Moslem
Der
König von Portugal, Manuel I, der Glückliche informierte
1507 Papst Jules II von der erfolgten Entdeckung Madagaskars. In
diesem Schreiben vom 15. September 1507 wird erwähnt, dass
die Insel eine Länge von einer Million Schritte habe und
von Sarrazins (Moslem) bewohnt sei.
Die
Geschichte des Islam in Madagaskar ist eng verknüpft mit jener
der sehr raschen Ausbreitung des Islam im westlichen und nördlichen
Indischen Ozean und hat auch eine direkte Beziehung mit Handel
und Seefahrt, denn zwischen 640 und 1500 waren die Moslem die
dominante Seemacht zwischen Basra und den Komoren, zwischen
Malindi und Malabar.
Drei
Strömungen islamischer Einflussnahme in Madagaskar sind
auszumachen: die swahilisch-arabischen Händler an der
Nordwestküste, die Volkseinwanderungen an der Ostküste und die
indischen Immigrationen im 19. Jahrhundert.
Während
die Nachfahren der swahilisch-arabischen Händler von der
madagassischen Lebensart aufgesogen wurden, haben sich die
Volkseinwanderungen zu akzeptierten Gruppen entwickelt. Die
indischen Einwanderer hingegen sind als Karana ein Fremdelement
geblieben.
Die
ersten moslemischen Bewohner der Nordküsten Madagaskars waren
Kaufleute und Seefahrer (Antalaotra), die befestigte Handelsstützpunkte
anlegten. In diesen städtischen Siedlungen wurden auch
Moscheen gebaut, doch die auf das Meer hin orientierten
Umschlagplätze hatten kaum eine breitere Ausstrahlung ins
Hinterland. Als Seehandelskontore betrachteten sie die Leute des
Hinterlandes nur als Zulieferer und Käufer. Zudem waren die
Antalaotra als Händler und nicht als Missionare gekommen.
Die Portugiesen zerstörten diese Handelskonkurrenten schon
im 16. Jahrhundert. Die heutigen Nachfahren dieser Händler
haben durch Mischheiraten ihren swahilisch-arabischen Glauben
und Lebenswandel stark verloren, allerdings gebrauchen sie auch
heute noch viele Wörter swahilisch-arabischen Ursprungs,
auch wenn inzwischen madagassisch ihre Muttersprache geworden
ist. Allerdings wurde swahili bis vor kurzer Zeit noch als tägliche
Umgangssprache im kleinen Ort Marodokana auf Nosy Be benutzt. (Übrigens
betrachtet sich dieses unscheinbare Dorf in der althergebrachten
Tradition der Handelsniederlassungen noch heute als Stadt mit
einer urbanen Schriftkultur gegenüber dem 'brousse' der
Umgebung. Dort findet sich auch eine alte Siedlung mit Friedhof,
inzwischen allerdings völlig von Bäumen und Büschen
überwachsen.)
Mehrere
moslemische Einwanderungen erfolgten ab dem 10. Jahrhundert an
der Ostküste, woraus die heute noch existierenden Ethnien der
Antaimoro, Antaisaka und andere hervorgingen. Die Antaimoro
brachten auch die Kunst des Lesens und Schreibens mit, wobei sie
sich des arabischen Alphabets bedienten. Die erhaltenen
Schriftstücke (Sorabe) gehen mindestens bis ins 16. Jahrhundert
zurück.
Diese
Völker verstehen sich heute als Madagassen und stellen den
Grossteil der madagassischen Moslem, die in Mahajanga, im Norden
der Insel und an der Südostküste in der Region von Manakara
leben. Sie haben allerdings in den langen Jahrhunderten mehr
oder weniger konstanter Isolation einen Teil der sunnitischen
islamischen Rituale verloren (wie das fünfmalige Beten am Tag),
andere Elemente wurden verwässert (wie das Schächten
von Tieren) oder uminterpretiert (wie das Rezitieren von
Koransprüchen).
Diese
Völker haben ihren Glauben kaum auf ihre Nachbarn übertragen,
übten allerdings in Kultur (Staatsorganisation) und
Wissenschaft (Astrologie, Magie) einen erheblichen Einfluss aus.
Selten
kam es zu einer Massenbekehrung eines Volkes zum Islam. Doch die
Antankarana im Norden bekannten sich Mitte des 19. Jahrhunderts
kollektiv zum Islam in Erfüllung eines Versprechens ihres
Herrschers Tsimiaro. Zur Durchsetzung seines Willens stand
Tsimiaro auch ein moslemischer 'Coopérant' aus Zansibar zur
Seite. Allerdings war diese Massenbekehrung langfristig nur von
geringer Nachhaltigkeit.
Im
Gegensatz dazu finden sich die im letzten Jahrhundert
eingewanderten Moslem, die zumeist aus Gujarat nördlich von
Bombay (Indien) stammen und dorthin noch weiterhin Beziehungen
unterhalten. Etliche Familien haben ihre Ursprungssprache (Gujarati)
beibehalten. Die grösste Gruppe ist unter dem Namen Surti
bekannt, entsprechend der Stadt Surat in Gujarat. Die ersten
indischen Einwanderer vor 150 Jahren waren zu 90% Moslem und nur
zu 10% Hindu (in Madagaskar Baniany genannt). (Sie kamen vor der
Teilung Indiens und Pakistans, heute wären sie indische Bürger,
fühlen sich aber eher dem moslemischen Pakistan zugehörig.)
In
Madagaskar werden die Indo-Pakistaner pauschal Karana genannt.
Dieses Wort stammt aus dem swahili und bezeichnet einen
Schreiber und Sekretär auf einem Handelsschiff. Für diesen
Aufgabenkreis wurden früher tatsächlich oft moslemische
Inder angeheuert.
Trotzdem
gibt es erhebliche Unterschiede unter den Karana. Die
sunnitischen Inder sind oft wenig begüterte Händler und
grenzen sich weniger von den Madagassen ab als die schiitischen
Inder, die allerdings weitaus in der Mehrheit sind.
Die
schiitischen Karana unterteilen sich aufgrund von verschiedenen
Interpretationen des Islam in drei Gruppen: Khoja, Bohra und
Aga-Khanisten (Ismaeliten). Die Khoja stehen der islamischen
Glaubensrichtung des Iran nahe und finden sich insbesonders in
Tulear und Morondava, wo sie als Ausdruck ihres Glaubens auch
Selbstgeisselungen vornehmen.
Diese
verschiedenen Glaubensinterpretationen stehen sich allerdings
kaum freundschaftlich gegenüber und heiraten meist nur
innerhalb ihrer Gruppe, wobei die Bohra dies am striktesten
einhalten. Die Karana versuchen kaum zu missionieren, ausser den
beiden schiitischen Stationen in Morondava und in Tulear.
Traditionellerweise
beschäftigten sich die Karana im Handel mit Stoffen und
Schmuck. Einzelne Familien treten als Grossisten auf und haben
Aktivitäten im Import und Export. Andere führen einen
breitgefächerten Detailhandel. Viele Bereiche, so der
Handel mit Stoffen, Ersatzteilen und Eisenwaren finden sich fast
durchwegs in indischen Händen. An der Westküste kommt noch
der Handel mit Landwirtschaftsprodukten dazu, in Antananarivo
und Antsirabe Tätigkeiten in der Industrie. Auch im
Transportbereich sind die Inder tätig. Anders als etwa in
Uganda haben sich die Inder in Madagaskar nie für die
Landwirtschaft interessiert.
Obwohl
sich die Familien bereits seit mehreren Generationen in
Madagaskar aufhalten, nehmen sie kaum je an den kulturellen und
gesellschaftlichen Aktivitäten der Madagassen teil. Zudem
sind sie als Händler und Kaufleute in vielen Fällen
begütert und stellen ihren Reichtum bei entsprechenden
Gelegenheiten gern zur Schau, was ihnen unter den Madagassen
keinen guten Ruf eingetragen hat. Andererseits haben es einzelne
Familienclans verstanden, sich mit der Ratsiraka-Clique der 2.
Republik glänzend zu arrangieren.
Die
indische Gemeinde in Madagaskar beträgt rund 15’000
Personen. Trotz dieser geringen Zahl üben sie einen dominanten
Einfluss im Wirtschaftsleben aus: zwischen 10 und 20% des PIB
werden von Betrieben erwirtschaftet, die indischer Kontrolle
unterliegen.
Die
Karana haben den Ruf, durch Massenaufkäufe und Hortung
einen künstlichen Mangel an Produkten (z.B. Zement, Treibstoff,
Autoreifen, Reis) zu erzeugen, um dann die Produkte teurer und
gewinnbringend abzusetzen.
In
jedem grösseren Dorf entlang der ganzen Westküste, von Diégo-Suarez
über Tulear bis hin nach Fort-Dauphin, findet sich der
'Inderladen' mit seinem ganzen Sortiment an buchstäblich
allem, was verkaufbar ist - und was Geld bringt. Dazu agieren
sie oft als Geldverleiher und Kreditbüro. Aber auch als Wohltäter
in islamischer Tradition, vor deren Tür sich die Bettler jeden
Freitag stellen und sicher sein können, ein paar Münzen zu
erhalten. Seltsamerweise nehmen an der Ostküste die Chinesen
diese Rolle ein. Dort finden sich so gut wie keine Inder. Die
Chinesen hingegen haben sich gänzlich in die madagassische
Gesellschaft integriert und werden nicht als ein Fremdelement
betrachtet.
Investitionen
an Gebäuden und Verkaufsräumen werden von den Karana
kaum gemacht, unter anderem auch, weil ihnen die Gebäude
oft nicht gehören, da sie als 'Ausländer' keinen
Grundbesitz haben dürfen. Viele Karana haben französische,
britische oder indische, aber kaum pakistanische Pässe. Nur
wenige haben die madagassische Staatsangehörigkeit
angenommen, obwohl etliche im Land geboren und aufgewachsen
sind. Nicht wenige der Karana sind staatenlos.
Bei
weitem nicht alle Inder sind so reich, wie die Madagassen oft
glauben. Doch alle Karana, reiche wie arme, sind nie ganz sicher
vor einem plötzlich aufflammenden Volkszorn, der sich
zuallererst immer gegen die Karana richtet. So wurden 1987
indische Geschäfte geplündert und niedergebrannt, vor
allem in Tulear, Morondava und in Antsirabe. Es kam aber kaum zu
persönlichen Tätlichkeiten gegenüber den Karana.
Die
grösste ausländische, moslemische Gemeinde stellen
jedoch die rund 25’000 sunnitischen Komorer, die vor allem in
Mahajanga leben. Sie kamen vor allem im Zuge der französischen
Kolonisation, als die Komoreninseln als Anhängsel von
Madagaskar aus verwaltet wurden. Die Komorer ernähren sich
zumeist von geringen Jobs und leben oft in sehr bescheidenen
Verhältnissen. Viele suchen sich als Nachtwächter oder
Taxifahrer zu verdingen. 1976 kam es zu Aufständen und
Massakern gegen die Komorer in Mahajanga, unter anderem auch
daher, weil die Madagassen fürchteten, die Komorer könnten
langsam einen sozialen Aufstieg nehmen. Die 1000 Tote von
Mahajanga, die Plünderungen und Brandstiftungen von 1976
veranlassten um die 16’000 Komorer, das Land zu verlassen.
Daneben
leben die Nachkommen von Moslem aus Dschibuti, Jemen und
Somalia, die mit den Franzosen ins Land gekommen waren, als ein
Arbeitskräftemangel herrschte. So stammen etliche der
Jemeniten und Araber von Diégo-Suarez von Hafenarbeitern ab,
die im französischen Militärhafen arbeiteten und heute
als Transportunternehmer, Hotelbesitzer und Händler ihr
Einkommen finden.
Die
genaue Anzahl der Moslem ist nicht bekannt, sie dürfte aber um
100’000 liegen, wobei die madagassischen Moslem eingerechnet
sind.
In
allen grösseren Städten finden sich Moscheen, im
Norden auch in grösseren Dörfern. Jede dieser
moslemischen Glaubensrichtung hat auch in der Hauptstadt
Antananarivo eine starke Gemeinde mit Moscheen und Koranschulen.
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