Selbstmessung des Blutdrucks -nötige oder unnötige Ergänzung?

 

Erhöhter Blutdruck ist ein bedeutender Risikofaktor für Herzkreislauferkrankungen. Erhöhter Blutdruck trägt zur Entwicklung von Herz- oder Nierenschwäche, Herzinfarkt, Schlaganfall, Demenz und zu vorzeitigem Tod bei.

 

Eine Behandlung des Blutdrucks kann diese Folgen des permanent erhöhten Blutdrucks (Hypertonie) verhindern oder zumindest reduzieren und verzögern. Da Hypertonie - sofern sich noch keine Folgeschäden eingestellt haben - meist unbemerkt und schmerzlos verläuft, ist eine zuverlässige Diagnose und eine Risikoabschätzung des Eintretens hvpertoniebedingter Folgeerkrankungen von zentraler Bedeutung. Diese Abschätzung setzt insbesondere das korrekte Messen des Blutdrucks voraus.

 

Die Blutdruckmessung gehört zur Routine eines Arztbesuches. Ziel dieser Messung ist, einen erhöhten Blutdruck frühzeitig zu erkennen und dadurch hypertoniebedingten Organschädigungen vorzubeugen. Allerdings beträgt der Anteil nicht erfasster Hypertoniker auch heute, trotz eines engmaschigen Gesundheitsnetzwerkes, noch ungefähr 30 Prozent. Lediglich etwa 30 Prozent aller Hypertoniker erreichen durch eine Behandlung optimale Blutdruckwerte.

 

Um diese Situation zu verbessern, wurde in den letzten Jahren unter anderem die Selbstmessung des Blutdrucks von verschiedenen Seiten propagiert und entsprechende Geräte auf dem Markt angeboten. Die Selbstmessung des Blutdruck soll helfen, Personen mit permanent erhöhtem Blutdruck zu identifizieren, das Bewusstsein um Personen mit Hypertonie zu schärfen und soll für den Arzt eine zusätzliche Entscheidungsgrundlage abgeben. Mit einer zu breiten, publikumsorientierten und unkritischen Anwendung der Blutdruckselbstmessung ist aber noch wenig im Kampf gegen die Hypertonie gewonnen. Verschiedene heikle Faktoren stellen die Selbstmessung- so wie sie heute durchgeführt wird - als diagnostisches Mittel in Frage.

 

Blutdruckmessung in der Arztpraxis

 

Die Blutdruckmessung ist - historisch gewachsen - eine Domäne des Arztes. Als Standard in der Hypertonie-Diagnose hat sich in den letzten 100 Jahren die Messung mit einer Quecksilber-Säule und einer Druckmanschette am Oberarm etabliert. Eine Blutdruckmanschette, die den Oberarm umschliesst, wird auf einen hohen Druck aufgeblasen und dadurch die in den Vorderarm führende Oberarmarterie abgedrückt. Darauf wird der Druck in der Manschette langsam reduziert. Wenn der Druck der Manschette nicht mehr vollkommen reicht, um den Blutfluss in der Arterie zu unterbrechen, entstehen Pulsgeräusche, die mit einem Stethoskop in der Ellenbeuge gehört (auskultiert) werden können. Das erste Geräusch entspricht dem oberen Blutdruckwert (systolischer Blutdruck), der durch das Auswerfen von Blut bei der Herzkontraktion entsteht. Bei weiterer Reduktion des Druckes der Blutdruckmanschette verschwinden im Normalfall die Geräusche wieder, weil bei einem Unterschreiten des bei Erschlaffung des Herzmuskels entstehenden unteren Druckbereichs Fliessturbulenzen in der nicht mehr komprimierten Arterie wegfallen. Dieser untere Blutdruckwert wird als der diastolische Blutdruck bezeichnet. Die auskultatorische Messung ermöglicht also eine Beurteilung des systolischen und diastolischen Blutdruckes und damit die beiden Extremwerte der

Druckbelastung im arteriellen System am Oberarm.

 

Die auskultatorische Messung wird in der Regel in der Arztpraxis durchgeführt und daher als Praxismessung oder konventionelle Blutdruckmessung bezeichnet. Das heutige Wissen über die Zusammenhänge zwischen Blutdruckwerten und kardiovaskulärem Risiko beruhen praktisch immer auf der Messung am Oberarm und fast ausschliesslich auf der auskultatorischen Methode. Die heutigen schweizerischen und internationalen Richtlinien für die Behandlung der Hypertonie bauen auf der auskultatorischen Praxismessung auf. Deshalb sind Arzte, medizinisches Personal und Patienten gewohnt, in auskultatorisch ermittelten «Oberarm-Werten» zu denken und stützen darauf Therapieentscheide. Heute gelten in der Regel mehrfach gemessene Werte von über 140 mm Hg systolisch oder 90 mm Hg diastolisch als therapiebedürftig. Die Praxismessung kann aber falsch positive oder falsch negative Diagnosen liefern. Personen können also in einer Minderheit aller Fälle fälschlich als hyperton oder normoton eingestuft werden. Bei 20 bis 30 Prozent aller Personen werden in der Praxismessung in einer ärztlichen Atmosphäre zwar erhöhte Blutdruckwerte festgestellt, aber nicht im Alltag ausserhalb der Praxisbedingungen. Diese sogenannte «Weisskittel-Hvpertonie» ist gemäss heutigem Stand des Wissens nicht behandlungsbedürftig, muss aber wegen der späteren möglichen Entwicklung einer manifesten Hypertonie überwacht werden. Umgekehrt weisen bis zehn Prozent der Patienten in der Praxis einen zu tiefen Blutdruck auf. Diese Personen haben im Alltag höhere Blutdruckwerte als in der Arztpraxis und werden daher oft nicht als Hypertoniker erkannt.

 

Selbstmessung des Blutdrucks

 

Als möglicher Lösungsansatz zur Verbesserung der Blutdruck-Beurteilung wird die Blutdruckmessung durch den Patienten selbst gesehen. Diese ist heute eine anerkannte diagnostische Methode, die vom behandelnden Arzt in gewissen Fällen zusätzlich zur Praxismessung eingesetzt wird. Sie kann somit ein integrativer Bestandteil in der Betreuung des Hypertonikers sein und als Massnahme bei der Patientenführung, -motivation und Therapieüberwachung verstanden werden.

 

Bei der Selbstmessung misst ein Patient zu Beginn in der Regel zweimal morgens

und abends seinen Blutdruck und dokumentiert diese Werte. Die Messung wird in Ruhe nach fünf Minuten, sitzend und vor der allfälligen Einnahme von Medikamenten vorgenommen. Diese Messungen werden über mehrere Wochen hinweg durchgeführt. Die Werte dienen dann dem behandelnden Arzt unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren zur Beurteilung des Blutdrucks, beziehungsweise des Therapieerfolgs.

 

Mit Slogans wie «Gesundheitsvorsorge mit links», «der Massstab: schnell, einfach, akkurat» oder «so sicher und einfach wie auf die Uhr schauen» werden heute Blutdruckmessgeräte zur Selbstmessung der Öffentlichkeit angeboten. Da in der Bevölkerung ein breites Gesundheitsbewusstsein vorhanden ist und die Preise der Geräte attraktiv sind, führt dies zu einer fast inflationären Verbreitung dieser Geräte. Gemäss mehreren Umfragen in städtischen Gebieten in Deutschland und der Schweiz besitzen zwischen 30 und 70 Prozent der Patienten, die wegen einer Hypertonie in Behandlung sind, ein Blutdruckmessgerät zur Selbstmessung.

 

Die verwendeten Apparate arbeiten meist automatisch und messen entweder am

Oberarm oder am Handgelenk. Eine Marktübersicht im Mai 1998 zeigt, dass 25 Geräte für die Messung am Handgelenk sowie 23 vollautomatische und 15 halbautomatische Geräte für die Messung am Oberarm auf dem Schweizer Markt erhältlich sind.

 

Messtechnik und Prüfverfahren für Geräte in der Blutdruckselbstmessung

 

Fast alle heute verfügbaren Geräte für Oberarm und Handgelenk messen oszillometrisch, das heisst erfassen durch die Pulswelle verursachte Oszillationen. Diese Messung hat gegenüber der auskultatorischen insbesondere den Vorteil, dass sie technisch einfacher und anwenderfreundlicher ist. Andererseits ist eine befriedigende Übereinstimmung zwischen auskultatorisch und oszillometrisch ermittelten Blutdruckwerten nur bei einem Teil der Patienten gewährleistet. Diese rührt von der prinzipiell unterschiedlichen Berechnung des Blutdrucks her.

 

Während bei der konventionellen Blutdruckmessung mit einem Sphygmomanometer ein Beobachter den Blutdruck bestimmt, ist dieser Vorgang bei den heute verfügbaren Geräten zur Selbstmessung automatisch, aber nicht einheitlich. Daher müsste eigentlich für jeden Gerätetypus der Nachweis erbracht werden, dass die gemessenen Werte genügend genau mit den Werten übereinstimmen, die mit einer Quecksilber-Säule - dem auch heute noch einzigen, international anerkannten Standard in der Blutdruckmessung - gemessen werden. Protokolle für die klinische Validierung von automatischen Blutdruckmessgeräten sind zum Beispiel von der British Hypertension Society und der Association for the Advancement of Medical Instruments in den USA ausgearbeitet worden. Bei diesen Prüfungen werden die Blutdruckwerte bei Patienten mit verschiedenen Druckbereichen zwischen einem Prüfgerät und einer Quecksilber-Säule verglichen. Viele der heute verfügbaren Geräte sind aber leider nicht von einer unabhängigen Stelle nach einem standardisierten Prüfverfahren auf ihre Messgenauigkeit hin getestet. In Praxistests der momentan verfügbaren Geräte zur Patientenselbstmessung in Deutschland kam die Stiftung Warentest im Mai 1998 auf kein schmeichelhaftes Ergebnis. Keines der beurteilten Geräte erhielt die Bewertung «sehr gut». Die meisten scheiterten an ungenügend reproduzierbaren Messwerten.

 

Für die professionelle Blutdruckmessung kommen im Prinzip nur klinisch validierte Geräte in Frage. Wie eine Marktübersicht in der Schweiz zeigt, sind allerdings nur wenige Geräte klinisch validiert. Die klinische Validierung, bei denen verschiedene Kategorien von Patienten mit unterschiedlichem Blutdruckniveau einbezogen werden, ist für die Hersteller nicht verpflichtend. Beispielsweise hat nur eines der in der Schweiz erhältlichen Handgelenk-Geräte in einer klinischen Validierung eine zufriedenstellende Messgenauigkeit gezeigt. Seit Juni 1998 müssen zwar alle Blutdruckmessgeräte, die in Europa und der Schweiz auf den Markt kommen eine sogenannte CE-Zertifizierung aufweisen. Diese Validierung enthält minimale Kriterien zur Messgenauigkeit, sagt aber wenig über die Anwendungsgenauigkeit der Geräte im klinischen Alltag aus. Die CE-Zertifizierung ist jedoch ein noch ungenügender Schritt in die richtige Richtung.

 

Blutdruckgeräte zur Selbstmessung

 

Der zuverlässige Einsatz der Patienten-Selbstmessung setzt die Berücksichtigung verschiedener Punkte voraus. Für die Selbstmessung werden heute oft Geräte angepriesen, die den Blutdruck am Handgelenk messen. Das Handgelenk ist ein einfacher Messort. Der Standard der Blutdruckmessung ist aber vorderhand noch der Oberarm. Das Verhältnis von Blutdruck am Handgelenk zu Oberarm ist nicht immer konstant. Therapieentscheide können deshalb nicht ausschliesslich auf der Messung am Handgelenk gründen. Zudem sind bisher keine Grenzwerte der am Handgelenk gemessenen Blutdruckwerte definiert. Bei Anwendung der weit anerkannten Blutdruckwerte von über 140 mm Hg für den oberen und über 90 mm Hg für den unteren Blutdruckwert kann es bei ausschliesslichen Handgelenksmessungen zu Fehldiagnosen kommen.

 

Bei einzelnen Patienten können ab und zu beträchtliche Abweichungen zwischen Messungen am Oberarm und Handgelenk festgestellt werden. Messgeräte für das Handgelenk sind deshalb nicht für alle Patienten geeignet. Fehlbeurteilungen entstehen bei der Handgelenksmessung auch bei Herzrhythmusstörungen und Verschlüssen oder Einengungen der Arterien am Handgelenk. Initial soll deshalb ein Vergleich der Handgelenksmessung mit einer Messung am Oberarm durchgeführt werden. Nur wenn die mehrfach gemessenen Werte um weniger als fünf bis zehn mm HG voneinander abweichen, ist eine Messung am Handgelenk zu empfehlen.

 

Die Handgelenksmessung muss so erfolgen, dass das Handgelenk auf Herzhöhe liegt. Wird der Arm in sitzender Stellung zum Beispiel flach auf den Tisch gelegt, wird der Blutdruck um 7.6 mm Hg überschätzt, weil eine Differenz zur Herzhöhe von etwa zehn cm besteht. Dies kann zu falschen Beurteilungen führen. Bevor ein Patient mit der Selbstmessung beginnt, sollten die Messwerte seines Gerätes mit jenen des validierten Gerätes des behandelnden Arztes verglichen werden. Nur bei guter Übereinstimmung soll mit einer Selbstmessung begonnen werden. Damit kann weitgehend ausgeschlossen werden, dass die allenfalls auftretenden Unterschiede zwischen den in der Praxis und vom Patienten gemessenen Werten durch die unterschiedliche Messtechnik verursacht wird.

 

Blutdruckselbstmessung braucht eine solide Einführung des Patienten durch eine Fachperson. Mehrere Erhebungen weisen diesbezüglich auf Mängel hin. Die Ausbildung zur Selbstmessung sollte mit dem Kauf eines Gerätes beginnen und über das Lesen der Gebrauchsanweisung hinausgehen. Sie beinhaltet insbesondere Hinweise auf die korrekte Handhabung, die häufigsten Bedienungsfehler sowie die richtige Manschette. Der Patient muss die wichtigsten Faktoren kennen, die den Blutdruck beeinflussen. Hierzu gehört insbesondere der Hinweis, die Blutdruckmessung auf Herzhöhe durchzuführen. Der Patient soll die Ziele Diagnose, Therapieüberwachung oder -motivation, kennen. Zudem muss für eine langfristige Betriebssicherheit eine regelmässige Wartung und Kalibrierung sowie eine sporadische Parallelmessung mit einem Blutdruckmessgerät in der Arztpraxis gewährleistet sein.

 

Der Einsatz von Blutdruckmessgeräten zur Selbstmessung kann das «Hypertonie-Bewusstsein» in der Bevölkerung verbessern. Allerdings führt nur ein Einsatz, bei dem Arzt und Patient eng zusammenarbeiten, zu einer Verbesserung der Diagnosestellung und zu einer optimalen Therapiebegleitung. Zudem sollten die Anbieter von Blutdruckmessgeräten ihre Verantwortung wahrnehmen, qualitativ hochstehende Geräte anzubieten, deren Messgenauigkeit geprüftermassen ausser Zweifel steht.


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