffes auf Sklavenjagd. Somit verfügten sie nur über einen unsteten Nachschub.

Der nördliche Teil der Westküste war wesentlich besser strukturiert und wurde von den Antalaotra dominiert, die einerseits von den Sakalava Sklaven kauften und via Ostafrika - trotz des Verbots des Sklavenhandels in Zansibar von 1873 - nach Arabien, Persien und Indien verschifften, andererseits importierten sie Sklaven aus Mozambique.

Eine Dhow segelte in vier bis acht Tagen von Mozambique an die Westküste und transportierte 100 bis 200 Sklaven. Die fünf britischen Schiffe der Royal Navy, die permanent vor der Nordostküste Madagaskars kreuzten, hatten gegenüber den gerissenen Manövern der arabischen Kapitäne kaum eine Chance. Die wenigen und flachgründigen Dhows mit ihren ortskundigen Lotsen entkamen immer wieder in seichte Buchten und magrovenbestandene Flussmündungen. Zudem fuhren die Dhows oft unter französischer und ab 1840 zunehmend unter amerikanischer Flagge und durften daher von den britischen Kontrollbooten nicht durchsucht werden.

Diese Aktivitäten geschahen aber auch unter wohlwollenden Augen der Merina-Administratoren oder gar unter Schutz der Militärposten. 1869 lebten in der Merina-Garnisonsstadt Mahajanga 1500 Sklaven aus Mozambique gegenüber rund 800 Antalaotra, 400 Sakalava, um die 200 indische Kaufleute und 150 Merina-Händler.

Im Zuge der Handelstätigkeiten der Antalaotra kamen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch zunehmend moslemische Inder an die Nordwestküste und profitierten von ihren britischen Pässen gegenüber Merina-Kontrollen und von ihren Merina-Pässen gegenüber den Briten. Die Inder waren als Zwischenhändler erfolgreich im Sklavenhandel tätig, insbesonders um Mahajanga und Maintirano, denn sie lieferten auch Waffen und Pulver gegen Sklaven. Dazu importierten sie auch Stoffe und agierten als Finanziers.

Nach den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Franzosen und Merina von 1883 bis 1885 entwickelte sich die Westküste zu einer anarchischen Krisenzone, in der Waffenschmuggel und Sklavenhandel unkontrolliert wucherten. Europäische, und amerikanische Schiffe, arabische und indische Dhows lieferten und transportierten, was begehrt war und zur Verfügung stand. Die Gewinner waren die Inder, die dank ihrer Kapitalkraft und ihrem Organisationsvermögen allmählich den Handel entlang der ganzen Küste bis nach Tulear an sich rissen. Eine Entwicklung, deren Auswirkungen heute noch zu sehen sind: der Gross- und Detailhandel im Sakalavaland ist noch immer in indischen Händen.

Ein interessantes Phänomen jener Zeit ab 1885 ist die Entstehung von Sklavenrepubliken in der durch Menschenraub und Kriegszüge stark entvölkerten Zone zwischen dem Merina-dominierten Hochland und der Sakalava-beherrschten Westküste. Zwar hatten Flüchtlinge aus Imerina schon ab 1820 diese unterbevölkerten Gebiete auf der Flucht vor Armee und Zwangsarbeit aufgesucht, ebenso wie die Waldgebiete östlich von Fianarantsoa, doch ab 1885 entstanden richtige Staatsgebilde mit einer beträchtlichen militärischen Schlagkraft. Diese selbstverwalteten Republiken lebten hauptsächlich vom Handel - insbesonders vom Sklavenhandel.

Nachdem entsprechende königliche Dekrete von 1865 und 1868 keine Resultate gezeigt hatten, wagte der Premierminister 1874 die Freilassung von 150’000 aus Mozambique eingeführten Sklaven (masombika). Dieses Dekret trat 1877 in Kraft und betraf nur die masombika, alle anderen Sklaven blieben weiterhin unfrei. Die Sklavenbefreiung der Afrikaner war allerdings auch nicht unbegrenzt. Die ehemaligen Sklaven mussten auf Befehl des Premierministers in eigenen Dörfern leben und konnten jederzeit zu Arbeiten für das Königreich aufgeboten werden. Dieser Entscheid schlug wie eine Bombe ein: die Monarchie musste mit Gegenmassnahmen drohen, falls der Erlass diesmal nicht eingehalten werden sollte. Effektiv zu kontrollieren war er allerdings nicht.

Eine spezielle Klasse bildeten die Transportträger (maromita) auf der Route zwischen Tamatave und Antananarivo: einerseits waren sie Sklaven, andererseits bezahlte Arbeiter.

Das System der Träger und Meldeläufer wurde schon früh von den Merina-Herrschern eingeführt. Diese Männer waren entweder königliche Sklaven oder Dienstleistende im Rahmen der staatlich verordneten Zwangsarbeit (fanompoana).

Sie trugen die königliche Post im Stafettenlauf von Zwischenstation zu Zwischenstation bis in alle Garnisonen und Militärposten des Reiches. Diese tetezanolona (menschliche Brücke) funktionierte effizient und schnell, trotz der mangelnden Infrastruktur.

Nebst den staatlichen Trägern existierte ein privates Netz an Sklaventransporteuren, das im Verlaufe des 19. Jahrhunderts zunehmend an Wichtigkeit gewann. Die Träger, gruppiert in Transportträger (mpaka) und Sänftenträger (mpilanja), waren für ihre Dienste bezahlt, was im vorkolonialen Madagaskar einer absoluten Neuerung gleichkam.

Die maromita (womöglich vom Wort maromainty: Männer der schwarzen Klasse, also Sklaven abgeleitet) arbeiteten in Gruppen unter dem Kommando eines Anführers. Dieser Chef verdiente etwas mehr, vertrat die Interessen der Gruppe gegenüber den Kunden und war verantwortlich für eine gültige Durchgangserlaubnis. Diese Reisepässe wurden von den Militärposten entlang der Route kontrolliert, weil den Sklaven ein Reisen in andere Gegenden generell untersagt war und bei Zuwiderhandeln schwer geahndet wurde. Zuweilen musste der Anführer den Soldaten auch ein Bestechungsgeld (vola kely) übergeben. Den maromita war nicht erlaubt, Waffen mitzutragen, obwohl es auch auf den grossen Achsen immer wieder zu Banditenüberfällen kam.

Vor dem Abmarsch wurde die Fracht in Lasten von um die 40 Kilo aufgeteilt und in Matten eingewickelt. Die mpaka trugen die Lasten entweder auf dem Rücken oder hängten sie an einen Bambusstock. Daher bildete sich bei diesen professionellen Trägern ein typischer Hautwulst (sangongo) im Nacken. Die mpaka marschierten in langen Transportkolonnen, die in 15 bis 30 Tagen von Tamatave bis nach Antananarivo gelangten.

Die Sänftenträger waren im allgemeinen jünger und noch besser organisiert als die Lastenträger, gegenüber denen sie sich auch als sozial höhergestellt empfanden. Dazu trug bei, dass sie zumeist in Antananarivo stationiert und Protestanten waren. Jede Sänfte (filanjana), also jeder Passagier, wurde von vier Trägern befördert. Dazu kamen vier Ersatzträger. Sie kamen wesentlich schneller voran als die Lastenkarawanen: die 350 Kilometer von Tamatave nach Antananarivo (1200 Höhenmeter) legten die Sänftenträger in 5 bis 10 Tagen zurück.

Nach den restriktiven Jahren der Königin Ranavalona I und mit der brüsken Öffnung des Landes mit König Radama II nahm der Aussenhandel gegen Ende der 1860er Jahren sprunghaft zu. Exportiert wurde vor allem Leder für den amerikanischen Markt, dann auch Honig und Talg. Importseitig gelangten Lampenpetrol, Stoffe und Mehl auf das Hochland. Ein beträchtliches Transportvolumen machten auch die umfangreichen Lieferungen der Missionsgesellschaften und ihrer zahlreichen Mitarbeiter aus.

Über 80% des Warenverkehrs in den 1880er Jahren spielte sich zwischen Antananarivo und Tamatave ab, der Hafen von Mahanoro war weit weniger wichtig und Vatomandry fast unbedeutend. Durch diese vergrösserte Handelsaktivität nahm auch der Bedarf an Trägern zu, die sich gewerkschaftsmässig organisierten und die Preise festlegten. Die vazaha (Ausländer) bezahlten allgemein mehr für die Transporte als die Madagassen, zuweilen wurden Kontrakte verweigert oder ein Aufschlag verlangt. Die Träger nahmen auch nicht jede Währung an: normalerweise wurden sie in mexikanischen Dollar oder in französischen Franken bezahlt. (In Imerina gab es kein eigenes Geld, die beiden Währungen waren als offizielles Geldmittel anerkannt.) Zwar erhielten die maromita von ihren Besitzern ein Spesengeld (vatsy) für die Verpflegung in den kleinen Restaurants, die entlang der Routen entstanden waren. Die Frachtkosten (karama; karama bedeutet auch Vertrag) wurden erst am Ende der Reise ausbezahlt, so garantierte die Gruppe für einen konformen Transport, ebenso wie sie für einen Ersatzmann im Fall von Krankheit aufzukommen hatte. Ein maromita erhielt rund sechsmal mehr Lohn als ein gewöhnlicher Arbeiter. Die Löhne stiegen gegen Ende des 19. Jahrhunderts drastisch an, sodass der Schiffstransport von Europa bis Tamatave billiger war als die nur 350 Kilometer von Tamatave nach Antananarivo. Die Träger bildeten die grösste Gruppe der bezahlten Arbeiter kurz vor der Kolonialisierung.

Am Ende des 19. Jahrhunderts waren 50’000 bis 60’000 Männer im Warentransport aktiv. Sie alle waren Sklaven und machten etwa einen Fünftel der Sklavenbevölkerung und um die 70% der männlichen Sklaven aus.

Diese grosse Anzahl an Transportarbeitern brachte sehr viel Bargeld nach Imerina und verbreitete so den Gebrauch von ausländischen Währungen. Ihren Besitzern gegenüber scheinen die Träger ziemlich unabhängig gewesen zu sein: einige entrichteten Abgaben als Zeichen ihrer Untergebenheit, andere lieferten ihren Besitzern einen prozentualen Anteil ab. Die unglücklichen unter den maromita mussten alles abgeben oder der Frachtlohn wurde gleich vom Besitzer einkassiert.

Die Franzosen waren gezwungen, auch nach ihrer Eroberung des Merina-Reiches noch auf die Dienste der Trägersklaven zurückzugreifen. Erst als die Strasse von Tamatave nach Antananarivo gebaut war, sank der Transportpreis. Die maromita protestierten gegen den Einsatz von Pferd und Wagen durch die Franzosen, ebenso wie sie 1901 gegen die Einführung der rikschaartigen Pousse-pousse (posiposy) waren. (Interessanterweise wurden die Zieher der Pousse-pousse borizano genannt. Diese nebst maromita gebrauchte Bezeichnung weisst noch heute auf die Tradition der Transporte durch menschliche Muskelkraft hin.)

Am 26. September 1896 unterzeichnete General Hippolyte Laroche einen Erlass, der den Handel und die Haltung Sklaven ab sofort untersagte. Ein grosser Teil der Bevölkerung von Imerina wurde frei: die Schätzungen schwanken zwischen einem Drittel und Dreiviertel.

Ebenso wurden tausende von Menschen in allen Landesteilen Madagaskars von der Leibeigenschaft befreit - vor dem Gesetz der Kolonialadministration jedenfalls.

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Der Ethnologe Franz Stadelmann kam 1988 als Entwicklungshelfer nach Madagaskar. 1994 gründete er das madagassische Reisebüro PRIORI in Antananarivo. PRIORI organisiert Reisen mit mehr Hintergrund und tieferen Einblicken in die Licht und Schatten dieser Insel im Indischen Ozean. 'Sanftes Reisen' soll den BesucherInnen als auch den Besuchten gegenseitiges Verständnis erwecken. PRIORI engagiert sich auch sehr im sozialen und kulturellen Leben Madagaskars. PRIORI steht für Ihre Reisepläne gern zur Verfügung - auch in deutscher Sprache.

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