PRIORI

PRIORI, das Reisebüro für und in Madagaskar

.
Madagaskar, das PRIORI-Buch

Franz Stadelmann

.

Madagaskar: Symbiose zwischen Gestern und Heute

.

zurück zum Inhaltsverzeichnis

.

Unabhängigkeit: Erste und Zweite Republik

Mit Philibert Tsiranana trat am 26. Juni 1960 der erste Präsident der neuen Republik Madagaskar sein Amt an. Der Leitspruch im Staatswappen lautete: Fahafahana - Tanindrazana - Fandrosoana (Freiheit, Vaterland, Fortschritt).

Als Staatsflagge wurde ein senkrechter weisser Streifen gewählt, rechts flankiert von einem oberen roten und einem unteren grünen waagrechten Balken. (Die rot-weisse Flagge wurde bereits von den Merina-Monarchen benutzt. Was zur Wahl dieser - für die côtiers historisch belasteten - Farben für die neue Republik Madagaskar führte, ist nicht bekannt.)

Unter Tsiranana und gefördert durch eine stark präsidiale Verfassung wurde Madagaskar sehr bald zu einem fast allmächtigen PSD-Staat: die Beamten mussten dieser Partei angehören, die PSD dominierte alle Gremien und Posten. Einzige nennenswerte Opposition kam von den drei Abgeordneten der mit einem starken kommunistischen Element durchsetzten AKFM. Doch die AKFM blieb im wesentlichen eine Partei der Merina und der städtischen Bevölkerung, insbesonders jener von Antananarivo. Auch sie war nur verbal eine Oppositionspartei, ab 1965 stimmte sie zu 80% den politischen Entscheidungen der Regierungspartei PSD zu. Vorschläge einer Annäherung des gemässigten AKFM-Flügels an die PSD oder gar einer Fusion wies Tsiranana energisch zurück, er zog einen Mehrparteienstaat vor, zumal er darin ohnehin eine bequeme Dominanz ausübte. In den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit bestanden insgesamt 34 Parteien, die allerdings nur wenig strukturiert waren und eher Splittergruppen gleichkamen.

Tsiranana führte eine franzosenfreundliche Politik und wurde dafür von der ehemaligen Kolonialmacht im Rahmen der französischen Entwicklungshilfe mit tausenden von Experten, Beratern, Militärs, Lehrern und Ärzten grosszügig unterstützt. 80% der ausländischen Hilfe stammte aus Frankreich. Dieser finanzielle und personelle Beistand war nicht uneigennützig, er diente genauso den französischen Interessen. Madagaskar wurde im grösseren Rahmen in die Aussen-, Wirtschafts- und Militärpolitik Frankreichs eingebunden.

Madagaskar gehörte der französisch dominierten Währungsunion (Zone Franc) an und wurde somit von der Abwertung der französischen Währung von 1969 ebenfalls betroffen. In Diégo-Suarez unterhielt Frankreich eine grosse Militärbasis und hatte in Ivato (bei Antananarivo) Fallschirmtruppen stationiert. Die Mehrheit der Industrie und Handelsunternehmen befand sich in den Händen von Europäern. Schulen und Hochschulen richteten sich nach wie vor nach Lehrplänen gemäss dem französischen Muster. Diese enge Liaison stiess auf zunehmende Kritik.

Madagaskar trat der 1963 gegründeten OAU (Organisation für afrikanische Einheit) bei. Aussenpolitisch führte Tsiranana eher einen konservativen Kurs innerhalb der französischen Richtlinien und in Anlehnung an den Westen. Selten nur traf die Regierung Tsiranana von Frankreich abweichende Entscheide, wie etwa als Frankreich die Volksrepublik China anerkannte und mit Taiwan brach, Madagaskar jedoch weiterhin Beziehungen mit Taiwan aufrechterhielt.

1963 wurde ein Freundschaftsvertrag mit Israel unterzeichnet. Ebenso wurden - unter Protesten  - Kontakte zu Südafrika hergestellt, aber auch Handelsverträge mit der UdSSR, mit Rumänien und Polen. Die Ostblockstaaten wurden allerdings politisch nicht anerkannt.

Das Land blühte auf. Es konnte sich selbst ernähren, die französische Währungsunion gab ihm eine Stabilität im Aussenhandel. Aus den 200’000 Industriejobs von 1960 wurden in den folgenden zehn Jahren 500’000. Die Inflation betrug um die 4%, Verschuldung und Budgetdefizit blieben gering. Der Zivildienst der Abiturienten erhöhte die Alphabetisierungsquote der Landbevölkerung auf 85%.

Mit der Unabhängigkeit wurden auch grosse Operationen zur Anhebung der Landwirtschaftsproduktion gestartet. Diese Projekte deckten ganze Regionen ab: SEDEFITA (Tulear; Baumwolle und Reis), SAMANGOKY (gegründet 1961 im Süd-Westen am Unterlauf des Mangoky), COMENA (Marovoay bei Mahajanga, Baumwolle, Reis und Erdnüsse), SOMALAC (ab 1961 am Lac Alaotra zur Anhebung der Reisproduktion), O.P.R. (Opération Productivité Rizicole auf dem Hochplateau), SOMASAK (Moyen-Ouest; Bereitstellung von Neusiedlerland). Ziel war der Anbau von Exportprodukten und die Gewinnung von Baumwolle für die Stofffabriken in Antsirabe und Mahajanga. Die Operation SAMANGOKY sollte 5000 landsuchenden Migranten zu einer landwirtschaftlichen Existenz verhelfen.

Viele dieser Agroprojekte nahmen aber unter den PSD-Verwaltern eine politische Richtung. So weigerten sich die Bauern der O.P.R., Neuerungen wie den Reisanbau in Linie oder den Einsatz von Dünger zu übernehmen. Diese Zurückweisung von neuen Technologien war eine stumme Demonstration gegenüber dem Diktat der PSD. Die Bauern formulierten diese Anti-PSD-Haltung auch in ihrem Sprachgebrauch: so wurde der Dünger taivazaha (Mist der Fremden) genannt.

Trotz diesen - fremdfinanzierten - Aktionen für die ruralen Gebiete suchte Tsiranana vor allem die Städte mit ihren Beamten und der dünnen Schicht der städtischen Angestellten zu fördern. Durch die Erhaltung der Kaufkraft dieses Bevölkerungsteils hoffte er, den sozialen Frieden in den Städten zu sichern.

Bei den Präsidentenwahlen von 1965 wurde Tsiranana mit 97% wiedergewählt. Die Wahlen für die Legislative vom September 1970 brachten der PSD 104 Sitze, die AKFM erhielt in Antananarivo drei Sitze.

Damit hatten sich Tsiranana und seine PSD eine solide Machtbasis geschaffen und erhalten können. Doch in den Reihen der Politiker und der Verwaltung hatte sich bereits das Unheil der Korruption breit gemacht.

Zudem machten sich innerhalb der PSD Friktionen bemerkbar zwischen dem liberalen Poeten Jacques Rabemananjara und dem sozialistischen Nationalisten André Resampa. Der 1934 geborene und in Morondava aufgewachsene Resampa, Gründungsmitglied und Parteisekretär der PSD, hatte als Innenminister die häufigen Krankheitsabsenzen des Präsidenten zwar zielstrebig genutzt, um seine eigene Position zu stärken, verlor jedoch gegen Ende der 1960er Jahre wieder einen Teil seines Einflusses. Resampa wurde 1971 aufgrund eines dubiosen Verdachts eines mit dem US-Botschafter geplanten Komplotts verhaftet und ohne Gerichtsurteil in Haft belassen. Der US-Diplomat wurde ausgewiesen.

Innenpolitisch kam die Regierung Tsiranana nach zehn Jahren Alleinherrschaft ins Trudeln. Ab 1969 hatten die Buschfeuer dramatisch zugenommen, dies galt und gilt noch heute als alarmierendes Zeichen und zerstörerische Demonstration der Unzufriedenheit der Bauern. Im März 1971 begannen die Medizinstudenten der Universität Antananarivo zu streiken und zu randalieren.

Zu Beginn der 1970er Jahre erlebte der Süden eine grosse Dürre, auf die der Staat kaum reagierte, worauf sich im April 1971 ein Aufstand formierte, politisch von der MONIMA unterstützt. Die Viehhalter des Südens weigerten sich nachhaltig, eine vom Staat auferlegte Viehsteuer zu zahlen, zudem wollten sie die 'freiwilligen' PSD-Parteibeiträge nicht weiter aufbringen. Monja Jaona, Führer der vor allem im Süden vertretenen Partei MONIMA, wurde verhaftet und die MONIMA aufgelöst. Die Gendarmerie reagierte 1971 mit brutaler Gewalt, rund 1000 Leute (nach anderen Angaben 3000) wurden im Süden umgebracht.

Noch im Januar 1972 holte Tsiranana als einziger zur Wahl stehender Kandidat 99,97% der Stimmen bei der Präsidentenwahl, die ihn für eine dritte Amtszeit von sieben Jahren bestätigten. Doch das Regime steckte bereits in einer tiefen Krise.

Dann kam der Mai 1972, der den PSD-Staat innerhalb von wenigen Tagen zu Fall brachte. Die Studenten und Gymnasiasten waren unzufrieden mit der fortdauernden französischen Präsenz, vor allem auch im Lehrbetrieb. Die Schulbücher stammten wie während der Kolonialzeit aus Frankreich und behandelten 'unsere Vorfahren, die Gallier'. Die Jugendlichen versammelten sich am 12. Mai vor dem Rathaus in Antananarivo zu einer grossen Demonstration und weigerte sich, ihre Kundgebung aufzulösen. In einer Blitzaktion wurden in der einbrechenden Nacht 400 Studenten verhaftet und auf die Gefangeneninsel Nosy Lava verfrachtet. Am kommenden Tag (13. Mai) schoss die Polizei (F.R.S.) auf die sich erneut formierten Demonstranten und tötete rund 40 Menschen. Sofort wurde für den 15. Mai ein Generalstreik ausgerufen und weitgehend befolgt. Diese Angelegenheit war im Wesentlichen auf die Hauptstadt konzentriert und mehr von Gymnasiasten als von Studenten getragen. Tote gab es bei ähnlichen Konfrontationen auch in Mahajanga.

Schon am 18. Mai 1972 gab Philibert Tsiranana sein Amt aufgrund von Protesten der durch den brutalen Polizeieinsatz schockierten Bevölkerung und auf Druck der Militärs ab. Die Erste Republik fand damit ein Ende. Das Nachfolgeproblem des trotz seiner zunehmenden Intoleranz gegenüber der Opposition und seiner Obsession, Madagaskar vor kommunistischer Subversion retten zu müssen, charismatischen Führers war nicht geregelt. Daher ergaben sich lange Fraktionskämpfe, bis sich nach drei Jahren mit mehreren Regierungen der Fregattenkapitän Didier Ratsiraka durchsetzen konnte, während das Land entlang einer latenten Bürgerkriegsgefahr in eine profunde ökonomische Krise schlitterte. Diese Zeit war durchsetzt von Streiks und aufflackernden Aufständen, von drastischer Verarmung und hoher Arbeitslosigkeit. Nach 1972 verdoppelte sich die Arbeitslosigkeit innerhalb eines Jahres, während der Reispreis ebenfalls zweimal teurer wurde. Fabriken machten zu oder gingen bankrott. Die Inflation betrug um die 20% pro Jahr.

Der apolitische Merina und amtierende Armeechef General Gabriel Ramanantsoa übernahm am 27. Mai 1972 die Regierungsgeschäfte als Premierminister, während Tsiranana auf Wunsch von Ramanantsoa, aber gegen den Willen der Studenten, nominell noch Präsident blieb. (Tsiranana war kaum noch regierungsfähig, seit 1969 war er immer wieder krank und mehrere Male hospitalisiert. Tsiranana starb am 16. April 1977.)

Eines der ersten Geschäfte des neuen Premiers war die Aufhebung der Viehsteuer im Süden. Ramanantsoa stützte sich in der Durchsetzung seiner Politik auf die Armee: er berief Militärs in die Regierung und ernannte Offiziere als Provinzgouverneure. Zudem versprach er, korrupte Beamte zur Rechenschaft zu ziehen. Allmählich kehrte Ruhe ein, auch der Streik der Studenten fand ein Ende. Um einen neuen Weg aus der Krise zu finden, wurde im September 1972 ein Volkskongress (zaikabe) einberufen: rund 10’000 Delegierte aus allen Teilen Madagaskars berieten in der Hauptstadt erstmals über eine gemeinsame Zukunft. Derweil riss Aussenminister Ratsiraka auf der Weltbühne das Ruder radikal herum und steuerte energisch eine antifranzösische und prosowjetische Richtung an. Kontakte mit China und arabischen Nationen wurden geknüpft, ebenso mit revolutionären afrikanischen Staaten.

Die durch radikalere Elemente entmachtete PSD suchte bei verschiedenen Gelegenheiten die Konfrontation mit den machthabenden Militärs und wiegelte auf einer ethnischen Ebene die côtiers gegen die Merina auf. So kam es noch 1972 und 1973 in verschiedenen Orten zu Anti-Merina Aufständen, unter anderem in Tamatave, wo die Geschäfte der Merina geplündert und angezündet wurden. In den Schulen der Küste wurden Merina-Kinder angefeindet. Eine neue Streikwelle legte Fabriken und die Häfen von Manakara und Tamatave lahm.

Auch andere politische Parteien agierten gegen die ökonomisch starken Merina, so unter anderem die MONIMA und die vom Betsileo Manandafy Rakotonirina (ein ex-MONIMA Mitglied) 1972 gegründete MFM. Die Merina-Elite hatte sich den Aufstieg dank ihrer Ausbildung gesichert, die côtiers suchten ihn durch politische Aktivitäten zu erreichen.

Im Rahmen einer Dezentralisierung hob die Regierung 1973 unter Anleitung von Innenminister Ratsimandrava die ruralen Gemeinden auf und setzte binnen zwei Jahren über 10’000 Fokontany als lokale Administrationsstrukturen ein. Innerhalb des Fokontany waren fortan verschiedene Komitees (vatoeka) für die Verwaltung und die ökonomischen Belange des Dorfes zuständig und verstanden sich als 'Speerspitze der ruralen Revolution'. Die vatoeka sollten auch als Handelsagentur auf Dorfstufe auftreten, einerseits Produkte der Grundbedürfnisse an die Dorfbewohner verkaufen und andererseits Landwirtschaftsprodukte aufkaufen und sie an die Staatshandelsfirma weiterleiten. Damit wurde zwar an traditionelle Organisationsformen angeknüpft, andererseits übernahm der Staat zunehmend eine zentralisierte Rolle als Organisator (z.B. Handels- und Transportmonopol) und als alleinige Instanz für marktwirtschaftliche Belange (z.B. durch Preisfixierung und Vermarktungsregelungen).

Die dezentralisierten Administrativeinheiten waren seitdem die Fokontany ('Dörfer'), Firaisam-pokontany (ex-Préfectures), Fivondronam-pokontany (ex-Cantons) und Faritany (ex-Provinzen). Im Land gibt es über 11’373 Fokontany und um die 2000 Firaisam-pokontany.

Zudem wurde unter Ramanantsoa die 'malgachisation' initiiert, die ihrerseits zu Demonstrationen der Schüler gegen eine zu krasse und schnelle 'malgachisation' führte. (1976 wurden etliche Ortschaften und Städte umbenannt: aus Tananarive wurde Antananarivo, Tamatave zu Toamasina; Fort-Dauphin zu Tôlanaro. Diese neue Namensgebung hat sich aber nicht generell durchsetzen können.) Madagassisch wurde zur offiziellen Sprache, auch für den Schulunterricht. Nur noch ein äusserst kleiner Prozentsatz der Schüler lernte eine Fremdsprache. Ausländische Unternehmen wurden malgaschisiert. Die Merina waren ob den erfolgten Nationalisierungen zufrieden, kreideten jedoch ihrerseits eine Bevorzugung der côtiers bei der Besetzung von Stellen an.

Im Mai 1973 trat Madagaskar nach Verhandlungen des Aussenministers Ratsiraka aus der CFA - Währungsunion aus. Und am 1. September 1973 verliessen die französischen Truppen - darunter auch die in Diégo-Suarez stationierte Fremdenlegion - das Land. Damit war auf nationaler und internationaler Ebene ein eindeutiger und radikaler Schlussstrich unter die koloniale Vergangenheit gezogen. (Allerdings blieb Madagaskar auch weiterhin von französischen Finanzquellen abhängig.)

General Gabriel Ramanantsoa überstand zwar einen Putschversuch vom Silvester 1974, ausgeführt von Einheiten der GMP (Groupe Mobile de la Police; jene die 1972 auf die Studenten geschossen hatten). Doch nach drei Jahren Amtszeit wurde er durch Voten der von Tsiranana und Resampa gegründeten rechtslastigen PSM (Parti Socialiste Malgache; ex-PSD), und von den Linksparteien MONIMA und MFM zu Fall gebracht. So übergab er die Regierungsgeschäfte am 5. Februar 1975 dem Gendarmerie-Oberst Richard Ratsimandrava (der sich am 13. Mai 1972 geweigert hatte, den Schiessbefehl auf die demonstrierenden Studenten zu geben). Der bisherige Innenminister und dem radikalen Flügel zugehörende Ratsimandrava war die treibende Kraft für die Installation der neuen Basisorganisationen (Fokontany etc.) gewesen. Doch sechs Tage darauf (am 11. Februar) wurde der 41-jährige Merina  von einem fünfköpfigen Kommando erschossen. Beteiligt waren Leute aus der GMP, die genaue Implikation von Resampa (ex-Minister der PSD) - und auch Tsiranana - wurde nie publik. Resampa wurde zwar verhaftet, kam aber beim folgenden Prozess, der als Jahrhundertprozess deklariert wurde und fast drei Monate dauerte, ungeschoren davon, wie die rund 300 vermuteten (darunter Commandant George Istasse und Colonel Bréchard Rajaonarison) Drahtzieher ebenso. Verurteilt wurden lediglich die drei Überlebenden des Attentats. (Auch Didier Ratsiraka kam später in den Verdacht, diesen Politmord bestellt zu haben. Die Affäre wurde nie von unabhängigen Instanzen untersucht.)

Das daraufhin formierte 18-köpfige Militärdirektorat übernahm die Macht, verhängte einen generellen Ausnahmezustand und erliess eine sofortige Pressezensur. Vier Monate später, am 15. Juni 1975, ernannte das Direktorat den bisherigen (seit 1972) 38-jährigen Aussenminister Didier Ratsiraka zum Staatschef. Diese 'Ernennung' wurde von verschiedenen Seiten als Palastrevolte oder gar als Staatsstreich bezeichnet. (Ratsiraka stammt aus einer Merina-Familie, wuchs jedoch in Vatomandry an der Ostküste auf. Aus politischem Kalkül gibt er sich als côtier aus.)

Das Militärdirektorat gründete auch den CSR (Conseil Suprême de la Révolution), bestehend aus neun Offizieren, die entsprechend der Verfassung als 'gardiens de la révolution socialiste Malagasy' den Ministern übergeordnet waren. Als weitere Struktur entstand der Conseil Militaire de Développement (CMD), dessen Aufgabenkreis im Verlauf der folgenden Jahre zunehmend unklarer wurde.

Der von stark sozialistischen Idealen geprägte Fregattenkapitän Ratsiraka berief - mit einer Ausnahme - Zivilisten als Minister. Nach nur zwei Tagen im Amt verstaatlichte Ratsiraka Banken und Versicherungen, dann die Schiffslinie SMTM, die Raffinerie SMR (Société Malgache de Raffinage) und das führende französische Handelshaus, die Compagnie Marseillaise de Madagascar. (Schon 1973 war die SONACO als staatliche Aussenhandelsagentur gegründet worden, ebenso wie die SINPA für den Innenhandel und die SINTP für den Baubereich.) Die US-Satellitenbeobachtungsstation in Arivonimamo westlich von Antananarivo wurde im Juli geschlossen. 1976 wurden die im Lande tätigen Ölfirmen verstaatlicht und die SOLIMA als staatliches Monopolunternehmen für den Treibstoffhandel gegründet. Die Grossplantagen wurden ebenso enteignet wie die Grundstoffindustrie. Ziel war, die französische Vorherrschaft in diesen Bereichen zu brechen.

Ratsiraka fand auch Zeit, sein boky mena (rotes Buch) zu schreiben, das am 26. August veröffentlicht wurde, nachdem er es während einer Woche am Radio vorgelesen und eingehend erklärt hatte. In diesem den nordkoreanischen Idealen nacheifernden Werk wurde vor allem die Dezentralisation im Rahmen der fokonolona (Bewohner der Fokontany) beschrieben, der Sozialismus wurde zur Staatsdoktrin erklärt und die ethnischen Spannungen sollten durch eine nationale Einheit aufgehoben werden. Ratsiraka versprach Agrarreformen, aus der Armee sollte eine Armee für die Entwicklung des Landes werden. Zur Ausführung des Programms wollte er die Jugend wie auch die Frauen mobilisieren. Im Jahr 2000, so versprach Ratsiraka, werde die nationale Ökonomie fähig sein, die Bedürfnisse der Bevölkerung abzudecken. Zudem sollte spätestens bis zu diesem Jahr jeder Madagasse kostenlosen Zugang zu Krankenpflege und Schulunterricht haben, besser und ausgewogener ernährt sein, korrekt wohnen und fliessendes Wasser zumindest in unmittelbarer Umgebung finden, Strom haben, eine sportliche und kulturelle Infrastruktur vorfinden. Jedem wurde eine Arbeit versprochen, die Diskrepanz zwischen reich und arm und Stadt und Land sollten laut boky mena sehr vermindert sein in dieser sozialistischen Gesellschaft des Jahres 2000.

Mit dem Referendum vom 21. Dezember 1975 wurde seine 'Charte de la Révolution Socialiste Malagasy' (enthalten im boky mena) zu 94,66% vom Volk angenommen, 90% der 3,7 Mio. Stimmberechtigten waren zur Urne gegangen. Somit wurde diese Charta mit einer starken präsidialen Regierungsform als neue Philosophie der ab 31. Dezember 1975 gültigen Zweiten Republik, der Demokratischen Republik Madagaskar, legitimiert und Ratsiraka dadurch zum Präsidenten gewählt. (Albert Zafy hatte die Nein-Losung zu den drei Fragen des Referendums ausgegeben: Nein zu Ratsiraka, Nein zum boky mena, Nein zur vorgeschlagenen sozialistischen Verfassung).

Laut dieser Verfassung wird der Präsident alle 7 Jahre direkt vom Volk gewählt. Neben dem Präsidenten amtiert der Oberste Revolutionsrat (CSR; Conseil Suprême de la Révolution), wobei zweidrittel der 18 CSR-Sitze vom Präsidenten ernannt werden. (Die Anzahl der CSR wurde auf 22 und 1989 schliesslich auf 27 erhöht: der CSR wurde im Laufe der Jahre ein Parkhaus für einflussreiche Politiker, die nicht ausgeschaltet werden konnten und mit einem hochdotierten Posten beschwichtigt wurden.)

Die Leitmotive Madagaskars wurden 1976 folgendermassen abgewandelt: Tanindrazana - Tolom-piavotana - Fahafahana (Vaterland, Revolution, Freiheit)Aus dem 'Fortschritt' der Ersten Republik wurde die 'Revolution' der Zweiten Republik.

Die fünf autorisierten Parteien (AREMA, MONIMA, VONJY, AKFM, MFM) wurden am 29. Dezember 1976 zur 'Front National pour la Défense de la Révolution Malagasy' (FNDRM oder auch FNDR genannt) zusammengefasst. Ratsiraka hatte die AREMA  am 19. März 1976 gegründet und wurde deren Generalsekretär. Doch die 'Vorhut der madagassischen Revolution' (AREMA) entwickelte sich zunehmend zur Hofpartei des Ratsirakaclans und verfügte zu Glanzzeiten über 90’000 Mitglieder. Zudem wurden die Satellitenparteien und die FNDR auch von AREMA-Leuten unterwandert. Die MONIMA zog sich 1977 aus der FNDR zurück. (Die MONIMA stiess aber 1981 wieder dazu und Monja Jaona wurde CSR.) Im gleichen Jahr (1977) 'gewann' die FNDR mit der Einlistenwahl 96% der Stimmen und übernahm die Kontrolle in den sechs Faritany (Provinzen).

Hochgesteckte Ziele sollten - jedenfalls auf dem Papier - dem Land 5,8% Wirtschaftswachstum geben, bis ins Jahr  2000 sollte das PIB pro Einwohner (damals 346 US-$) verdoppelt werden.

Ein umfangreiches Investitionsprogramm sollte diesen ehrgeizigen Sprung nach vorn ermöglichen: 1978/79 wurden ganze Fabrikanlagen schlüsselfertig bestellt (Lederverarbeitung, Düngerfabrik, Ölmühlen). Zudem wurden die Gebäude der sechs neuen Universitäten als Fertigteile importiert. Teuer war auch der in diesem Jahr getätigte Kauf eines Jumbo Jets (Boeing 747) für die Air Madagascar, wie auch 1500 Lastwagen und etliche Schiffe gekauft wurden. Allein 1979 wurden 70% mehr Gelder für Investitionen aufgewendet als im Jahr zuvor.

Ausser einer dramatischen Auslandsverschuldung (1990 um die 4 Milliarden US-$) trug diese Politik mit dem Schlagwort 'investissement à outrance' nichts ein: die Aussenverschuldung vervierfachte sich allein zwischen 1978 und 1980.

Die von flammenden ideologischen Reden begleitete Revolution brachte nicht die erwünschten Früchte. Ratsiraka hatte die Franzosen aus dem Lande geworfen, ebenso wie die Amerikaner und stützte sich auf die sozialistischen Länder des Ostens, auf China und Libyen, ohne allerdings eine allzu enge Beziehung einzugehen. Nordkorea jedoch entwickelte sich zu einem besonders bevorzugten Bruderland, das Elitesoldaten als Leibwächter für Ratsiraka schickte und ebenso mithalf, den neuen Präsidentenpalast von Iavoloha, zehn Kilometer südlich der ähnlich gebauten rova (Königinnenpalast), zu bauen. Der Prunkbau wurde nach etlichen Jahren Bauzeit 1989 eröffnet. Die Presse, zu einem wortreichen Schweigen verurteilt und wagte sich kaum über die enge Grenzlinie der Ratsiraka-Zensur hinaus.

Aussenpolitisch suchte sich Ratsiraka zum Sprecher der Dritten Welt zu machen und zum Anwalt gegen Kapitalismus, gegen Imperialismus und gegen die USA. Madagaskar sollte nicht weiter der 'Flugzeugträger' fremder Mächte im Indischen Ozean sein: Ratsiraka weigerte auch gegenüber der UdSSR, die von den Franzosen verlassene Marinebasis in Diégo-Suarez zur Verfügung zu stellen und machte sich für eine Entmilitarisierung des Indischen Ozeans stark. Die UNO-Vorstösse der UdSSR jedoch fanden so gut wie immer die Unterstützung Madagaskars - so verurteilte Madagaskar auch nicht den Einmarsch der UdSSR vom Dezember 1979 in Afghanistan. Die UdSSR lieferte Waffen und Rohöl, Militärausbildner und Industrieprodukte und finanzierte das Studium von mehreren tausend Madagassen an sowjetischen Universitäten.

Doch fünf Jahre nach seiner Machtübernahme hatte Ratsiraka das Land ruiniert: das Bruttosozialprodukt stagnierte, die Investitionen nahmen drastisch ab, Fluchtgelder wurden ins Ausland verschoben, der Schwarzmarkt blühte auf und dies nicht nur für Devisen, sondern auch für Grundprodukte wie Reis, Zahnpasta und Seife. Das ineffiziente Transportmonopol liess die Versorgung der Städte zusammenbrechen. Real war das Prokopfeinkommen um 30% gesunken. Die Bauern zogen sich angesichts der vom Staat festgesetzten - tiefen - Preise und der Ineffizienz der Handelsagenturen in eine zunehmende Subsistenz zurück und dies auf Kosten der Versorgung der städtischen Bevölkerung. Zwar hatte Ratsiraka versucht, die Verarmung der Bevölkerung durch eine wachsende Auslandsverschuldung abzumildern, doch 1981 war Madagaskar bankrott. In ihrer Not rief die Regierung 1981 den Internationalen Währungsfond (FMI/IMF) und die Weltbank zu Hilfe, die ihr klassisches Programm verschrieben: sofortige Abwertung der Währung, Reduktion der öffentlichen Ausgaben, starke Kontingentierung der Importe, Abschaffung der subventionierten Preise, neue Zolltarife. Die ersten Rezepte der internationalen Bankagenturen wurden von der schockierten madagassischen Verwaltung nicht respektiert, mehrere neue Verhandlungsrunden mussten eingeschaltet werden. Erst ab 1982 entwickelte sich Madagaskar zum 'Musterschüler' der Weltbank, weil die vereinbarten Anpassungen Jahr um Jahr durchgepaukt wurden - auch trotz massiver interner Konflikte.

Einzelne Länder - Algerien, Libyen, Indien - sponsorten ebenfalls Finanzhilfen, doch die Darlehen der westlichen Institutionen und die bilaterale Hilfe aus Frankreich, USA, BRD, Schweiz und Japan waren weitaus gewichtiger. Mehrere Länder strichen madagassische Schulden in Milliardenhöhe. Auch die europäische Gemeinschaft begann als multinationaler Geldgeber eine wichtige Rolle zu spielen. Ausgehend von den Lomé-Abkommen mit ihren Handelsvorteilen wurden auch Rahmenkredite gesprochen, die Projekte der ländlichen Entwicklung, Infrastruktur und Agrarwirtschaft betrafen.

Innenpolitisch war die Insel nicht frei von Spannungen und Zusammenstössen. In Mahajanga gab es heftige Konfrontationen zwischen Madagassen und Komorern im Dezember 1976. Studentendemonstrationen in Antananarivo im Mai 1978 verursachten drei Tote. In den dürregeplagten Zonen des Südens flackerten Revolten in den Jahren 1978 und 1979 auf. Krawalle in Antananarivo hinterliessen im Februar 1981 fünf Tote und kamen im November 1981 erneut zum Ausbruch.

1984 hielt die 'Affäre Kung-Fu' die Hauptstadt in Atem. Unter aktiver Unterstützung oder zumindest wohlwollender Tolerierung der Regierung war zu Beginn der 80er Jahre die TTS (tanora-tonga-saina; die arbeitslosen, jungen Bewussten) entstanden, eine Art Stadtguerilla aus Arbeitslosen - oder eher einer Gruppierung von städtischen Jugendbanden. Dagegen setzten sich die in Kampfsportgruppen organisierten Kung-Fu zur Wehr. Diese Jugendlichen nahmen sich die Kung-Fu-Filmhelden zum Vorbild und fühlten sich den Parteien MONIMA und MFM nahe. Am 4. September 1984 wurden die Kung-Fu verboten. Tags darauf belagerten mehrere hundert aufgebrachte Kung-Fu-Anhänger das für dieses Verbot zuständige Jugendministerium und setzten es in Brand. Der Konflikt schwelte weiter. Am 4. Dezember 1984 töteten die Kung-Fu rund 50 Anhänger der TTS in einer Strafexpedition in Soarano, einem Stadtteil von Antananarivo. Die Armee verhielt sich neutral, die Gendarmerie schritt nicht ein. Sieben Monate später, am 1. August 1985, fuhren Armee und Polizei vor dem Hauptquartier der Kung-Fu auf mit der Begründung, dort werde ein Staatsstreich vorbereitet. Die darauf folgenden schweren Auseinandersetzungen verursachten 20 Tote.

1986 wüteten heftige Aufstände in Tamatave, als versucht wurde, die Betrügereien und illegalen Aktivitäten rund um den Hafen zu stoppen. 1986 brachen wiederum Gewaltanwendungen an der Universität Antananarivo aus, als die Regierung begann, die für Studenten bestimmten Wohnquartiere von den Nichtstudenten zu säubern. Ebenso sollte die Studentenzahl um 20% reduziert werden. Erneute Ausschreitungen im Februar 1987 verursachten 3 Tote.

Auch im Süden entlud sich 1986/87 der Volkszorn erneut angesichts von Hunger und Nahrungsmittelknappheit. Im Oktober 1986 meldete Monja Jaona, dass seit 2 Jahren 40'000 Leute vor Hunger gestorben seien und sich 30’000 Hungerflüchtlinge in den Norden abgesetzt hätten.

Schlimme Ausschreitungen gegen die Indo-Pakistaner zogen sich vom Februar bis März 1987 hin - wie schon im November 1986 in Tamatave. Betroffen waren vor allem die Städte Antsirabe, Fianarantsoa, Tulear und Farafangana. Häuser wurden angezündet, Geschäfte geplündert. Man sprach von 14 Toten, die genaue Zahl der Opfer wurde jedoch nie bekannt. Viele Inder - etliche davon mit französischen Pässen - flohen daraufhin nach La Réunion. 56 Personen wurden vor Gericht gestellt und mit bis zu 5 Jahren Schwerarbeit bestraft.

Spannungen um Landbesitz zwischen zwei Ethnien in der Region von Farafangana machten sich im Oktober 1990 durch heftige Konfrontationen Luft.

Und immer wieder brachen rotaka (kollektive Plünderungen und gewalttätige Zerstörungen aufgrund einer Massenhysterie) aus, sei es im Zusammenhang mit erwähnten Vorfällen oder sei es in der Folge eines Fussballspiels (1987) oder eines Konzerts  (1989).

Die Bischofskonferenz der FFKM (ökumenischer Kirchenrat) vom November 1981 beunruhigte sich angesichts der generellen Degradation der sozialen und ökonomischen Situation und der Zunahme von Banditismus, Unsicherheit und Korruption im Land. Im Jahresbericht von 1983 erhob Amnesty International schwere Vorwürfe gegen die Regierung: politische Gefangene würden ohne Gerichtsurteil festgehalten, in den Gefängnissen komme es zu Folter und es herrsche eine schlechte Behandlung. Der Vertreter von Amnesty International war im Februar 1982 des Landes verwiesen worden.

1982 hinterliessen in Diégo-Suarez gewalttätige Manifestationen fünf Tote. Die Bevölkerung klagte den Provinzchef an, künstlichen Mangel an Grundbedürfnisprodukten wie Seife, Reis und Zucker zu erzeugen und die Waren auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Ebenso warfen die Viehhalter der Provinz Tulear der Zentralregierung vor, die dahalo (Viehdiebe) zu unterstützen und als Unsicherheit streuende Elemente zu nutzen. Ratsiraka antwortete mit einem massiven Einsatz von Militär, der gemäss Monja Jaona mehr als 65 Leuten das Leben kostete. (Das Phänomen der dahalo hatte in der Unsicherheitsperiode nach 1972 zugenommen und machte sich erneut in den 80er Jahren verstärkt bemerkbar. Monja Jaona initiierte schliesslich ein kollektives Engagement (dinan'ny mpihary) der Dorfgemeinschaften, das zu einem verstärkten gemeinsamen Vorgehen gegen die Viehdiebe animieren sollte. (Dass hohe Funktionäre und Militärs hinter den Viehdieben standen, machte im Oktober 1988 die Affäre Keliberano sichtbar, als die dahalo in diesem Ort bei Ambalavao mit Kalachnikovs ein Taxi-Brousse attackierten und zehn Tote hinterliessen.)

Mehrere Male (Juni 1989, 13. Mai 1990, August 1990) wurde die Radiostation in Antananarivo besetzt und Ratsiraka als abgesetzt erklärt. Diese misslungenen Aktionen blieben Symbole der Unzufriedenheit und verursachten Tote (Mai 1990), direkte Folgen hatten sie jedoch keine.

Die Regierungszeit unter Ratsiraka kannte etliche Vorkommnisse, die dubios und nie geklärt wurden. So wurde der Chef der Präsidentengarde, Colonel Kamisy, am 31. Mai 1984 in der Militärakademie von Antsirabe erschossen. Oder am 24. Mai 1986 fanden alle 14 Insassen bei einem Flugzeugabsturz den Tod, darunter der General Hubert Andrianasolo und der Konteradmiral Guy Sibon. Am 26. Juni 1987 starb General Rakotonirainy während der offiziellen Militärparade des Nationalfeiertages: Gerüchte brachten den Tod des Generalstabschefs sofort mit einem Attentat in Verbindung.

Unklar blieb auch die zwielichtige Affäre um den belgischen Geschäftsmann Paul Mathieu wie auch die Hintergründe zur Ausweisung des deutschen Geschäftsmanns E. Zwetkow, dem die Einreise - und seine Verteidigung vor Gericht - untersagt wurde. Beide waren wohl in unheilige Allianzen mit der Machtelite verstrickt - und aus irgendwelchen Gründen gescheitert.

Im November 1982 gewann Ratsiraka die direkten Präsidentenwahlen mit 80,17% gegen seinen einzigen Herausforderer Monja Jaona. Das madagassische Verfassungsgericht hatte drei weitere Kandidaturen (darunter jene von Professor Albert Zafy) nicht bewilligt. Zugelassen waren nur Kandidaten der FNDR (AREMA, MONIMA, MFM, VSM, VONJY, AKFM, UDECMA). Nach der Wahl erhob Monja Jaona schwere Vorwürfe wegen Wahlbetrugs und Manipulation, rief zu einem Generalstreik auf und forderte einen neuen Wahlgang. Unverzüglich verlor er seinen Posten als CSR und wurde in einem Militärcamp - erneut - interniert. (Der 75-jährige wurde erst acht Monate später wieder freigelassen. 1989 liess er sich von Ratsiraka wieder zum CSR ernennen.) Gleichzeitig fanden in mehreren Städten Zusammenstösse zwischen den Anhängern der Partei MONIMA und Ratsiraka-treuen statt, die mehrere Tote forderten, und ein dubioser Komplott gegen Ratsiraka wurde 'aufgedeckt'.

Das Bruttonationalprodukt pro Kopf sank von 370 US-$ (1979) auf 295 US-$ (1983) ab. Die frühen 1980er Jahre waren sehr hart für die Bevölkerung. Der Konsum pro Kopf sank um 20% zwischen 1980 und 1984; Ersatzteile und Rohmaterialien waren kaum mehr zu haben, die Schlangen vor - fast leeren - Geschäften wurden immer länger. Ein immer grösserer Schwarzmarkt - auch für Produkte des täglichen Gebrauchs - begann zu florieren und das Akzeptieren von Bestechungsgeldern wurde zur Lebensnotwendigkeit der Beamten. Zudem schaffte es das Land nicht mehr, sich zu ernähren. Allein 1983 mussten 183’000 Tonnen Reis eingeführt werden. Die Aussenhandelsschulden beliefen sich 1983 auf rund 1500 Millionen Dollar. Natürlich profitierte ein kleiner Kreis um Ratsiraka von diesem Regime: Verschiebungen, Schmuggel und Transaktionen machten auch vor Mord und Totschlag nicht Halt.

Im Rahmen ihres Sanierungsprogramms verlangte die Weltbank, den Gürtel um den bereits hungernden madagassischen Bauch noch enger zu schnallen. Der Währungsfond veranlasste 1981 die Abwertung des FMG um 15%. 1983 wurde ein Programm der Strukturanpassung (PAS) unter Führung der Weltbank in die Wege geleitet: der Markt und die Preise wurden liberalisiert und die Währung sukzessive abgewertet. Die Inflation von 32% (1982) betrug ab 1984 um die 10%, erfuhr aber 1988 nochmals eine Hausse von 26%. Statt öffentliche Investitionen in Grossprojekte industrieller Art zu tätigen, flossen nun Staatsgelder in die Rehabilitation von Landwirtschaft und Transport.

Die madagassische Währung (FMG) wurde auch nach dem Austritt aus der französischen CFA-Währungsunion von 1973 zu einem Fixkurs von 50 FMG gleich 1 FF gehandelt. Dadurch wurde im Laufe der Jahre ein künstlicher Kurs aufrechterhalten, der keineswegs mehr der ökonomischen Realität entsprach. Dieser drastischen Überbewertung des FMG machte die Weltbank ein Ende. Seither gleitet der FMG unaufhörlich abwärts, springt manchmal (wie 1987) durch eine brüske Abwertung gar eine ganze Stufe tiefer. Von 1982 bis 1987 verlor der FMG gegenüber dem FF 440% an Wert. Für einen französischen Franken (FF) mussten 1990 275 FMG bezahlt werden, 1993 waren es bereits um die 350 FMG. Der FMG blieb weiterhin nicht konvertierbar mit anderen Währungen. Je nach Situation blühte ein aktiver Schwarzmarkt für die heissbegehrten Devisen. (Der Währungshandel wurde ab 1975 von der Zentralbank (Banque Centrale de Madagascar) geleitet: diese Bank publizierte seit 1975 keinen jährlichen Aktivitätsrapport mehr.)

Zu Beginn der Liberalisierung existierten 167 Unternehmen und drei Banken, alle unter sozialistischem Staatsmanagement - und kaum eine der Firmen war rentabel. FMI und Weltbank erarbeiteten ein Gesundungsprogramm für diese Unternehmen, was dazu führte, dass etliche davon an private Investoren verkauft wurden und erst einmal personalmässig gesundgeschrumpft wurden.

Die Opfer interner Misswirtschaft und externer Sanierungsbemühungen waren enorm: sinkende Kaufkraft, eingefrorene Löhne, zunehmende Verarmung weiter Teile der Bevölkerung, Verelendung der untersten Schichten, Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung, Korruption. In den urbanen Zonen, die 1,6 Mio. Leute in den sechs grössten Städten umfassen, gab es zu Beginn der 1990er Jahre 250’000 Arbeitslose. Die Kindersterblichkeit verdreifachte sich von 1980 bis 1987. 1987 lebten 46% der Bevölkerung von Antananarivo unter der absoluten Armutsgrenze. Sie überlebte nur, dank einem rigorosen Verzicht und einem Zurückstellen von elementarsten Wünschen. Andere hielten sich durch eine Überlebensstrategie mit einer breiten Palette von Aktivitäten über Wasser: von Doppeljobs über Kleinsthandel, Bettelei, Betrügereien bis hin zu Prostitution und Diebstahl.

Und die Perspektiven wurden trotz Programmen und Hilfeleistungen nicht besser. Madagaskar sank in die Kategorie der ärmsten Länder ab, die sozialen Probleme - insbesonders im städtischen Bereich - verschärften sich.

Viele Fachkräfte und Intellektuelle wanderten aus. 1992 wurde geschätzt, dass um die 100’000 Madagassen in Frankreich lebten. Gähnender Absentismus der Angestellten in Büros und Ministerien wurden zur Tagesordnung.

Zeichen einer erneuten Annäherung an den Westen begannen sich ab 1985 zu manifestieren. 1985 besuchte Ratsiraka erstmals Washington. (Die USA unterhielten erst wieder ab 1980 eine Botschaft in Madagaskar, nachdem der Botschafter 1971 ausgewiesen worden war.) Auch die Briten öffneten 1980 wieder ihre Botschaft, die sie 1975 geschlossen hatten.

Am 14. Juli 1986, dem französischen Nationalfeiertag, war Ratsiraka an der Militärparade in Paris präsent. (Auch für Ratsiraka, wie für die Mehrheit der Madagassen, war und ist Paris schlichtweg die Hauptstadt Europas, ja der ganzen Welt.) Das französische Kriegsmarineschiff 'Jeanne-d'Arc' besuchte erstmals wieder seit 1972 den Hafen von Tamatave, die Mannschaft wurde von Ratsiraka mit allen Ehren empfangen. (Ratsiraka hatte sich inzwischen zum Konteradmiral und 1983 zum Admiral ernennen lassen.)

Ab 1983 waren wieder 526 französische Coopéranten (Techniker und in der Mehrzahl Lehrer) in Madagaskar tätig. (1970 waren es 1500 gewesen.) Frankreich war inzwischen auch wieder der grösste Handelspartner Madagaskars geworden. (Frankreich war auch während der strammsozialistischen Phase immer einer der wichtigsten Handelspartner geblieben.) Präsident Mitterrand besuchte Madagaskar im Juni 1990, empfing oppositionelle Kräfte, und brachte als Geschenk die Streichung von Schulden mit. Im August 1990 kam Präsident de Klerk für ein paar Stunden, was noch im gleichen Jahr zur Aufnahme einer direkten Fluglinie zwischen Antananarivo und Johannesburg führte und im Januar 1991 zur Schliessung des seit 1982 bestehenden Lokalbüros des ANC in Antananarivo. (Ein Jahr vorher, im April 1989, besuchte erstmals ein Papst die Insel. Johannes Paul II blieb vier Tage und wurde von einer stürmischen Menge empfangen. Der Papst konferierte auch mit Vertretern der Opposition - und dies im Wahljahr 1989.)

Regional schloss sich Madagaskar 1984 mit den Inseln Mauritius, Seychellen und La Réunion in der 'Commission de l'Océan Indien' zu einer lockeren Kooperationsrunde zusammen, zu der 1986 auch die Komoren stiessen. Fassbare Ergebnisse wurden nicht erzielt - ausser den - unregelmässig ausgetragenen - Jeux des Iles, eine Art Miniolympiade der Inselstaaten im westlichen Indischen Ozean.

Innenpolitisch schafften es die Politiker in den 1980er Jahren immer weniger, gegenüber dem Volk ein Mass an Glaubwürdigkeit zu repräsentieren und ein Verantwortungsbewusstsein für das Gesamtwohl wahrzunehmen. Das politische System degradierte ebenso wie das wirtschaftliche und das soziale. Ratsiraka glaubte sich immer wieder von Komplotten und Attentätern bedroht. So wurden 1982 mindestens zwei 'Komplotte' entdeckt und mehrere Männer zu Schwerarbeit verurteilt, darunter Gaston Ramaroson, einer der Direktoren des Familienunternehmens SAVONNERIE TROPICALE. (Er wurde erst 1993 vom neuen Präsidenten Albert Zafy amnestiert.) Eine undurchsichtige Rolle begann der Staatssicherheitsdienst DGI (Direction Générale des Investigations) zu spielen, insbesonders unter der Führung von Christopher Raveloson-Mahasampo, des Schwagers von Ratsiraka. Raveloson wurde 1986 Verteidigungsminister. (Die Frau von Ratsiraka, Céline, und ihre Schwester Hortense Raveloson-Mahasampo spielten ebenfalls unlautere Rollen in Politik, AREMA und dem Holding PROCOOPS, einer Handelsgesellschaft, die von der AREMA und Ratsiraka praktisch als Privateigentum betrachtet wurde.)

Zudem gingen Parteien wie MONIMA, MFM und VONJY auf deutlichere Distanz zum Präsidenten, der - um Zeit zu gewinnen und wieder festeren Boden unter die Füsse zu erhalten - die Legislativwahlen um ein Jahr auf 1989 verschob. Noch rechtzeitig vor den Wahlen hob er die bislang autoritäre Pressezensur auf.

Die Wahlen von 1989 wurden von der nichtstaatlichen Organisation CNOE (comité national d'observation des élections) beobachtet. Die CNOE-Präsidentin Madeleine Ramaholimihaso erklärte, dass ein demokratisches Wahlsystem zwar existiere, jedoch nicht eingehalten werde.

Damals gewann Ratsiraka die Präsidentenwahlen zum dritten Mal für eine Amtsperiode von sieben Jahren. Er erhielt 62,71% der Stimmen gegenüber 19,32% für Manandafy Rakotonirina (MFM), 14,92% für Jérôme Morajoma Razanabahiny (VONJY) und 3,03% für Monja Jaona (MONIMA). 17,40% der Wähler blieben abstinent. Ratsiraka hatte die Stimmen vor allem in den ruralen Zonen erhalten, in den Städten, deren Wahllokale durch die CNOE kontrolliert wurden, erhielt er bloss 45%. Natürlich wurden gleich nach der Wahl Betrugsvorwürfe laut. Ebenso wie der Ratsiraka-treuen AREMA vorgeworfen wurde, unter Leitung von Hortense Raveloson-Mahasampo Terroreinheiten (brigades spéciales) ausschwärmen zu lassen, um den Wahlgängern Angst einzujagen.

Bei den Parlamentswahlen (Assemblée Nationale Populaire) im gleichen Jahr (1989) erhielt die Regierungspartei AREMA 120 der total 137 Sitze; MFM erhielt 7 Sitze, VONJI 4, AKFM-Renouveau 3; AKFM 2 und MONIMA 1 Sitz. In Antananarivo erhielt die AREMA bloss 30%, in anderen Städten 45 bis 60% der Stimmen. Die Absenz war gross: 25% landesweit und 35% in den Städten.

Die anschliessenden Lokalwahlen für die Fokontany, Firaisam-pokontany, Fivondronana und Faritany erlebten einen Absentismus von um die 50% im Landesdurchschnitt. Die Bevölkerung boykottierte die sie am direktesten betreffenden Wahlen: mit der Wahl von Ratsiraka und der Stimmenmehrheit für die linientreue AREMA sah die Hälfte der Wähler wohl die Würfel für die kommenden Jahre einmal mehr gefallen.

In diese Zeit der Wahlgänge fällt auch die Aufweichung der FNDR und die Aufsplittung der 'traditionellen' Parteien in mehrere Fraktionen: die MONIMA spaltete sich, ebenso wie die AKFM. Auch die AREMA kannte grosse innere Spannungen, die zu überbrücken dem Präsidenten und Parteivorsitzenden Ratsiraka kaum gelang. Insbesonders handelte er sich Kritik auch in den eigenen Reihen ein, als sein 'Guru' und Berater, Désiré Ramelison, 1990 mit seiner faschistischen Gruppe (sakelimihoajoro) an die Öffentlichkeit trat und von der AREMA als 'organisation spécialisée' anerkannt wurde.

Aus dem Restbestand der auseinandergebrochenen FNDR und noch immer um den AREMA-Kern herum formierte sich 1990 die MMSM (mandatehezano miaro ny sosialisma malagasy; mouvement des militants du socialisme Malagasy). Damit war die Ratsiraka-Partei nicht mehr die tonangebende allesumschlingende Politorganisation wie in der Zeit der FNDR, sondern im Zuge der Atomisierung der politischen Landschaft nur noch eine unter vielen - und von etlichen Seiten attackiert. Im Januar 1990 gab es nicht weniger als 32 Parteien im Land. Als Verteidigungsstrategie schlug Ratsiraka zwar eine Revision des Grundgesetzes vor, wollte aber mit Vertretern der Kirche (FFKM) nicht verhandeln. Durch diese immobile Haltung förderte er noch, was bereits gärte: die unzufriedenen Kräfte begannen sich im Pool der 'forces vives' zu organisieren. (Interessanterweise hatte sich im Ausland nie eine ernstzunehmende madagassische Opposition gebildet, obwohl etliche Gruppierungen zu verschiedenen Zeiten diese Rolle für sich beanspruchten.)

Das Realeinkommen zu Beginn der 90er Jahre betrug 25% weniger als jenes zehn Jahre zuvor, doch 1989 war das erste Jahr seit 1972, in dem die Bevölkerung - laut den Statistiken - nicht noch weiter verarmte.

Die Rezepte der Weltbank liessen zwar den Reisanbau ansteigen und die Exportausgaben reduzieren, doch die industrielle Produktion zeigte nicht die erhoffte Zunahme. Die Kaufkraft lag weiterhin unter einer tolerierbaren Schwelle.

Weite Teile der Bevölkerung waren ohne Hoffnung und machten sich keine Illusionen mehr: Madagaskar war zu einer Bananenrepublik degradiert, in der Korruption herrschte und Betrügereien an der Tagesordnung waren. Alle waren zu kaufen: Polizei und Zollagenten, Richter und Steuerbeamte, von Direktoren und Personalchefs bis hin zu den Lehrern, die Abiturzeugnisse vergeben. Die Politiker flogen - trotz ihrer Worte - wie Motten um die Macht und wurden durch die gekonnten Intrigespiele des Altmeisters Ratsiraka mit Posten und Positionen gekauft - oder ebenso schnell wieder entlassen. Einzig die Kirche stand als moralische Instanz unbefleckt über diesem unergründlichen Morast.

. .

Der Ethnologe Franz Stadelmann kam 1988 als Entwicklungshelfer nach Madagaskar. 1994 gründete er das madagassische Reisebüro PRIORI in Antananarivo. PRIORI organisiert Reisen mit mehr Hintergrund und tieferen Einblicken in die Licht und Schatten dieser Insel im Indischen Ozean. 'Sanftes Reisen' soll den BesucherInnen als auch den Besuchten gegenseitiges Verständnis erwecken. PRIORI engagiert sich auch sehr im sozialen und kulturellen Leben Madagaskars. PRIORI steht für Ihre Reisepläne gern zur Verfügung - auch in deutscher Sprache.

.
Wir nehmen Ihre Kommentare und weiterführenden Texte zu obigem Thema gern auf. Tragen Sie sich bitte in unser Gästebuch ein.
.
.
dieses Kapitel drucken

zurück zum Inhaltsverzeichnis

Madagaskar, das PRIORI-Buch

Franz Stadelmann

copyright PRIORI 2009

priori@moov.mg

.
.

PRIORI Antananarivo

.
.

PRIORI Antananarivo