Tourismus
'Soava
dia' (gute Reise) wünschen die Madagassen einem Reisenden.
Die
österreichische Weltenreisende Ida Pfeiffer war um die
Mitte des 19. Jahrhunderts wohl die erste 'Touristin'
Madagaskars: sie kam 1857 ohne offiziellen Auftrag einer fremden
Macht oder eines Missionsunternehmens ins Land. Solche Besucher
blieben auch in den kommenden Jahrzehnten selten, denn
Madagaskar haftete weiterhin der Ruf einer Pest- und Fieberinsel
an, die Ostküste galt noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein
als 'das Grab des weissen Mannes'. Im deutschen Sprachraum wurde
dieses Bild einer Pestinsel ab den 1930er Jahren nachhaltig
durch das bekannte Volkslied von Just Scheu 'Wir lagen vor
Madagaskar und hatten die Pest an Bord' zementiert.
Wohl
entwickelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg und mit dem
aufkommenden Flugverkehr ein bescheidener Tourismus, der oft
verbunden wurde mit privaten Forschungsinteressen. Während
der Ersten Republik stellten die Besucher aus Südafrika ein
nicht kleines Kontingent. Die Zweite Republik schottete das Land
quasi hermetisch ab. Erst ab 1980 wurden die Einreiseformalitäten
etwas gelockert, doch nur abenteuerliche Besucher wagten sich
ins Land: die Infrastruktur war miserabel, die Versorgungslage
ebenso. Doch schon 1984 kamen 12’000 Touristen, 1989 waren es
39’000, die Madagaskar ein Einkommen von 22 Mio. US-$
brachten. 1990 waren es 52’000 Touristen und im Krisenjahr
1991 immerhin noch 33’000 Besucher, die 20 Millionen Dollar
ins Land brachten.
Der
aufblühende Tourismus stellte zu Beginn der 1990er Jahre
bereits die dritte Devisenquelle nach Kaffee und Vanille dar.
Der
Interimsminister Mamy Rajaobelina sagte im September 1992 anlässlich
einer Tourismusseminars in Mahajanga, dass dem Tourismus eine
Rolle als Motor zur Stimulation von Entwicklung und Wirtschaft
zukomme. Für 1995 sagte er 75’000 Touristen und einem
Einkommen von 43 Millionen Dollar voraus. (Damit hatte er die früheren
Ziele (100’000 Touristen für 1995) bereits drastisch nach
unten geschraubt.) Doch das schlechte Image Madagaskars seit
Mitte der siebziger Jahre, die schwierigen internen
Kommunikations- und Transportmöglichkeiten bremsen die
Tourismusindustrie nach wie vor. So bewegt sich der grösste
Teil der Touristen in Gruppen auf erprobten Rundfahrten und
unter Anleitung von Reiseleitern, ebenso wie der Badeurlaub
zumeist auf der touristisch am besten erschlossenen Insel Nosy
Be gemacht wird. Viele landschaftlich reizvolle Gegenden sind
mangels geeigneten Unterkünften und Restaurants für einen
breiteren Tourismus unerschlossen. Der Individualtourismus mit
Rucksack und Abenteuerlust lockt eine zunehmende Anzahl
Reisender an. Sie sind gewillt, in engen Taxi-Brousse zu fahren,
in simplen Unterkünften zu schlafen und sich nach
Landesgewohnheit in den kleinen hotely zu verköstigen.
Allerdings stossen sie oft an Informationsprobleme über Sehenswürdigkeiten
in der Umgebung und mögliche Reiserouten, abgesehen von
unzuverlässigen Transportmöglichkeiten. Diese Art
Reisen bringt unersetzliche Erlebnisse mit sich, darf aber unter
keinem Zeitstress stehen.
Die
Touristen stammen vor allem aus Frankreich, Deutschland,
Italien, Schweiz und Grossbritannien. Die Hauptmotive eines
Madagaskar-Besuches sind die einzigartige Flora und die
aussergewöhnliche Fauna der Insel. Laut einer italienischen
Studie kommen rund 1500 Italiener jedes Jahr ins Land, 70% davon
besucht Nosy Be und 30% geht in den Süden. Daher ist die Insel
Nosy Be so gut wie fest in italienischer Hand – und unter dem
Regime der Mokafo (Stechfliegen).
1989
waren 111 Hotels registriert, wobei fünf von internationalem
Standard. Hilton bietet 165 Zimmer. Total standen 2112 Zimmer
zur Verfügung, wobei sich 40% davon in Antananarivo befanden,
20% in Diégo-Suarez und 14% in Tulear. (Damit sind auch die
Zentren des internationalen Tourismus in Madagaskar bestimmt:
Nosy Be (Provinz Diégo-Suarez), Fort-Dauphin (Provinz Tulear)
und Antananarivo als Ankunftsort und Durchgangsstation.) Diese
Aktivitäten in Hotellerie und Restauration haben zur
Schaffung von ein paar tausend Arbeitsplätzen geführt, zu
denen sich noch Arbeitsstellen im Transportbereich und in der
Souvenirherstellung gesellen. Allerdings sind die
Negativauswirkungen ebenfalls bedeutend: Prostitution,
Verbreitung von AIDS, Diebstahl und erhöhte
Lebenshaltungskosten für die Einheimischen in touristischen
Zentren wie beispielsweise Nosy Be.
Ebenso
kann ein erhöhter Tourismus zu einer Überbelastung von
Flora und Fauna führen, wie auch die Gefahr eines Schmuggels
von seltenen Tieren und Pflanzen besteht.
Im
Zuge des vermehrten Zuflusses an Touristen entstanden ein Reihe
von lokalen Reiseunternehmen und Projekte zur Errichtung von
Hotels (unter anderem von PULLMAN-SAVANA und von BEACHCOMBER aus
Mauritius und von der südafrikanischen SUN-Hotelkette.) Diese
Hotel-Projekte kamen allerdings in der Folge der Ereignisse von
1991 ins Stocken.
Die
Reisebüros, so viele sie an der Zahl sein mögen, bestehen
oft nur aus einem Handy und einem geschwätzigen Gesprächspartner.
Trotzdem haben sich ein paar seriöse Reiseunternehmen
etabliert, die den BesucherInnen Land und Leute näher
bringen möchten. Auch sie haben natürlich noch immer mit
unzuverlässigen Faktoren zu kämpfen, so beispielsweise
die Fahrpläne der Eisenbahn. Aber auch politische Faktoren
spielen immer mal wieder eine Rolle. Der quasi-Stillstand des
Landes in den ersten sechs Monaten des Jahres 2002 hat zur
Schliessung zahlreicher Reisebüros geführt, zu einem
dramatischen Einsturz der Besucherzahlen und zu hunderten von
Angestellten in Restaurants und Hotels, die ’chômage
technique’ (technische Arbeitslosigkeit) machten, wie das in
so Fällen in Madagaskar ausgedrückt wird.
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