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PRIORI, das Reisebüro für und in Madagaskar

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Madagaskar, das PRIORI-Buch

Franz Stadelmann

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Madagaskar: Symbiose zwischen Gestern und Heute

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Tertiärer Sektor

Jeden Sonntag herrscht auf dem Place Colbert Hochbetrieb: die Zeitungen sind gekommen. Jungs mit dicken Packen unter dem Arm rennen von Gast zu Gast im Buffet du Jardin oder promenieren vor den Glasscheiben des Colbert auf und ab, halten Titel hin und Schlagzeilen.

Das Flugzeug aus Paris hat die neuesten Nachrichten mitgebracht. Nicht dass das ein zusätzlicher Service wäre. Nein. Die Jungs haben Kontakt zu jemandem, der Kontakt zur Putzequipe hat, die liegengelassene Presseerzeugnisse einsammelt: die Zeitschriften und Zeitungen gelangen schnell und effizient auf den Markt. Die Jungs sind meist nur Unteragenten eines Zeitungsbarons, der zehn oder zwanzig Boys mit Presseerzeugnissen versieht. Bei geschicktem Handeln und unwissender Kundschaft lässt sich daraus ein Leben machen, und die Expats in Antananarivo wissen diesen Service zu schätzen. Viele beziehen ihre Zeitungen am Sonntag im Abonnement - von den Zeitungsjungs.

Diese Art Jobs gehört zu den typischen Dienstleistungen des tertiären Sektors mit seinen weitverzweigten informellen Betätigungen wie Parkwächter und ambulanten Verkäufer aller Art.

Der tertiäre Sektor macht um die Hälfte des BSP aus. Strukturiert ist nur ein Teil davon. Der informelle Sektor dient als Auffangbecken für Arbeitslose und Unterbeschäftigte, für Nebenerwerbe und Zusatzverdienste. Doch er bietet kaum eine Möglichkeit einer Kapitalbildung, er kennt keine Investitionstätigkeit, keinen Arbeitsrechtsschutz, keine Versicherung: in diesem Sektor lebt man von der Hand in den Mund, von Tag zu Tag.

Der aufgeblasene tertiäre Sektor verdeckt die grassierende Unterbeschäftigung einer breiten Masse, ebenso wie er die grosse Arbeitslosigkeit übertüncht. Betroffen sind mehr Frauen als Männer und insbesonders die Altersgruppe von 17 bis 30 Jahren. Auch die vom Lande zugewanderten Leute finden sich zum Grossteil ohne regelmässige Arbeit.

Der strukturierte Teil des tertiären Sektors umfasst die Staatsverwaltung, die Banken und Versicherungen, die Transportunternehmen und die Verteilorganisationen.

Das Unternehmen PROCOOPS war während der Zweiten Republik quasi die exklusive Handelskette der AREMA und des Ratsiraka-Clans. Sechs Grossverteiler (COROI, ROSO, SICE, SOMACODIS, SINPA, SOGEDIS), alle im Besitz des Staates, hatten im Prinzip das Handelsmonopol, allerdings wurde dieses Privileg in den letzten Jahren gelockert und zum Teil auch durch Konkurrenzunternehmen allmählich durchlöchert.

Die Banken wurden 1975 verstaatlicht. Es entstanden die BNI (Industriebank), die Handelsbank BFV und die BTM für die rurale Entwicklung. Sie wurden 1989 in Aktiengesellschaften umgewandelt. Die BNI kam zum Beispiel unter die Fittiche der französischen Crédit Lyonnais.

1989 nahm die BMOI (Banque Malgache pour l'Océan Indien) ihren Betrieb auf, sie war durch ein neues Bankengesetz vom April 1988 im Zuge der Liberalisierung ermöglicht worden. Beteiligt sind die Banque Nationale de Paris (48%), die deutsche Dresdner Bank (26%), die belgische Banque Bruxelles Lambert (1%) und privates madagassisches Kapital (25%). Zu Beginn des Jahres 1993 öffnete eine fünfte Bank ihre Pforten: die UCB (Union Commercial Bank), die von der Mauricius Commercial Bank als zu 80% wichtigstem Träger gestützt wird und zu 10% von der südafrikanischen Standard Bank. 10% stammt aus nationalen Quellen.

Die im Umlauf befindliche Geldmenge wird von der Banque Centrale kontrolliert. So waren 1992 knapp 20 Mio. 10’000er Banknoten im Umlauf und um die 10 Mio. 5000er Noten, gegenüber 36 Mio. 100 FMG-Stücke und 32 Mio. 50 FMG-Stücke. Ab November 1992 kamen neue Stückelungen in den Umlauf: 25 und 250 FMG-Hartgeldstücke, 2500er und 25'000er Banknoten.

In Madagaskar werden gleichzeitig zwei Währungsbezeichnungen benutzt: einerseits der FMG (franc malagasy) und ariary, wobei fünf ariary einen FMG ergeben. Insbesonders die Landbevölkerung rechnet mit ariary und weit weniger mit FMG.

Eine Reihe von Versicherungen sind aktiv, die drei wichtigsten sind ARO, NY HAVANA und MAMA. Im Rahmen der Liberalisierung wurdne die quasi-staatlichen vErsicherungen in den letzten Jahren aufgeweicht.

Die Staatsverwaltung ist an sich an Beamten unterdotiert, dies trifft nicht nur auf die Administration zu sondern auch auf die Sicherheitskräfte: Es gibt bloss 3625 Polizisten in ganz Madagaskar.

Angesichts der Landesfläche ist Madagaskar eigentlich unteradministriert. Doch das in den 1970er Jahren eingeführte Modell der Dezentralisierung der Verantwortungen bei gleichzeitiger Beibehaltung der Zentralkontrolle hat in den Folgejahren zu erheblichen Irritationen geführt, wer denn nun verantwortlich sei für Strassen und Infrastrukturen.

Madagaskar ist seit 1973 nach dem System der Fokonolona verwaltet. Die dezentralisierten Kollektive (collectivités décentralisées) haben Entscheidungsgewalt für lokale Angelegenheiten entsprechend dem Dekret vom 27. Dezember 1976, welches die collectivité décentralisée definierte, als ’une portion du territoire national dans laquelle l'ensemble de ses habitants électeurs de nationalité malgache dirige l'activité locale en vue du développement économique, social, culturel et édilitaire’.

Es existieren vier Niveaus der collectivités décentralisées: Fokontany (11433), Firaisana (Firaisam-pokontany) (1253), Fivondronana (Fivondronam-pokontany) (110) und Faritany (6).

Das Fokontany ist als kleinste kommunale Verwaltungseinheit die Basisstruktur und beinhaltet in der Regel ein bis drei Weiler - oder ein Stadtquartier - und kann für sein Funktionieren Steuern erheben.

Als übergeordnete kommunale Verwaltungseinheit gruppiert das Firaisana 5 bis 10 Fokontany. (Firaisana entspricht etwa dem Bürgermeisteramt.) Die assemblée des Firaisana setzt sich aus der Gesamtheit der comités exécutifs der Fokontany zusammen.

Das Fivondronana gruppiert 5 bis 10 Fokontany. Die assemblée des Fivondronana setzt sich aus den comités exécutifs der Firaisana zusammen. Das Fivondronana spielt die Rolle der ehemaligen sous-préfectures und entspricht etwa dem bundesdeutschen Landkreis. Auf diesem Niveau haben die technischen Ministerien Personal stationiert, das mit der lokalen Administration zusammenarbeitet.

Die Fivondronana sind ihrerseits in Faritany (Provinzen) gruppiert. Die sechs Provinzen spiegeln noch immer ziemlich genau die koloniale Aufteilung Madagaskars wieder. Allerdings kommt immer wieder eine Neuaufteilung der administrativen Regionen ins Gespräch. So fühlt sich beispielsweise Maintirano kaum zur Provinz Mahajanga zugehörig.

Die Staatsausgaben von 1989, 90 und 91, wovon 30% ausländische Geschenke und 40% ausländische Kredite waren, sahen knapp 30% für den ruralen Sektor inklusive Landwirtschaft vor, rund 20% für Industrie, Minen, Energie und Wasser, etwas über 30% für Transport und Telekommunikation, rund 12% für den sozialen Bereich, 2% für den Handel und Tourismus und rund 4% für die Verteidigung und die generelle Verwaltung.

Ein grosses Problem der staatlichen Verwaltung bilden die Phantombeamten: laut einer Zählung von 1990 waren nur 60,4% der Staatsstellen effektiv legal und reglemententsprechend von Beamten besetzt. 35’000 Posten wurden bezahlt und der Lohn einkassiert, waren aber nicht besetzt. Die Salärsumme beträgt 28 Milliarden FMG pro Monat für die Beamten und Angestellten des Staates.

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Der Ethnologe Franz Stadelmann kam 1988 als Entwicklungshelfer nach Madagaskar. 1994 gründete er das madagassische Reisebüro PRIORI in Antananarivo. PRIORI organisiert Reisen mit mehr Hintergrund und tieferen Einblicken in die Licht und Schatten dieser Insel im Indischen Ozean. 'Sanftes Reisen' soll den BesucherInnen als auch den Besuchten gegenseitiges Verständnis erwecken. PRIORI engagiert sich auch sehr im sozialen und kulturellen Leben Madagaskars. PRIORI steht für Ihre Reisepläne gern zur Verfügung - auch in deutscher Sprache.

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Madagaskar, das PRIORI-Buch

Franz Stadelmann

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