Die Behandlung des Übergewichts

 

 

 

 

Das Übergewicht ist auf Grund seiner Verbreitung und seiner zahlreichen Folgeerkrankungen längst zu einem der wichtigsten Gesundheitsprobleme unserer Zeit geworden. Mit einem mehrgleisigen, langfristig angelegten Therapiekonzept lässt sich oftmals eine zumindest moderate Gewichtsreduktion erreichen, die zu einer Besserung der Begleitstörungen führt.

 

Die Adipositas zählt zu den am stärksten unterschätzten Gesundheitsproblemen. Dabei ist längst unbestreitbar, dass es sich um eine chronische Erkrankung handelt, die zu akuten und chronischen Komplikationen führen kann. Die Adipositas ist der wichtigste Risikofaktor für volkswirtschaftliche teure Krankheiten wie Diabetes mellitus Typ II, Hypertonie und degenerative Gelenkerkrankungen. Nach Schätzungen sind etwa 60 Prozent der Kosten für die Behandlung des Diabetes mellitus eigentlich der Adipositas anzulasten.

 

Um so erstaunlicher ist es, dass die Adipositas als eigenständiges Krankheitsbild in der klinischen Medizin kaum Beachtung findet. Eigene Auswertungen von Krankenkassendaten haben gezeigt, dass die Diagnose Übergewicht im Gegensatz zu anderen Krankheiten nur selten auf Abrechnungsunterlagen erscheint. Viele Ärzte betrachten die Behandlung der Adipositas als mühsam, frustrierend und langfristig erfolglos. Zudem fehlen infolge von Ausbildungsdefiziten die erforderlichen Kenntnisse über die Behandlungsmöglichkeiten der Adipositas und ihrer gesundheitlichen Konsequenzen.

 

 

Wann ist eine Behandlung angezeigt?

 

Die Deutsche Adipositas-Gesellschaft hat kürzlich Richtlinien für die medizinische Behandlung der Adipositas formuliert. Als behandlungsbedürftig gilt danach jede Person mit einem Body-Mass-Index (BMI) von 30 kg/m2 oder höher (siehe Kasten). Mässiges Übergewicht (BMI 25,0 bis 29,9 kg/m2) ist vor allem dann behandlungsbedürftig, wenn entweder übergewichtsbedingte Gesundheitsstörungen wie Diabetes oder Hypertonie vorliegen, wenn eine stammbetonte Verteilung der Fettdepots besteht oder wenn ein erheblicher psychosozialer Leidensdruck angegeben wird.

Der Erfolg jeder Adipositastherapie hängt von einer sorgfältigen Therapieplanung ab. Dem Patienten muss daher von vornherein klargemacht werden, dass es sich um eine ernstzunehmende, chronische Gesundheitsstörung handelt, die nur durch eine langfristige bzw. dauerhafte Änderung der Lebensweise erfolgreich behandelt werden kann. Als günstige Voraussetzungen für den Therapieerfolg gelten stabile soziale Verhältnisse mit Unterstützung durch die unmittelbare Umgebung. Wichtig für die Akzeptanz einer Therapie sind ein flexibles, individuelles Behandlungskonzept, die Mitgestaltung der Therapie durch den Patienten und der langfristige Kontakt mit dem Therapeuten. Auch an den Therapeuten werden somit hohe Anforderungen gestellt.

Da die meisten Übergewichtigen überzogene Erwartungen in die Behandlung setzen, ist es wichtig, von vornherein realistische Behandlungsziele festzulegen. Bei einem BMI zwischen 25,0 und 29,9 kg/m2 sollte zunächst eine Reduzierung des Körpergewichts um 5 Prozent angestrebt werden, bei einem BMI zwischen 30 und 40 kg/m2 eine Reduktion um 10 Prozent. Eine Gewichtssenkung in dieser Grössenordnung führt bereits zu einer eindrucksvollen Besserung von übergewichtsbedingten Beschwerden.

 

Die verschiedenen Ernährungstherapien

 

Heute gibt es eine Vielzahl von Ernährungskonzepten, die zur Behandlung der Adipositas empfohlen werden. Viele dieser Programme und die meisten Diäten wurden nie wissenschaftlich evaluiert. Daher ist wichtig, insbesondere von «Crash-Diäten» abzuraten. Diese sind bestenfalls kurzzeitig wirksam, führen praktisch immer zur raschen Gewichtszunahme mit schlimmen psychologischen Folgen für den Patienten und sind nicht selten gesundheitlich bedenklich.

Im wesentlichen können zwei Konzepte unterschieden werden: die sehr niedrigkalorischen Therapieformen und die mässig kaloriereduzierten Ernährungstherapien. In die erste Gruppe gehören alle Ernährungsempfehlungen mit einer täglichen Kalorienaufnahme unter 1000 kcal. Bei dieser drastisch begrenzten Kalorienzufuhr ist eine rasche Gewichtsabnahme von 200 bis 400 Gramm pro Tag möglich, allerdings kann eine solche Ernährung nur 2 bis maximal 12 Wochen beibehalten werden. Grund dafür ist, dass keine ausreichende Nährstoffversorgung möglich ist und bei längerem Gebrauch Mangelerscheinungen zu befürchten sind. Hinzu kommt, dass Nebenwirkungen wie Schwindel, Haarausfall, Nervosität nicht selten sind und ernstere Komplikationen wie Herzrhythmusstörungen und Nierenversagen bei unzureichender Flüssigkeitszufuhr nicht auszuschliessen sind.

Wegen der knappen Kalorienzufuhr ist besonders sorgfältig auf eine optimale Nährstoffzusammensetzung zu achten. Der Minimalbedarf lässt sich am zuverlässigsten durch sogenannte Formula-Diäten sichern. Formula-Diäten sind einfach anzuwenden, haben aber den Nachteil, dass jeglicher Lerneffekt fehlt und es nach Beendigung ohne weitere Betreuung immer zu einer raschen Gewichtszunahme kommt. Formula-Diäten können daher lediglich den ersten Schritt in einer langfristigen Behandlungsstrategie darstellen und müssen in ein mehrgleisiges Konzept eingebunden sein. Sie erfordern wegen ihrer Risiken eine sorgfältige Indikationsstellung und eine kontinuierliche Überwachung durch den Arzt.

Medizinisch sicherer und sinnvoller ist die Verordnung einer mässig kalorienreduzierten Mischkost. Die tägliche Kalorienzufuhr wird individuell festgelegt und liegt zwischen 1000 und 2000 kcal. Der zu erwartende Gewichtsverlust liegt in einer Grössenordnung von 0,5 bis 1 Kilogramm pro Woche. Nebenwirkungen sind sehr selten.

Eine in letzter Zeit populär gewordene Sonderform ist die fettarme Kost mit einem «Ad libitum»-Verzehr von Kohlenhydraten. Das Prinzip dabei ist, nur die hohe Fettaufnahme, die hauptsächlich für die überkalorische Ernährung verantwortlich ist, deutlich einzuschränken. Komplexe, ballaststoffreiche Kohlenhydrate sind unbegrenzt erlaubt, da auf Grund ihres Volumens und ihrer guten Sättigungswirkung eine überkalorische Ernährung kaum zu befürchten ist. Der Vorteil dieses Konzepts liegt in seiner Einfachheit. Nach den bisherigen Erfahrungen lässt sich damit aber oft nur eine geringe Gewichtsabnahme erzielen, so dass sich dieses Konzept eher zur Stabilisierung des Gewichts nach einer Reduktionskost eignet.

Die Änderung des Essverhaltens setzt eine genaue Analyse der bisherigen Essgewohnheiten voraus. Dazu muss das Essverhalten mit Hilfe eines mehrtägigen Essprotokolls oder geeigneter Fragebögen dokumentiert werden. Dabei sollen nicht nur Nahrungsmengen und Nahrungszusammensetzung, sondern auch Essenszeiten und Auslöser für Nahrungsaufnahme erfasst werden. Anhand dieser Angaben kann der Patient nicht nur hinsichtlich der Auswahl der Speisen und Essensmengen beraten, sondern auch zu einem vernünftigen Essverhalten angehalten werden.

Körperliche Bewegung ist eine unerlässliche Begleitmassnahme bei jeder Art von Ernährungstherapie. Eine Steigerung der körperlichen Aktivität führt nicht nur zum Anstieg des Energieverbrauchs, sondern vermindert den durch die Diät bedingten Verlust an Muskelmasse um bis zu 50 Prozent. Übergewichtige, die nach einer diätetischen Gewichtsreduktion sportlich aktiv bleiben, können im weiteren Verlauf ihr Körpergewicht deutlich besser halten als jene, die keinerlei sportliche Aktivitäten ausüben.

Es gibt zwei Möglichkeiten, den Energieverbrauch durch Muskelarbeit zu erhöhen. Dies gelingt zum einen durch eine Steigerung der Alltagsaktivität, z. B. durch konsequente Benutzung von Treppen anstelle von Rolltreppen oder Aufzügen, und zum anderen durch zusätzliche sportliche Aktivität. Um messbare Auswirkungen auf den Stoffwechsel und das Körpergewicht zu erreichen, müssen pro Woche mindestens 1000 bis 2000 kcal durch zusätzliche sportliche Aktivitäten verbraucht werden. Dies bedeutet drei- bis fünfmal wöchentlich schweisstreibende Bewegung von 30- bis 60minütiger Dauer. Günstig sind Sportarten, die den Einsatz möglichst vieler Muskelgruppen erfordern wie Schwimmen, Fahrradfahren oder schnelles Spazierengehen.

 

Die medikamentöse Behandlung

 

Die meisten der bisher als Schlankheitsmittel angebotenen Substanzen sind entweder wirkungslos oder mit erheblichen Risiken belastet. Erst kürzlich wurden Fenfluramin und Dexfenfluramin, die vor allem über eine Serotonin-Freisetzung zu einer rascheren Sättigung führen, wegen Herzklappenveränderungen weltweit zurückgezogen. Derzeit ist kein vertretbares Medikament auf dem Markt. Kürzlich wurde aber die Zulassung für zwei neue Substanzen beantragt, die sich in klinischen Prüfungen als wirksam und gut verträglich erwiesen haben. Sibutramin ist ein sogenannter selektiver Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer, der eine raschere Sättigung bewirkt und darüber hinaus eine zusätzliche thermogenetische Wirkung besitzt. Orlistat ist ein sogenannter Lipase-Hemmer, der ausschliesslich im Darmtrakt wirkt und dort eine bis zu 30prozentige Senkung der Fettaufnahme verursacht. Die Gewichtsreduktion liegt bei etwa 5 Prozent des ursprünglichen Gewichts.

Die raschen Erkenntnisfortschritte auf dem Gebiet der Grundlagenforschung, ausgelöst durch die Entdeckung des «Sattheitshormons» Leptin, haben auch zur Entwicklung neuer Therapieansätze geführt. Mehrere Wirkstoffe befinden sich derzeit in frühen Phasen der klinischen Prüfung beim Menschen. Dazu gehören Leptin und Leptin-Analoga, Antagonisten gegen den Neuropeptid-Y-Rezeptor, die entweder die Nahrungsaufnahme bremsen oder den Energieverbrauch steigern. Auf Grund der enttäuschenden Ergebnisse der nichtmedikamentösen Behandlung des Übergewichts wird die Pharmakotherapie in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Sie darf aber nur in Verbindung mit den bereits etablierten nichtmedikamentösen Massnahmen eingesetzt werden. Der genaue Stellenwert dieser Substanzen im Rahmen des therapeutischen Vorgehens muss noch bestimmt werden.

Menschen mit einem BMI über 40 kg/m2 leiden unter vielfältigen Beschwerden und Folgeerkrankungen und müssen mit einer deutlichen Verkürzung ihrer Lebenserwartung rechnen. Wenn konservative Behandlungsversuche erfolglos geblieben sind und der Patient grundsätzlich operabel ist, sollte eine chirurgische Intervention erwogen werden. Die Operation darf nur durch einen spezialisierten Chirurgen ausgeführt werden. Zwei Verfahren zur Magenverkleinerung kommen heute zur Anwendung, die vertikale Gastroplastik und die Silikonband-Technik. Letztere lässt sich laparoskopisch durchführen und gilt als Methode der Zukunft. Die zu erwartende Gewichtsreduktion liegt in einer Grössenordnung von 25 bis 50 Kilogramm und kann über viele Jahre aufrechterhalten werden.


weitere Gesundheitstipps                                                                                                                     zurück zur Hauptseite