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PRIORI, das Reisebüro für und in Madagaskar

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Madagaskar, das PRIORI-Buch

Franz Stadelmann

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Madagaskar: Symbiose zwischen Gestern und Heute

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Forstwirtschaft

Man nimmt an, dass die ganze Insel noch vor tausend Jahren - mehr oder weniger - von Wald bedeckt war - oder zumindest von Wald und dichter Buschsavanne. Doch die zunehmenden Bedürfnisse der Einwanderer nach Anbaufläche und Brennholz liessen die Rodungen immer grösser werden. Der Waldreichtum wurde auf kümmerliche Reste reduziert und schrumpft weiter.

Die Merina-Könige des 19. Jahrhunderts betrachteten General hazo (Wald) als invasionshemmenden Verbündeten. Im Jahre 1881 stellte ein Erlass (Code der 305 Artikel) den Wald unter den Schutz der Merina-Monarchie: er durfte unter Androhung von 10 Jahren Kettenhaft weder angezündet, noch abgeholzt werden. Die Köhler mussten sich an bestimmte Regeln halten und durften ihre Tätigkeit nur in genau definierten Gebieten ausüben. Schon damals waren sich die Merina der fortschreitenden Abholzung der Wälder bewusst. Noch Mitte des 18. Jahrhunderts berichtete der Reisende Mayeur, dass er in bewaldetem Gebiet von Antananarivo nach Antsirabe dahinschritt, heute sind auf dieser 150 Kilometer langen Strecke nur noch vereinzelte Bäume zu sehen. Die Knappheit an Holz war im 19. Jahrhundert dermassen gravierend, dass man auf den Märkten in der Hauptstadt Gras anstelle von Holz verkaufte. Die Leute von Imerina wurden auch spotthaft 'jene unter der Sonne' genannt, weil sie keinen schützenden Wald mehr über sich hatten.

Die madagassische Bevölkerungsexplosion des 20. Jahrhunderts unter gleichzeitiger Beibehaltung der archaischen Kochmethoden liessen die Waldbestände dramatisch schrumpfen.

Nach offiziellen Angaben ist heute höchstens ein Drittel (19,6 Mio. ha) der Fläche Madagaskars mit Wald bedeckt. Die FAO (UNO-Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation) gibt 26% (15 Mio. ha) an, andere Quellen sprechen von 9,9 Mio ha (17%) Wald, der sich aufteilt in 3,8 Mio. ha (6,5 %) primären Regenwald im Osten: 3,2 Mio. ha (5,5 %) Trockenwald im Westen und 2,9 ha (5 %) Dornenwald im Süden. Realistischer und wahrscheinlicher ist es, im Jahre 1990 nur noch von rund 10% Waldfläche (6 Mio ha) zu sprechen. Der Bestand hat seither weiter abgenommen, ohne dass aber genauere Zahlen vorliegen.

Strittig ist man sich insbesonders um die Grösse der Dichtwaldzonen im Osten. Der dichte 'Urwald' nimmt gemäss den offiziellen Angaben 10,3 Mio. ha ein, wovon sich 70% entlang der Ostküste befinden.

Generell können die heutigen Waldbestände in drei Typen unterteilt werden: der Regenwald entlang der Ostküste, der westliche und nordwestliche Halbtrockenwald und der südliche Dornentrockenwald.

Die ganze Ostflanke Madagaskars ist jedoch durchlöchert von Brandrodungsfeldern (tavy), auf denen sich später Bambus, Büsche und Ravenala breit machen - und kaum mehr ein intakter Waldbestand entstehen kann.

Zudem tragen die Holzköhler in allen Landesteilen zur massiven Waldzerstörung bei, ebenso wie der Bedarf an Bauholz und Exportholz. An sich sollte für jeden Holzschlag eine Bewilligung beantragt werden, diese Vorschrift wird jedoch kaum je respektiert. Zudem wird kein selektiver Holzeinschlag vorgenommen, sondern Parzelle um Parzelle umgehauen. Diese Aktivitäten geschehen, ohne dass die Holzfäller je zu einer Aufforstung beitragen.

Jedes Jahr verschwinden weitere 3% des Waldes, während die Bevölkerung um 3,2 % zunimmt. So fallen 200’000 ha Wald jährlich der Axt und dem Feuer zum Opfer.

Einer der Gründe für die massiv fortschreitende Waldzerstörung ist der Bedarf an Brennholz und Holzkohle der Bevölkerung. In früheren Jahrhunderten wurde der Kochtopf auf drei Kochsteine gestellt und darunter ein Feuer aus Holz oder Holzkohle entzündet. Diese Methode hat sich bis heute gehalten. Die Zubereitung der Nahrung geschieht mit dem fatampera: ein Metallring mit Luftfenster, in dem eine Handvoll Holzkohle zum Glühen gebracht und darauf der Kochtopf gestellt wird. Dieser Kochofen verbraucht jedoch - gemessen an der Kochleistung - übermässig viel Energie. Eine Familie verbraucht im Schnitt zwei Säcke Holzkohle (100 kg) pro Monat. 80% der Haushalte kochen mit Holzkohle, nur eine kleine städtische Bevölkerungsschicht kann sich das teure Kochen mit - importiertem - Gas oder mit Elektrizität leisten. Ein Entwicklungshilfeprojekt mit einer verbesserten Version des fatampera hatte wenig Erfolg, denn der mit einer Isolationsschicht aus Tonerde versehene und somit um 50% ökonomischere fatampera kostete das Doppelte bis dreifache eines handelsüblichen fatampera aus Abfallblech und war somit für einen grossen Teil der buchstäblich von der Hand in den Mund lebenden Bevölkerung unerschwinglich, obwohl sich der teurere Anschaffungspreis von 5 sFr. innerhalb von wenigen Wochen durch einen verminderten Verbrauch von Kohle amortisiert hätte.

So bringen tagtäglich und nach wie vor lange Karawanen von Ochsenwagen und etliche Lastwagen die Kohle in die Hauptstadt und helfen, die ruinöse Abholzung der Wälder voranzutreiben. Die ungeheuren Mengen des verkohlten Holzes haben zu einer drastischen Reduzierung des Waldbestandes geführt. Inzwischen werden auch die seitlich aus den abgeholzten Baumstrünken der Eukalyptus hervorschiessenden und erst armdicken Äste zur Herstellung von Holzkohle benutzt. Und die Holzfäller und Köhler müssen ihr Material immer weiter weg suchen: die Umgebung von Antananarivo ist nur noch mit 8% bewaldet.

Jedes Aufforstungsprogramm sieht sich in erster Linie mit dem Wunsch nach dem Anpflanzen von Eukalyptus konfrontiert: diese Baumart ist schnellwachsend und kann in kurzer Zeit geerntet werden: für Holzkohle. Oft aber verhindern Besitzverhältnisse die Aufforstung von Zonen. Die Bauern sehen sich nicht motiviert, für den fanjakana (Staat) die Aufforstungsarbeiten zu machen und eigene Landreserven für Aufforstungen haben sie oft nicht. Einen gewissen Erfolg hatte jenes Projekt, das in Zusammenarbeit mit dem Landwirtschaftsministerium vorsah, das aufgeforstete öffentliche Land nach drei Jahren den Bauern als Individualbesitz zu überschreiben. Die Bauern machten sich mit Elan an die Arbeit in der ihnen zugeteilten Parzelle, tausende von Dossiers zur Festschreibung der Besitztitel blieben jedoch in der Verwaltung unerledigt hängen.

Ein weiteres Phänomen trägt zur Degradierung von Waldbeständen bei: als politische Meinungsäusserung und Zeichen von Unzufriedenheit zündet die Landbevölkerung nicht nur trockene Weiden an, sondern auch Wälder. Zudem gelten Wälder als ideale Wohnstätten von bösen Geistern, die durch Abbrennung ihr Refugium verlieren. Ob dies nun eine heroisierende Legende aus der Kolonialzeit ist, eine Befreiung von den Zwängen der Tradition oder Akt zur Erlangung göttlicher Kraft: Tatsache bleibt, dass Madagaskar im Oktober von Nord nach Süd, von Ost nach West brennt. (Weidebrand und tavy haben womöglich verschiedene Ursprünge: während das die Methode des Buschfeuers wahrscheinlich aus Afrika stammt, haben wohl die indonesischen Einwanderer die Technik des Brandrodungsfeldbaus eingeführt.)

Das Ausmass an Abholzungen zur Herstellung von Holzkohle und die Schäden durch den Brandrodungsfeldbau (tavy) können nicht durch Aufforstungen (1987: 3000 ha mit über 6 Mio. Setzlingen) ausgeglichen werden.

Nicht nur, dass die Bevölkerung an Aufforstungsaktionen nur wenig Interesse zeigt, auch die Bereitstellung von Setzlingen ist nicht umfänglich gewährleistet. Das SNGF (Silo National des Graines Forestières) produziert seit 1986 – zeitweise unterstützt durch die Schweizer Entwicklungshilfe - rund 60 verschiedene Arten an Baumsaatgut, 1991 waren es 1300 kg. Für Aufforstungen werden meist die eingeführten Kiefern, Föhre  und Eukalyptus, aber auch Pappeln und Akazien verwendet, ebenso wie einheimische Arten. Allerdings werden heute homogene Aufforstungen mit nur einer Baumart vermieden, denn die monotonen Aufforstungsgebiete - beispielsweise mit Eukalyptus - haben zur Versauerung der Böden geführt. Zudem bieten reine Wirtschaftswälder die ökologische Vielfalt nicht mehr, die zur Erhaltung der Artenvielfalt von Flora und auch Fauna wünschenswert wären.

Auch die Armee (als Beschäftigungsprogramm) und Privatfirmen (zu Werbezwecken) unternehmen sporadische Aufforstungen, ebenso wie das Landwirtschaftsministerium. So bestehen grosse Aufforstungsregionen wie in Manankazo nördlich von Ankazobe oder in der Fanalamanga bei Moramanga. Die ersten Aufforstungen entstanden zu Beginn des Jahrhunderts mit - aus Australien stammenden - Eukalyptusschösslingen entlang der Eisenbahnlinie von Antananarivo nach Tamatave: damit sollte die Beheizung der Dampflokomotiven gesichert werden.

In den letzten Primärwäldern werden, trotz der geringen Ausbeute von 5 bis 30 m3/ha, auch Edelhölzer geschlagen, so beispielsweise Palisander, Ebenholz und Rosenholz. Diese Hölzer gehen grösstenteils in den Export oder werden zu einem kleineren Teil von der einheimischen Möbelindustrie in Moramanga und in Antananarivo verarbeitet. Erst ab Dezember 1992 wurde der Export von unbearbeitetem Palisander verboten. Holz bringt etwa 1% der madagassischen Exporterlöse. 1991 wurden 1209 Tonnen Rohholz exportiert, 1992 um die 4’000 Tonnen. Der illegale Export von Holz ist beträchtlich, in Zahlen aber kaum bekannt.

Madagaskar hat zwar auf 6100 Hektaren Reservate und geschützte Parks eingerichtet, doch die unterdotierten Hüter und ihre geringe Effizienz vermögen auch dort weder Flora noch Fauna zu schützen. So geraten auch die letzten Naturgebiete unter starken Druck - die einzige Rettung der oft sehr spezifischen Flora und Fauna dieser Lebensräume ist oft nur ihre Isolation weit weg von Strassen.

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Der Ethnologe Franz Stadelmann kam 1988 als Entwicklungshelfer nach Madagaskar. 1994 gründete er das madagassische Reisebüro PRIORI in Antananarivo. PRIORI organisiert Reisen mit mehr Hintergrund und tieferen Einblicken in die Licht und Schatten dieser Insel im Indischen Ozean. 'Sanftes Reisen' soll den BesucherInnen als auch den Besuchten gegenseitiges Verständnis erwecken. PRIORI engagiert sich auch sehr im sozialen und kulturellen Leben Madagaskars. PRIORI steht für Ihre Reisepläne gern zur Verfügung - auch in deutscher Sprache.

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