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PRIORI, das Reisebüro für und in Madagaskar

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Madagaskar, das PRIORI-Buch

Franz Stadelmann

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Madagaskar: Symbiose zwischen Gestern und Heute

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FARITANY TAMATAVE: Kaffee und Pfeffer

Die Provinz Tamatave streckt sich entlang der Ostküste auf einer Länge von 650 Kilometern von Norden nach Süden. Sie beherbergt zwei Millionen Einwohner, erwirtschaftet einen wesentlichen Teil der Exportprodukte und stellt auch den Haupthafen Madagaskars. Reis ist eines der Hauptprodukte der Provinz, aber ebenso sehr Litchis und Kaffee, Nelken und Pfeffer. Daher finden sich im Provinzwappen nebst einem Schiffssegel auch zwei Pfefferpflanzen.

Die viertgrösste Provinz Madagaskars stellt eine ökologische Einheit dar, die wenig Variationen bezüglich Klima und Relief aufweist. Ebenso ist sie eine ethnologische Einheit, denn die Betsimisaraka stellen den Grossteil der Bevölkerung, dazu kommen die Sihanaka und Bezanozano in der Region des Lac Alaotra. Trotzdem war und ist diese Provinz auch ein Immigrationsgebiet für Zuwanderer aus dem Hochland (Merina und Betsileo) und in geringerem Mass für Leute aus dem Süden Madagaskars, die sich jedoch zum Teil nur vorübergehend als landwirtschaftliche Saisoniers aufhalten.

Das Klima ist das ganze Jahr über heiss und feucht mit sehr hoher Luftfeuchtigkeit. Die Bewohner unterscheiden zwei Jahreszeiten: während der einen regnet es und in der zweiten regnet es mehr. In Tamatave fällt während 248 Tagen Regen (3420 mm) mit einer Spitze im März (513 mm) und einem Tiefpunkt im Oktober (89 mm). Die täglichen Niederschläge wirken sich auf den erodierten Feldern der Hügel verheerend aus: sie schwemmen den Humus weg und laugen den Boden aus. Die Küste unterliegt das ganze Jahr über den Einflüssen der Südostwinde und liegt im direkten Einfallsgebiet der Zyklone, die Unmengen von Regen bringen, so im Jahre 1949, als in Tamatave während 24 Stunden 441 mm fielen. Die Wucht der Winde und ihre Regenfluten versanden die Reisfelder, zerstören die Dämme und Bewässerungskanäle, ebenso wie Schulen, Strassen und Brücken. Zyklone wie Honorine (1986) oder Caldera (1989) und insbesonders Cynthis (1994) bleiben jahrzehntelang in den Gedächtnissen der Bewohner.

Der fruchtbare Küstenstreifen von 10 bis 20 Kilometern Breite ist nur mit flachen Hügeln von 50 m Höhe durchsetzt und weist eine hohe Bevölkerungsdichte (50 Pers/ km2) und eine intensive landwirtschaftliche Aktivität auf.

Die Küstenzone wird gegen Westen hin abgelöst von 300 bis 700 m hohen Hügeln mit unzähligen kleinen Tälern und degradierten Wäldern. Diese savannenartige savoka-Landschaft ist dünn besiedelt (5 - 20 Pers/ km2) und wird nur in beschränktem Mass landwirtschaftlich genutzt. Die Bauern pflanzen Bergreis durch Brandrodungsfeldbau (tavy), der verheerende Auswirkungen auf den Waldbestand und auf die Qualität des Bodens hat. 42% (137’000 ha) der Reisfelder der Provinz sind mit tavy besetzt. Abgesehen davon wirft er mit 800 kg Reis pro Hektare nur eine geringe Produktion ab.

Die savoka geht in eine mit weniger als 5 Pers/ km2 kaum bewohnte Waldzone über, deren Hügel von meist 800 bis 900 m Höhe, zuweilen auch bis zu 1200 m Höhe, aufweisen. Dahinter schliesst sich ein dicht besiedeltes Senkgebiet an, das sich in Nordsüd-Richtung als Riftvalley hinzieht und insbesonders im Talkessel um den Lac Alaotra sehr fruchtbar ist. Dieses Hinterland von Tamatave bildet eine Transitzone für Viehtrails aus dem Hochland und aus der Provinz Mahajanga auf dem Weg an die Ostküste. Die Talsenke um den Lac Alaotra ist - oder war es jedenfalls - die Reiskammer für die Stadt Antananarivo.

Das grösste Problem der 71’911 km2 grossen Provinz stellt die ungenügende Kommunikation dar. Viele Enklaven sind während der Mehrheit des Jahres gänzlich von der Aussenwelt abgeschnitten, andere sind nur durch tagelange Fussmärsche zu erreichen.

Die Provinz leidet unter den schlechten Verkehrsverbindungen. Die Strasse der Küste entlang nach Norden ist unterbrochen: Maroantsetra ist per Auto nicht mehr erreichbar. Ebenso der Süden der Provinz. Die schon prekäre Strassensituation degradiert laufend infolge der völlig ungenügenden - beziehungsweise abwesenden - Unterhaltsarbeiten. Dies stellt die sehr auf landwirtschaftlichen Export orientierte Provinz vor grosse Probleme, aber auch die Produzenten, die immer wieder ihre Produkte verrotten sehen oder der Willkür der wenigen Händler ausgeliefert sind.

Die weitaus grösste Siedlung ist die Provinzhauptstadt Tamatave mit 164’000 Einwohnern, gefolgt von Ambatondrazaka mit 52’000 Bewohnern.

Weitere Orte wie Fénérive-Est (28’000 Einwohner) oder Maroantsetra (16’000 Einwohner) sind kleine Landstädte ohne grosse Ausstrahlung. Auf Ste. Marie leben 16’000 Einwohner auf einer Oberfläche von 210 km2, womit sich mit 75 Pers/ km2 die grösste Bevölkerungsdichte der Provinz ausserhalb der Städte ergibt.

Die Provinz Tamatave bildet nach jener von Antananarivo am meisten Arbeitsplätze ausserhalb der Landwirtschaft. Trotzdem haben diese Aktivitäten das grosse Problem der Arbeitslosigkeit nicht lösen können. Unterbeschäftigung bleibt auch ein gravierendes Problem in den ruralen Gegenden, obwohl die Leute sehr mobil sind und sich Suche nach neuen Anbauflächen oder Arbeit weithin deplazieren.

Handel und Hafen, der Anbau von Reis und Exportprodukten bilden die Hauptaktivitäten der Provinz. Dazu kommt ein aufstrebender Tourismus. Entlang der touristisch interessanten Ostküste, auch Palisanderküste genannt, hat der Fremdenverkehr jedoch nur gerade in St. Marie (auch Nosy Boraha genannt) und in der Region von Foulpointe (heute in Mahavelona umgetauft) Fuss gefasst.

Trotz dieser Vielseitigkeit bleibt die Landwirtschaft die Basis der Bewohner. Allerdings wird nur die Hälfte (220’000 ha) der total 420’000 ha  Landwirtschaftsfläche für den Reisanbau genutzt und wirft 507’800 Tonnen Reis (1989) ab. 31% des madagassischen Kaffees wird in dieser Provinz angepflanzt und fast die Gesamternte an Nelken des Landes.

Ungeachtet der grossen landwirtschaftlichen Aktivität bleibt der Produktionsertrag gering. Der Kaffee wirft nur 400 kg pro ha ab bei einer Potenz von 800 kg/ha. Gründe dazu sind die kleinen Parzellen der Familienbetriebe (0,45 ha pro Besitzer) und die überalterten Bestände. Doch die Produktionskosten des Kaffees liegen nur leicht unter dem Verkaufspreis, sodass es für den Produzenten kaum mehr motivierend ist, in dieses Produkt zu investieren. So werden die Kaffeesträucher oft umgehackt und an ihrer Stelle Reis gepflanzt.

Pfeffer und Vanille werden zwar auch angebaut, doch im Vergleich zur Gesamtproduktion Madagaskars nehmen diese Produkte nur einen geringen Stellenwert ein. Hingegen liefert die Provinz rund die Hälfte der Nelken Madagaskars. Zuckerrohr wird in der Provinz auf 7000 ha gepflanzt, 87% davon in Brickaville, wo sich auch eine Rumdistillerie befindet. Am Unterlauf des Flusses Ivondro südlich von Tamatave steht auf 1160 ha eine Ölpalmenplantage, die von der SOMAPALM bewirtschaftet wird. Die 1975 geschaffene Staatsfirma beschäftigt 300 permanente Arbeiter und 700 Saisoniers. Sie verarbeitet die Palmölnüsse der eigenen Plantage und - importierte - Sojabohnen zu Öl. 2000 Tonnen Speiseöl werden pro Jahr hergestellt, dies entspricht einem Viertel der nationalen Produktion.

Die Provinz ist ein wichtiger Produzent von Früchten aller Art. Sie liefert 60% der Bananen Madagaskars und 74% der Litchis. Der Export der Litschis bringt einen substantiellen Beitrag am Exporterlös.

Insbesonders das am Fluss Rianila gelegene Städtchen Brickaville (12’000 Einwohner) gilt als Früchtekorb der Provinz. Zitrusfrüchte und Ananas werden gepflanzt, ebenso Bananen und vor allem Litschis. Mit 1300 ha Bananenhainen nimmt die Region um Brickaville eine dominierende Stelle ein, ebenso wie dort auf 1380 ha auch 51% der Litchis der Provinz wachsen. Die Bananen und Litchis werden mehrheitlich auf kleinen Parzellen von Familienbetrieben angepflanzt. Mangels Pflege der Bestände ergeben sich nur mittelmässige Erträge. Der Markt befindet sich zu einem grossen Teil auf dem Hochland mit den Städten Antananarivo und Antsirabe, ein Teil der Litschis wird exportiert. Seltsamerweise jedoch wird kaum Gemüse angepflanzt: die Bauern empfinden dies als eine Erniedrigung. 90% des Gemüses, das in Tamatave zum Verkauf kommt, stammt aus dem Hochland.

Ein typischer Familienbetrieb von 5 bis 6 Personen in der Küstenzone hat 2,15 ha zur Verfügung. Darauf pflanzt er rund zur Hälfte Reis und kann mit dem Ertrag von 1442 kg eine sechsköpfige Familie mit Reis versorgen, dies entspricht 30% des Einkommens. Dazu kommt der in tavy angepflanzte Maniok mit 13% des Einkommens. Ein Drittel der Fläche wird mit Nelken und Kaffee bepflanzt, was einen Viertel des Einkommens abwirft. Früchte und Zuckerrohr bringen weitere 32% des Einkommens. Dabei ist zu berücksichtigen, dass 36% der Produktion der Selbstversorgung dienen: dreiviertel der Reisernte und die Hälfte des Maniokertrags werden selber verbraucht, Kaffee, Nelken, Früchte und Zuckerrohr werden fast vollständig verkauft.

Die Provinz Tamatave ist kein Viehgebiet und kennt das Problem der Viehdiebe (dahalo) kaum. Auf die rund zwei Millionen Bewohner der Provinz fallen bloss eine halbe Million Rinder. (Der Landesdurchschnitt beträgt ein Zebu pro Person.) Wohl gibt es Rinder, die für das Weichtrampeln der Reisfelder (bei Nassreisanbau) benutzt werden und der Viehbesitz hat durchaus einen Prestigewert: Vieh wird fast nur während Festen und in Zeremonien geschlachtet. Für viele Dörfer ist der Verzehr von Rindfleisch nur bei speziellen Festlichkeiten möglich. Doch der wirtschaftliche Wert des Viehs ist gering, eine Aufzucht von Jungtieren findet sich nur spärlich. Der Nachschub an Rindern wird vom Hochland auf der Strasse nach Tamatave eingefahren oder gelangt in Viehtrieb vom Nordwesten an die Küste.

Schweine unterliegen in vielen Dörfern einem fady. Ihre Verbreitung ist gering, einzig die seit Generationen in der Region ansässigen Chinesen halten sich Schweine. Auf Ste. Marie hingegen findet sich eine grössere Anzahl Schweine, die an die Touristenhotels verkauft werden. Doch jede Familie hält sich ein paar Hühner, manchmal auch Gänse und Enten.

Der Fischfang hat für viele Familien eine gewisse Bedeutung, sowohl in den Lagunen des relativ flachen Küstengebietes, als auch in den vielen Flüssen und Bächen. Meeresfischerei spielt, vor allem für den Eigenkonsum, eine wichtige Rolle für die Küstenbewohner. Auf Ste. Marie fängt ein Fischer im Durchschnitt 164 kg Fisch pro Jahr. Nur ein Unternehmen (REFRIGEPECHE-EST) betreibt einen kommerziellen Fischfang mit zwei Schleppnetzschiffen. Die Wiedereröffnung des Pangalana-Kanals (1990) hatte auch negative Auswirkungen: etliche der bestehenden Wasserverbindungen mit dem Meer wurden geschlossen, somit können einzelne Meerestiere einen notwendigen Teil ihres Lebenszyklus nicht mehr im Meer verbringen und sterben aus. 

Die Provinzhauptstadt Tamatave hat regionale und nationale Bedeutung. Tamatave ist vor allem Hafenstadt, dort transitieren über 70% des maritimen Aussenhandels Madagaskars. Tamatave ist auch Handelsstadt für Import und Export, beherbergt eine Universität mit 3500 Studenten. Insbesonders die Universität ist mit den Handelsaktivitäten der Stadt verbunden: dort werden Wirtschaft und Management gelehrt.

Die aktive Handelsstadt Tamatave hat Leute aus allen Landesteilen angelockt. Die Einwanderer leben vorzugsweise in eigenen Quartieren: die Merina in den Stadtteilen Ambodimanga, Tanambao und Anjoma, die aus Südmadagaskar stammenden Leute in Morarano. Die weitflächige Stadt kennt ein gravierendes Wohnungsproblem. Ein traditionelles Haus (falafa) von fünf auf drei Metern ohne Elektrizität, Wasser und sanitärische Einrichtungen wird oft von einer ganzen Familie bewohnt und muss zu horrenden Preisen gemietet werden. In Tamatave funktionieren nur 40 der 71 öffentlichen Wasserstellen, die Stadt hat 16 öffentliche Plätze zum Waschen von Kleidern. Mehr als 60% der Bevölkerung bezieht ihr Wasser aus Brunnen, die salzhaltig sind und von Fäkaliengruben verunreinigt sind. Die Stadt leidet unter Überschwemmungen, ganze Quartiere haben keine Kanalisation und wenn, dann sind sie verstopft. Das stagnierende Wasser führt zu vielen hygienischen Problemen, zur Verbreitung von Ratten und Mosquitos, und dies wirkt sich an der ohnehin schon malariaverseuchten Ostküste gravierend aus.

Tamatave verfügt über rund ein dutzend Unternehmen des industriellen Bereichs und bietet rund 2000 Arbeitsplätze. Die Industrien kamen durchwegs vor 1978 in Betrieb und arbeiten daher mit veralteten Maschinen. Durchschnittlich sind sie bloss zu 30% ausgelastet.

Von nationaler Bedeutung ist die einzige Raffinerie Madagaskars. Diese Anlage des damaligen Monopolunternehmens SOLIMA erfuhr in den 1980er Jahren keine Produktionssteigerung - ein Indikator für den Fahrzeugpark des Landes. Ein Teil der raffinierten Produkte wird exportiert. Die SOLIMA bietet in Tamatave rund 300 Arbeitsplätze. Im Zuge der Liberalisierung verlor die SOLIMA ihre Stellung, nun haben sich auch andere Treibstofffirmen etabliert.

STAR unterhält eine Brauerei in Tamatave. SOMALAVAL stellt Farben und Lacke her. Die auf eine Produktion von 13’000 Tonnen Blech ausgelegte Fabrik MACOMA produziert 2000 Tonnen pro Jahr und deckt damit die Hälfte des nationalen Bedarfs. SMEM fertigt Metallbehälter an, ELGE stellt Karton her.

Die Bauarbeiten für die Düngerfabrik ZEREN wurden 1975 begonnen und 1986 beendet. Sie sollte 90’000 Tonnen pro Jahr herstellen und 165 Arbeitsplätze schaffen, wobei sich der inländische Bedarf bloss auf 20’000 Tonnen beläuft. Dieser weisse Elefant, zu 60% in direktem Staatsbesitz, zu 25% über Staatsfirmen und zu 25% von der amerikanischen Unternehmen N-Ren finanziert, hat bislang nur eine Unmenge Kosten verursacht: die Fabrik wurde bislang nicht in Betrieb genommen. Sie ist nach dem - fremdfinanzierten - Staudamm von Andakaleka mit 70 Mio. US-$ die grösste Investition des madagassischen Staates.

Die Schaffung einer Zollfreizone, die der Staat zu Beginn der 1990er Jahre mit einer ostasiatischen Investorengruppe (FAR EAST GROUP) in Angriff nahm, sollte innerhalb von 15 Jahren 78’000 Arbeitsplätze schaffen. Die bisherigen Ergebnisse lassen jedoch weit weniger Optimismus zu. Trotzdem haben sich ein paar Unternehmen in diesem am Binnenhafen des Pangalanes befindlichen Industrieparks angesiedelt.

Die Stadt Tamatave erfährt seine nationale Bedeutung in erster Linie durch den Hafen. Das expandierende Königreich der Merina machte Tamatave zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu seinem Tor zur Aussenwelt. Diese Ausrichtung auf das Meer und auf das Hochland macht Tamatave zu einem Zentrum von vitaler Bedeutung. Der Hafen kontrolliert 72% des maritimen Umschlages Madagaskars von 1,8 Mio. Tonnen. Der Rest wird von 16 weiteren Häfen geteilt, wobei ihr ohnehin geringer Anteil jedes Jahr weiter sinkt.

Doch Tamatave ist eigentlich nur ein riesiger Umschlagplatz: 55% aller Importe Madagaskars transitieren Tamatave, mehr als 80% aller Exporte ebenfalls. Die Treibstoffimporte geschehen nur über Tamatave. Daher wird Tamatave auch die Lunge Madagaskars genannt.

Tamatave ist mit einer gut ausgebauten Strasse (RN 2) und über eine Eisenbahnlinie mit der Hauptstadt verbunden und ist der Lieferant für die Hauptstadt: rund 50% des ausgehenden Frachtverkehrs geht ins Hochland.

Auch für die exportorientierte Provinz dient Tamatave als Lagerhaus. In der Stadt finden sich auch Banken und die administrativen Ämter, die höheren Schulen und das Provinzspital.

Ein gewaltiges Reiszentrum erstreckt sich in Region um den Lac Alaotra. Die fruchtbaren Böden liegen in einem Senkgebiet im Windschatten der Ostwinde und erhalten in den meisten Jahren genügend Niederschläge für landwirtschaftlichen Anbau. Doch mit rund 130’000 ha bearbeitetem Land werden nur 19% der nutzbaren Fläche von 700’000 ha tatsächlich bebaut.

Von diesen 130’000 ha wird auf 110’000 ha Reis angebaut, dies entspricht rund 10% der gesamten Reisflächen Madagaskars und 33% der Reisflächen der Provinz Tamatave.

Die Reisernte beläuft sich auf 200’000 bis 250’000 Tonnen pro Jahr, die Ernte steht in direkter Relation zu den Niederschlägen.

Während Erträge von 6 bis 7 Tonnen pro Hektare möglich wären, ist die Produktion auch in dieser ausgesprochenen Reisregion mit 2,2 t/ha gering, liegt jedoch höher als der Durchschnitt der Provinz mit 1,69 t/ha.

Trotz des fast ausschliesslichen Anpflanzens von Reis, werden nicht die Hälfte der Reisfelder mit der Methode der Repiquiage und auch nicht in Linie angepflanzt, obwohl dies wesentlich mehr Ertrag abwerfen würde: Anziehbeete und nachträgliches Umpflanzen (Repiquage) bringen 2,5 bis 3,5 t/ha Ertrag, während eine Direktaussaat nur 1,5 bis 2 t/ha einträgt.

Zudem ist auch hier das Problem des Landbesitzes vorhanden, nur 52% der Bauern sind die Besitzer ihrer Reisfelder. Die Pächter müssen bis zur Hälfte der Ernte an den Landbesitzer abgeben. Zudem liegt der Verkaufspreis nur knapp über dem Produktionspreis, was sich für den Bauern nicht stimulierend auswirkt.

60% des Reises wird direkt ausgesät, auch weil das Repiquieren viel Arbeitsaufwand und zusätzliche Arbeitskräfte verlangt. Diese Hilfskräfte zu bezahlen, liegt ausserhalb der Möglichkeiten vieler Bauern. Jene, die Zugang zu Landwirtschaftskrediten haben, verwenden über 70% davon für die Bezahlung von zusätzlichen Arbeitskräften. Der Reisanbau beschäftigt zwar um die 20’000 Saisoniers aus den Provinzen Antananarivo und Fianarantsoa, doch in den Spitzenzeiten herrscht ein Arbeitskräftemangel: die Hilfskräfte kommen nur unwillig, weil die Region um den Lac Alaotra malariaverseucht ist.

Die Region war früher die Kornkammer für die Städte Antananarivo und Tamatave, in den letzten Jahren wurden allerdings nur rund 100’000 Tonnen aus dieser Region ausgeführt. Doch die 5% der madagassischen Bevölkerung, die diese Region bewohnt, erwirtschaftet immerhin 11% der nationalen Reisernte. Der Export von Reis aus dieser Gegend entspricht dem Bedarf von 4% der Gesamtbevölkerung Madagaskars oder 41% der Bevölkerung der Stadt Antananarivo.

Die Mehrheit (60%) der Reisernte bleibt jedoch in der Region und wird selbst konsumiert. Pro Kopf stehen in der Region Lac Alaotra 407 kg Paddy pro Jahr zur Verfügung gegenüber einem theoretischen Bedarf von 241 kg/Jahr. Ein Familienbetrieb hat im Durchschnitt 2 Hektaren Grösse. In der unmittelbaren Umgebung des Lac Alaotra können es auch 3 bis 4 Hektaren sein.

Nebst Reis werden nur zu einem sehr minimen Teil noch Maniok (50’000 Tonnen) und Mais (14’500 Tonnen) gepflanzt, kaum Früchte, Bohnen und Zuckerrohr.

Nach der Reisernte von Mai bis Juni kann auf den brachliegenden Reisfeldern Weizen in Gegensaison gepflanzt werden. Der Anbau von Weizen verbessert die Finanzlage der Bauern erheblich, denn die Ernte wird vollständig von der in Antsirabe tätigen KOBAMA gekauft, die ihren jährlichen Bedarf von 60’000 Tonnen noch längst nicht auf dem Binnenmarkt decken kann. So sind inzwischen Weizenfelder in der Region um den Lac Alaotra keine Seltenheit mehr.

Die hügelige Region um den See und insbesonders nördlich davon hat auch einen grossen Bestand an Vieh. Die Zebu werden zu einem grossen Teil als Zugtiere für die Reisfelder des Lac Alaotra verkauft. Oft kaufen die Reisbauern kurz vor der Pflanzsaison zwei bis sechs Zugtiere, nutzen sie wenige Wochen auf den Reisfeldern für die Vorbereitung der Felder und verkaufen dann die geschwächten und abgemagerten Tiere an die Bauern des Hochlandes.

Die Region um den Lac Alaotra ist nicht nur Produktionsgebiet von Rindern, sondern ebenso ein Durchgangsgebiet für Rinder aus der nördlichen Provinz Mahajanga. Der Markt von Miarinarivo nördlich des Sees, per Fahrzeug kaum zugänglich, ist der drittwichtigste Rindermarkt Madagaskars. Die dort gekauften Tiere werden nach Moramanga gebracht oder auch durch Dschungelpisten direkt an die Ostküste getrieben. Das Phänomen der Viehdiebe (dahalo) hat sich bereits in den isolierten Viehgebieten westlich und nördlich des Lac Alaotra bemerkbar gemacht. Dies nicht nur in den Aufzuchtgebieten von Amparafaravola und Andilamena, sondern auch auf den Viehpfaden in der Waldzone zwischen dem Seengebiet und der Ostküste.

Schweine werden in der Region Lac Alaotra gehalten, ebenso wie Hühner. Die Region ist auch bekannt für ihre Gänse, die an Weihnachten und Silvester auf die Märkte von Antananarivo und Tamatave gebracht werden.

Der Lac Alaotra ist mit seinen 20’000 Hektaren der grösste See Madagaskars. Das ohnehin seichte Gewässer versandet allmählich durch eingeschwemmte Sedimente. Der See wird von den Anwohnern intensiv befischt. Die autochthonen Fische (Marakely, Dama, Kotso) sind von den eingeführten Sorten (Aal, Black-Bass, Karpfen, Tilapia, Fibata) verdrängt worden. Insbesonders der Raubfisch Fibata hat zu einer Dezimierung anderer Fischarten geführt und das ökologische Gleichgewicht erheblich gestört. Auch die unter Wasser stehenden Reisfelder werden befischt und werfen bis zu 150 kg Fisch pro Hektare ab.

In der Region des Lac Alaotra arbeiten nebst Reisschälunternehmen keine Industriebetriebe. Einzig das halbstaatliche Unternehmen MAFI produziert mit 100 Angestellten Pflüge, deren Absatz jedoch mangels Kaufkraft der Bauern bei rund 300 Stück pro Jahr stockt.

Der in Brieville (Provinz Mahajanga) abgebaute Chrom wird per Lastwagen nach Morarano zur Eisenbahn gebracht und macht 68% des Eisenbahnverkehrs der Stichlinie vom Lac Alaotra nach Moramanga aus. (Reis hat einen Anteil von 11%).

In Moramanga, verkehrsgünstig gelegen, gibt es eine Seifenfabrik (COREMA), eine Sägerei (SIB) und eine Stärkefabrik (SORIFEMA). Die mit internationalen Geldern finanzierte Papierfabrik in Mangaro (westlich von Moramanga) wurde nie realisiert. (Sie sollte so gut wie die ganze Produktion von 270’000 t/Jahr Papiermasse exportieren.) Die seit 1969 im Hinblick auf diese Fabrik aufgeforsteten 70’000 Hektaren Kiefern der Fanalamanga werden nun zu Kohlen verarbeitet - oft illegal. Zurück bleiben abgeholzte Berghänge und ein riesiger Schuldenberg an nutzlosen Investitionen. (Das Unternehmen FANALAMANGA produziert allerdings Bauholz und Möbel.)

Die Molkerei TIKO von Manjakandriana hat zu einer Verkaufstätigkeit von Milch in der Region Moramanga geführt, obwohl die Zeburinder nur 1,5 bis 2,5 Liter Milch pro Tag liefern. Die Hauptfabrik der TIKO ist in Antsirabe.

In Andasibe wird Graphit von zwei Unternehmen abgebaut, die Ausbeute von 1500 Tonnen pro Jahr macht rund 10% der nationalen Produktion aus und wird per Bahn nach Tamatave transportiert.

Ein weiteres Unternehmen arbeitet in der Region von Brickaville. Die Ausbeute der drei Graphit-Unternehmen von jährlich rund 14’000 Tonnen wird vollständig exportiert. Rund 500 Personen sind beschäftigt, dazu kommen noch weitere 500 Saisoniers.

Das Klima der Küstenzone nördlich von Tamatave ist heiss mit hoher Luftfeuchtigkeit. Die Niederschläge sind hoch, 3680 mm pro Jahr in Maroantsetra mit einer Spitze im März und einem Tiefpunkt im Oktober. Der tief in der Bucht von Antongil gelegene Ort Maroantsetra erhält landesweit am meisten Niederschläge. Die Zone zwischen Tamatave und Maroantsetra liegt in der unmittelbaren Einfallachse der von Osten heranrasenden jährlichen Zyklone. Meistens bewegen sich die Wirbelwinde nach dem Landkontakt der Küste entlang nach Norden und sind immer von schweren Niederschlägen begleitet.

Vom Meer her wehen stets feuchte Winde. Diese konstanten Luftbewegungen haben im Windschatten von Ste. Marie zur Bildung der 17 Kilometer ins Meer hinausragenden Pointe à Larrée geführt.

Dieser feuchte Landstrich ist an der Küste bevölkerungsreich, im steilen und bewaldeten Hinterland leben kaum Leute. Die Täler sind durch Flüsse tief eingeschnitten, einige der Flüsse haben bis zu 100 Meter hohe Wasserfälle.

Die Region um Maroantsetra mit der Halbinsel Masoala weist die dichtesten Waldbestände Madagaskars auf. Diese Wälder sind nur sehr schwach besiedelt, trotzdem aber durch tavy gefährdet, weil die Bauern auf steter Landsuche immer weiter in den Primärwald vordringen. Rund 30% des Kulturlandes der Zone werden mit tavy bebaut. Nach ein paar wenigen Pflanzperioden wächst nur noch savoka-Buschlandschaft mit dem Charakterbaum Ravenala oder als weitere Degradation gedeiht nur noch eine Steppengraslandschaft (bozaka).

In den küstennahen Gebieten von Tamatave nach Norden bis Maroantsetra werden Reis und vor allem Exportprodukte angebaut: 6700 Tonnen Kaffee, 4000 Tonnen Nelken, 1400 Tonnen Vanille und 400 Tonnen Pfeffer entstammen dieser Region. Ein kleiner Teil der Kaffeeernte wird für den Selbstkonsum zurückbehalten, während die gesamte Ernte an Nelken und Vanille verkauft wird.

Im fruchtbaren Reisgebiet um Maroantsetra werden aus 26’000 ha Reisfeldern 56’700 Tonnen Reis geerntet und liefern 52% des Familieneinkommens. Nur Maroantsetra schafft es, einen Überschuss an Reis zu produzieren, die anderen Gegenden der Zone, insbesonders Mananara-Nord und Ste. Marie, sind stark defizitär.

Auf rund der Hälfte des Kulturlandes der Zone werden Exportprodukte angebaut mit einem Schwerpunkt in der Region um Mananara-Nord.

Kaffee nimmt mit 20’000 ha einen wichtigen Platz ein, angebaut wird er von kleinen Familienbetrieben mit 0,42 ha (gleich 500 Pflanzen) pro Betrieb.

Wichtiger jedoch sind die Nelkenpflanzungen, die mit 52’540 ha rund 86%  der Pflanzungen der Provinz und rund 65% von ganz Madagaskar ausmachen. Produktionsmässig liefert die Zone mit 3210 Tonnen 48% der Nelken Madagaskars. Ein Schwerpunkt des Nelkenanbaus befindet sich in der Region von Mananara-Nord. Dort allein stehen rund ein Drittel aller madagassischen Nelkenpflanzungen. Diese Konzentration hat auch historische Gründe. 1820 wurden die ersten Nelken in Ste. Marie eingeführt. Ab 1900 dann auch auf der Ostküste gegenüber Ste. Marie. Ein typischer Familienbetrieb bearbeitet eine Hektare Nelken (100 Bäume). 70% der Einkommen eines normalen Bauern von Mananara-Nord stammen vom Nelkenverkauf. Eine Ausdehnung dieser Kultur ist in den letzten Jahren nicht mehr zu beobachten. Ein Teil der Nelkenernte wird zu Öl destilliert: eine Hektare ergibt 60 Liter Nelkenöl.

In dieser Zone mit einer starken Konzentration um Mananara-Nord, als einziger der Provinz Tamatave, wächst auf 4430 ha auch Vanille. Produziert wurden 1989 1400 Tonnen (18% der madagassischen Produktion).

Von geringer Bedeutung ist der Anbau von Pfeffer (165 ha; 63 Tonnen in 1989), Kokospalmen (1290 ha) und Zuckerrohr (3660 ha). Zuckerrohr wird meist zu selbstgebranntem Rum (betsabetsa) verarbeitet.

Wichtig jedoch sind die 8’000 ha Fruchtbäume der Region nördlich von Tamatave bis nach Maroantsetra. In der Umgebung von Fénérive-Est stehen auf 1080 ha 71% der Litschi-Bäume der Provinz. Sie liefern mit 12’730 Tonnen die Hälfte der Litchis der Provinz oder rund einen Drittel der 35’000 Tonnen Gesamtproduktion Madagaskars.

Ebenso wie aus dieser Region 70’000 Tonnen Bananen (von 217’000 Tonnen Gesamtproduktion in Madagaskar) stammen, wobei die Bananenhaine von 5200 ha 45% der Bananenbestände der Provinz ausmachen.

Rinderzucht spielt nur eine marginale Rolle in dieser regenreichen Küstenzone. In der Region um Maroantsetra trifft man allerdings noch immer auf die Nachkommen der Friesenkühe, die in den 1960er Jahren eingeführt wurden. Rindfleisch wird fast nur an Festtagen gegessen.

In Maroantsetra wird Quarz durch das Unternehmen PREXMIN ausgebeutet. Die rund 200 beschäftigten Personen fördern um die 500 Tonnen Quarz, Halbedelsteine und Ziersteine. Der Verkauf von Quarz bildet auch für die rurale Bevölkerung eine Möglichkeit eines zusätzlichen, wenn auch nur gelegentlichen Einkommens.

Die Region südlich von Brickaville und Moramanga mit den kleinen Städten Vatomandry (8000 Einwohner), Mahanoro (4400 Einwohner) und Marolambo liegt vergessen abseits aller Routen. Die teilweise von den Sowjets erbaute RN 11a als Piste nach Vatomandry und Mahanoro und der neueröffnete Kanal von Pangalana durchziehen diese Region in Meeresnähe. Doch die dahinter liegenden Täler leben als Enklaven mit nur sehr spärlicher Kommunikation mit der Aussenwelt. Das Walddorf Anosibe An'Ala, 71 km südlich von Moramanga, ist nur durch eine abenteuerliche und stundenlange Morastpistenfahrt zu erreichen.

Der Küstenstreifen ist dichter bevölkert als das Hinterland. So gut wie alle Leute leben von der Landwirtschaft und der Fischerei. Die humide und regenreiche Region wird ebenfalls oft von Zyklonen heimgesucht.

In Vatomandry findet sich ein von Chinesen unterhaltenes Spital, das die einzige akzeptable medizinische Versorgung für die über 400’000 Leute der Region bietet. Die Gesundheitsposten und Schulen der Region befinden sich in einem desolaten Zustand oder sind geschlossen.

98% der Bauern praktizieren tavy, die Folgen der ökologisch bedenklichen Brandrodung sind bereits alarmierend. Wichtig ist diese Region durch ihre Kaffeeproduktion. 14% des madagassischen Kaffees wird dort geerntet. Zu 80% vorherrschend ist die Sorte kouilou, robusta nur zu 20% Die Ernte wird zum Grossteil von chinesischen Mischlingen aufgekauft, zum Teil auch gegen Industrieprodukte wie Kleider und Haushaltwaren getauscht.

Graphite und Quarz, Beryll und Turmaline werden in Kleinbetrieben abgebaut, vor allem in der Region um Vatomandry. Als Handwerk findet das Flechten von Korbwaren und Kleidern aus Raphiaphasern eine gewisse Bedeutung. In dieser regenreichen Region tragen die Männer Raphiahemden (akanjo) und die Frauen aus Raphia geflochtene Blusen (sembo).

In der Nähe von Mahanoro findet sich eine Konservenfabrik (CODAL), die Litchis, Ananas und grünen Pfeffer in Büchsen packt.

Auf kleiner Basis, jedoch sehr verbreitet, ist die Fabrikation von betsabetsa (Rum), der auch ausserhalb der Zone verkauft wird. In tagelangen Trecks tragen die Männer den betsabetsa in kleinen Platikcontainern auf das Hochland in die Region von Antsirabe und sind dort als Alkohollieferanten gern gesehene Gäste.

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Der Ethnologe Franz Stadelmann kam 1988 als Entwicklungshelfer nach Madagaskar. 1994 gründete er das madagassische Reisebüro PRIORI in Antananarivo. PRIORI organisiert Reisen mit mehr Hintergrund und tieferen Einblicken in die Licht und Schatten dieser Insel im Indischen Ozean. 'Sanftes Reisen' soll den BesucherInnen als auch den Besuchten gegenseitiges Verständnis erwecken. PRIORI engagiert sich auch sehr im sozialen und kulturellen Leben Madagaskars. PRIORI steht für Ihre Reisepläne gern zur Verfügung - auch in deutscher Sprache.

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Madagaskar, das PRIORI-Buch

Franz Stadelmann

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